Alle Messen drängen in den Herbst, es zeichnet sich ein harter Konkurrenzkampf ab. Die großen Galerien weichen vermehrt in Online-Showrooms aus. Welche Kunstmessen werden das überstehen? Ein Kommentar
Von
11.05.2020
Die Lage am Kunstmarkt erinnert momentan an die eines Schiffes, auf dem in Panik alle Richtung Heck streben und dort für ein Übergewicht sorgen, das das mächtige Fahrzeug zum Kentern bringen könnte. Seine Passagiere? Das sind all jene auf die erste Hälfte des Jahres terminierten Messen, die sich nicht zu einer endgültigen Absage durchringen konnten. Das Coronavirus hat sie zwar von ihrem angestammten Platz verdrängt, doch im Gegensatz etwa zur Frieze in New York oder der Art Basel Hong Kong wollen oder können sie auf eine Veranstaltung im Jahr 2020 nicht verzichten.
Verschoben, stand als Stichwort in jüngster Zeit über vielen Mails: Die Art Cologne plant ihren Auftritt statt für April nun für Ende November zeitgleich mit der Cologne Fine Art & Design. Die Art Basel hat sich für Mitte September entschieden, die Tefaf NY Spring für Ende Oktober. Berlins erfolgreiches Gallery Weekend rutscht in den September und wird damit Teil der Berlin Art Week. Dann waren da noch Optimisten wie die Art Paris mit knapp 150 ausstellenden Galerien, der Salon du Dessin oder die Art Brussels: Sie rechneten mit einer baldigen Aufhebung der Reise- und Bewegungsbeschränkungen und hofften auf einen Termin Ende Mai oder im Juni.
Inzwischen ist klar, dass diese Zeitpläne nicht gehalten werden können. Nur die Art Paris annonciert ihren Auftritt im Internet weiterhin für den Mai, die übrigen beiden Kandidaten verlegen sich auf 2021. Alle anderen wollen im Herbst stattfinden – das wird eng, denn die Monate, auf die sich der globale Kunsthandel nun konzentriert, hatten schon vorher ein dichtes Angebot: die Frieze London, die Fiac in Paris und die jährliche Artissima in Turin. Sie alle haben ihr festes Publikum. Und wenn der Art-Cologne-Direktor Daniel Hug in einem aktuellen Interview davon spricht, dass sich der Markt für sehr teure Kunst „weltweit auf 500 Sammler“ beschränkt, wird klar, dass die für dieses Jahr getroffenen Entscheidungen längst nicht endgültig sind. Es werden noch mehr Messen ausfallen müssen, um Händler wie Publikum nicht zu überfordern. Und mit den noch folgenden Absagen kündigen sich tief greifende Änderungen auf dem Kunstmarkt an.
Den Anfang machte die Art Basel. Als Ersatz für ihre abgesagte Hongkonger Ausgabe lancierte sie einen Online-Viewing-Room, um die Verluste für die Händler aufzufangen. Das Dilemma: Wer dort wie David Zwirner ein Werk von Marlene Dumas ohne jede physische Präsenz von Messestand und Galerist für über 2 Millionen Euro verkaufen kann, fragt sich garantiert, ob oder welche Messeauftritte für ihn künftig noch nötig sind. Schon jetzt zählt Zwirner – ähnlich wie Larry Gagosian oder Hauser & Wirth – zu den Galeristen, die nicht nur analoge Dependancen in Kunstmarktzentren wie New York oder London unterhalten, sondern mit virtuellen Viewing-Rooms experimentieren. Im April präsentierte die Galerie Zwirner ihren jüngsten Onlinespace „Exceptional Works“ für exklusive Kunst des Sekundärmarktes – mit Werken, wie sie auch die Messen gern sehen. Spätestens hier konkurriert Zwirners eigener privater saleroom mit dem Angebot, das er auf jene gut 20 Messen mitbringt, an denen er bislang regelmäßig teilnimmt.
Im Herbst mit seiner extremen Dichte geplanter Veranstaltungen wird sich das Thema noch einmal zuspitzen. Sammler wie Galeristen müssen entscheiden, welche der zahlreichen internationalen Messen für sie unverzichtbar sind. Und ob sie wie bisher kreuz und quer durch die Welt fliegen (können), um in Bogotá, Singapur oder Miami präsent zu sein. Die Corona-Pandemie und ihre Folgen, die Reisebeschränkungen ebenso wie das social distancing, erschüttern diese gut geölte Maschinerie. Bisher verhallte die Kritik am Kunstrummel, an den explodierenden Hotelzimmerpreisen oder am zunehmend auf sichere Positionen geeichten Angebot. Doch nun kommt die große Zäsur, und Strategien wie die David Zwirners oder anderer Big Player lassen ahnen, dass die Topgalerien bereit sind, sich vom internationalen Messebetrieb unabhängig zu machen.
Auch kleinere Galerien tüfteln an neuen Distributionswegen. „Wir schaffen gerade die Grundlagen für den Kunstmarkt, den wir in zwölf Monaten haben werden“, ist etwa Daniel McLaughlin überzeugt. Die Eröffnung seiner Berliner Räume fiel in die ersten Wochen der Coronakrise. Nun entwickelt der Galerist und frühere Leiter des Sektors Gallery Relations der Art Basel Konzepte, um seine Ausstellungen online erlebbar zu machen.
Dass all dies die unmittelbare Begegnung mit Kunst nicht aufwiegen kann, wissen Galeristen ebenso wie Messedirektoren. Und doch emanzipieren sich Erstere damit ein Stück von jenen Plattformen, die im vergangenen Jahrzehnt immer mächtiger geworden sind. Die Messeveranstalter sollte das nachdenklich stimmen. Frust und Überdruss werden nicht erst seit gestern laut. Besser, sie nutzen die Zeit und denken statt über bloße Verschiebungen über Strukturen, Inhalte und mögliche neue Akzente nach. Sonst geht der Kunstkahn am Ende wirklich unter.