Kunsthandel

Ein Jahrhundertleben: Hildegard Bachert

Hildegard Bachert und die New Yorker Galerie St. Etienne

Von Gerd Presler
16.12.2019

Am 17. Oktober 2019 ging im kleinen Ort Brattleboro in Vermont, drei Autostunden von New York entfernt, ein Leben zu Ende, in dem sich ein Jahrhundert der Kunst und des Kunsthandels verdichtet: Hildegard Bachert starb im Alter von 98 Jahren. Nahezu achtzig Jahre lang formte sie das Gesicht der Galerie St. Etienne in New York und wurde zur unermüdlichen Botschafterin deutscher und österreichischer Kunst in ihrer neuen Heimat. 

Anfang der Fünfzigerjahre diktierte Grandma Moses der jungen Galerieangestellten Hildegard Bachert ihre Memoiren, Abbildung: Otto Kallir
Anfang der Fünfzigerjahre diktierte Grandma Moses der jungen Galerieangestellten Hildegard Bachert ihre Memoiren, Abbildung: Otto Kallir

1921 in Mannheim als Tochter eines jüdischen Juristen geboren, schon jung an Malerei interessiert, blieb ihr die nahe Städtische Kunsthalle verschlossen: kein Zutritt für Kinder. Und dann wuchsen die Mauern unüberwindbar: „Als Zwölfjährige wollte ich in Mannheim die Kunsthalle besuchen und fand an der Tür ein Schild: ‚Juden unerwünscht.‘“ Das prägte sich ein, blieb unvergessen. Und doch konnte sie 2013 als Ehrengast des Hauses ohne Bitterkeit über diese Erfahrung sprechen: „Amerika ist meine Heimat geworden. Meine Wurzeln sind aber trotzdem noch in Mannheim.“

New York wird Bacherts neue Heimat

Ihre Eltern hatten sie 1936 zu Verwandten nach New York geschickt. Eine Flucht: Die Zeichen waren zu eindeutig. Dort traf sie 1940 nach dem Studienabschluss den aus Wien geflohenen Kunsthändler Otto Kallir. Seine Galerie nahe dem Stephansdom hatte er schließen müssen, um sie in New York unter dem Namen Galerie St. Etienne weiterzuführen. Er engagierte Hildegard Bachert zunächst als Sprachlehrerin, dann als Sekretärin. Und schon bald war sie mit allen Geheimnissen des Metiers vertraut. Gleich zu Beginn ihrer Tätigkeit das prägende Erlebnis: Sie war 1940 dabei, als Grandma Moses mit 80 Jahren in der Galerie St. Etienne ihre erste Einzelausstellung erhielt. „Es war wie eine Liebe auf den ersten Blick, wie meine eigene Großmutter.“ Ein Jahrzehnt später: Die Malerin der naiv-idyllischen Landschaften Neuenglands diktierte der jungen Galerieangestellten ihre Lebenserinnerungen: „My Life’s History“.

Ein ausgewogenes Galerieprogramm

1941 half Hildegard Bachert bei der ersten Egon-Schiele-Ausstellung in den USA: „Völliger Reinfall.“ Ein Jahr später Käthe Kollwitz: „Lief besser.“ Bachert wurde bald zu einer der weltbesten Kollwitz-Kennerinnen. Inzwischen war sie verantwortlich für die Balance des Programms, ausgewogen zwischen Künstlerinnen und Künstlern. 1958 zeigte die Galerie erstmals in den USA Werke von Paula Modersohn-Becker, auch für Jeanne­ Mammen und Lea Grundig setzte sie sich ein. Nach Otto Kallirs Tod 1978 übernahm seine Enkelin Jane Kallir das angesehene Unternehmen – mit Hildegard Bachert an der Seite. Unersetzlich, unentbehrlich, damals und in den vielen Jahren, die noch kommen sollten. Immer wieder gelang das Zusammenspiel der Generationen: 1990 erschien das (inzwischen auch online abrufbare) Werkverzeichnis von Egon Schiele, nur ein Beispiel für die wissenschaftliche Arbeit der beiden.

Ihr Vermächtnis lebt weiter

Die Galerie an der 57. Straße in Midtown Manhattan ist nach wie vor eine bedeutende Adresse im internationalen Kunsthandel und für das europäische Publikum regelmäßig auf der Art Basel anzutreffen. 2019 feiert sie ihren 80. Geburtstag – und nimmt Abschied von Hildegard Bachert, die dem Hause jahrzehntelang Gesicht und Ausstrahlung verlieh. Die jetzige Ausstellung „The Expressionist Legacy“ trägt noch ihre Handschrift: mit Paula Modersohn-Becker, Gustav Klimt, Oskar Kokoschka und 15 Arbeiten von Egon Schiele.

Service

Ausstellung

„The Expressionist Legacy“

Galerie St. Etienne, New York
bis 29. Februar

Dieser Beitrag erschien in

WELTKUNST Nr. 165/2019

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