Kunsthandel

Sammlerseminar: Chinesische Ritualbronzen

Mit herrlich gegossenen Gefäßen begann im zweiten Jahrtausend vor Christus die chinesische Kunstgeschichte. Die Bronzen auf dem Kunstmarkt sind selten, meist sehr teuer und oft gefälscht. Aber es bleibt eines der faszinierendsten Sammelgebiete

Von Thomas E. Schmidt
26.08.2020

Giuseppe Eskenazi, der legendäre Londoner Kunsthändler und China-Experte, schildert in seinen Erinnerungen eine Begegnung mit dem jungen Kosmetikerben Ronald Lauder, der vor ungefähr vierzig Jahren zu ihm hineinstürmte, zu verstehen gab, dass seine Mittel praktisch unbegrenzt seien und dass er binnen Kurzem die weltbeste Sammlung chinesischer Ritualbronzen zu besitzen gedenke. Der Händler möge ihm die mal zusammenstellen. Eskenazi beschied dem Ungeduldigen, dass es eine Sache von vielen Jahren, wahrscheinlich Jahrzehnten sein würde, ein paar wirklich gute Exemplare aufzutreiben. Dennoch kam einiges zusammen. Lauder hatte fünf Jahre lang Geduld, dann verlor er die Lust an seinen Bronzen, warf sie in einem Schwung wieder auf den Markt – und verdiente damit noch eine Menge Geld.

Diese Geschichte hat keine Moral. Sie wirft aber Licht auf ein Sammelgebiet, in dem es knapp und diskret zuging, lange bevor die Chinesen anfingen, ihre alte Kunst zu repatriieren – um damit die Preise so richtig in die Höhe zu treiben. Selbst in den frühen Achtzigern war es für den besten Händler mit den besten Verbindungen unmöglich, archaische Ritualgefäße in gewünschter Anzahl und Qualität aufzutreiben. Immer gehörten Bronzen aus der Zeit der frühesten Herrscherdynastien zum Besten, was der Antiquitätenmarkt zu bieten hatte – in China seit gut tausend Jahren, im Westen mit entsprechender Verspätung seit dem frühen 20. Jahrhundert. Bronzen zu sammeln gehört zu den Königsdisziplinen. Wenn es etwas gibt, das für Chinesen eine starke Verpflichtung auf Geschichte und Tradition symbolisiert, dann sind es diese archaischen Ritualgefäße. Sie waren und sind für sie bis heute Zeugnisse einer besseren, größeren Zeit.

Sammler brauchen Kenntnisse, Nerven und Geld

Um die Zeitenwende, also um Christi Geburt, verfiel in China die Kunst des Bronzegießens. Die für die Welten der Shang-­Dynastie (um 1800 bis 1100 v. Chr.) wie der Zhou-Herrscher (1100 bis 220 v. Chr.) so bedeutsame und charakteristische Gefäßkunst schien verschollen zu sein, verloren gegangen wie Chinas Größe in endlosen Kriegen. Falls in den folgenden Jahrhunderten ein solches Gefäß wieder auftauchte, wurde es wie ein kleines Weltwunder bestaunt, stets ein Ereignis für Gelehrte und Würdenträger. Die im konfuzianischen Geist regierenden Kaiser der Song-Dynastie (960–1279) fühlten sich aufgerufen, diese Zeugnisse ihrer Väter respektvoll zusammenzutragen. Am Ende sollen sich nicht weniger als 12 000 Exemplare in den kaiserlichen Sammlungen befunden haben, katalogisiert und mit Abbildungen versehen. Aus diesen Katalogen schöpften kommende Handwerker Inspiration. Millionen von Nachgüssen existieren seither, von brillant bis stümperhaft, teils respektvolle Nachahmung, teils Fälschung. Aber nie wieder erreichte die chinesische Gießkunst die Höhe des Anfangs. Wer als Sammler heute mitspielen möchte, benötigt Kenntnisse, Nerven und Geld. Wen aber nicht gleich der Ehrgeiz des Kaisers oder Ronald Lauders zerfrisst, der hat trotzdem gute Chancen, ein ­ordentliches Beispiel zu erwerben.

Die Geschichte der Künste scheint in manchen Epochen Sprünge zu machen oder Haken zu schlagen, wenn eine ihrer Gestalten reif und vollkommen ins Licht tritt, als hätte es keiner Übung und Vorarbeit auf dem Weg zum Gipfel bedurft. Etwa um 1400 v. Chr. gossen die Handwerker der Shang Objekte von enormer Schönheit und technischer Perfektion. Sie stellten Zierrat, Masken, Beschläge und Zeremonialwaffen her, den Schmuck einer Kriegerkultur. Vor allem aber verantworteten sie die Produktion jener Gefäße, die in den religiösen Ritualen der Shang eine zentrale Rolle spielten. Von diesen Behältnissen – und nur von ihnen – soll im Folgenden die Rede sein. Opfergaben für die Ahnen wurden darin aufbewahrt, für Vorfahren, die tot und doch unsterblich waren, denn sie sandten den Lebenden je nach Laune Glück oder Missgeschick. Das für sie bestimmte Metallgeschirr erhielt sich in ihren Grabstätten. Und weil es so wertvoll war, überlebte es auch in Gruben, wo man es vor Raub schützen wollte.

Geschenke für die Toten

Die Shang sind Chinas erste historische Dynastie, weil sie lesbare Zeugnisse hinterließen. Piktogramme auf Orakelknochen, eine Vorform der chinesischen Schriftzeichen, gewähren einen Einblick in ihre Vorstellungswelt. Solche Piktogramme zieren oft auch die Innenwände der Bronzen. Sie verraten, welcher Clan sie besaß oder welchem Herrscher sie gewidmet waren. Die Shang siedelten seit etwa 1500 v. Chr. vor allem in der Provinz Henan. In der Nähe der heutigen Stadt Anyang lag ihr religiöses Zentrum. Aus dieser Gegend stammen die prächtigsten Exemplare der Ritualobjekte. Sie erzählen von einem Leben mit Ehrfurcht einflößenden Naturmächten, von einer Welt, in der sich die seltsamsten Kreaturen tummelten und die Toten herrisch mitregierten. Die Opfergefäße bannen und beschwören, sie strahlen eine starke Kraft aus und scheinen selbst lebendig zu sein, mit ihren Glubschaugen, ihren zottigen, bärtigen Graten und all den Biestern, die auf ihnen wimmeln und sich zu Henkeln verschlingen.

Chinesische Bronzen Li-Ding Van Ham
Das Li-Ding, späte Shang- oder frühe Zhou-Zeit, wurde bei Van Ham für 6000 Euro zugeschlagen – ein Schnäppchen. © Van Ham, Köln

Mithilfe der Bronzen wurde ein Staatsritus in Szene gesetzt. Ähnlich wie bis zum Ende der Kaiserzeit 1911 führte auch damals der Herrscher die Opferhandlungen aus und nahm dabei die sakralen Gefäße in Gebrauch. Wer über sie verfügte, hatte Macht, es waren Regalien. Gießern und Schmieden wurden magische Fähigkeiten zugeschrieben. Eine spätere Legende will wissen, der Große Yu habe gewaltige Tripoden vom Typus Ding gegossen, in welchen sich die Größe der mythischen Xia-Dynastie ausdrückte. Doch die Gefäße gingen verloren, versanken im Fluss, und so begann die Misere des führungslosen Menschen, also die Geschichte. Ähnlich wie Jade ist Bronze in chinesischen Augen eine Art Ursprungsmaterial. Ein Rest dieser Ehrfurcht vor der Bedeutung des Metalls hat sich bis heute erhalten.

Verwirrende Vielfalt der Gefäßtypen

Sehr spät erst setzte die archäologische Forschung ein, genauer gesagt seit 1928 Grabungen in Henan große Mengen von Bronzen im Anyang-Stil zutage förderten. Gelehrte und Kunsthändler waren wie elektrisiert. Inzwischen ist man wissenschaftlich weiter: Shang-Bronzen haben tatsächlich etwas bescheidenere Vorläufer, vor allem haben sie prachtvolle Nachkommen. Chronologie und Stilgeschichte der Bronzezeit sind einigermaßen geklärt, obwohl bis heute keiner weiß, woher die sogleich virtuos beherrschte Technik eigentlich kam, ob aus dem Westen, vielleicht aus Syrien, oder ob die Chinesen sie selbst erfanden, was in China die beliebtere These ist. Die klassische Zeit reicht vom Höhepunkt der Shang, über deren Niederlage gegen die Heere der Zhou um 1050 v. Chr., bis zum Ende der Zhou-Dynastie, als der ­König des Qin-Volkes alle seine Widersacher besiegte, das Reich einte und als erster chinesischer Kaiser in die Geschichte einging, allerdings als ein grausamer.

Opferbronzen hatten im Ritual eine präzise Funktion, die auch ihre Gestalt bestimmte, und sie waren stets Bestandteile umfangreicher Garnituren. Einige Typen dienten der Zubereitung von Opferspeisen, andere enthielten Wein, mit anderen wurden die Gaben dargereicht. Das Metropolitan Museum in New York besitzt ein fast vollständiges Set samt Präsentationstisch, ebenfalls aus Bronze. Die Vielfalt der Gefäßtypen ist verwirrend, sie veränderten sich im Lauf der Jahrhunderte oder kamen irgendwann außer Mode. Hier seien nur die häufigsten und allerwichtigsten erwähnt. Das Ding ist ein rundes Dreibein mit Henkeln, als Variante auch rechteckig mit vier Füßen; es diente zum Kochen. Das Jue ist ein Gießgefäß mit einem Ausguss wie ein Schnabel, auf drei klingenartigen Beinen stehend; aus ihm ragen zwei Türmchen auf, deren Funktion nicht genau geklärt ist, vielleicht setzten dort Zangen an, um das Gefäß aus der Glut zu heben. Das Gui ist eine flache, runde Schale mit seitlichen, oft stark betonten Henkeln; später steht es auf einem viereckigen Block.

Das Gu wiederum ist ein schlanker, hoher Weinbecher mit einer charakteristischen Verdickung in der Mitte. Ihm ähnelt das Zun, das aber breiter und voluminöser ist. Am Ende der Epoche wurde das Hu besonders wichtig, ein großer Speicher mit dickem Bauch, eine der wenigen Formen, die sich auch in den kommenden Zeiten großer Beliebtheit erfreuten und den Epochenumbruch überdauerten. Diese Typen repräsentieren bis heute Grundformen der chinesischen Kultur. Sie leben fort als Vasen, Dosen und Weihrauchbrenner, aus Keramik oder Porzellan, als Jadeschnitzerei oder Lackarbeit.

Chinesische Bronzen Gu Weingefäß Shang-Zeit Sotheby’s
Das Gu-Weingefäß aus der Shang-Zeit kostete bei Sotheby’s in New York 18 800 Dollar brutto. © Sotheby’s

Während der Zhou-Zeit rückte die religiöse Funktion der Stücke langsam in den Hintergrund. Die Zeiten wurden politischer, die Macht des Feudaladels nahm zu, und Bronzen dienten nun auch der weltlichen Statusfeststellung. Ein Herzog der Zhou hatte bei seinem Begräbnis Anspruch auf neun Ding- und acht Gui-Gefäße als Beigabe, ein hoher Beamter immerhin noch auf sieben Ding und sechs Gui. Die Inschriften wurden länger, sie berichteten nun von Feldzügen, Schenkungen und Staatsaffären. Der Bedarf stieg, die technische Qualität litt. Auch die Dekore wurden schlichter, aber das tut dem künstlerischen Eindruck keinen Abbruch. Was zu Beginn so unbändig wirkte, entwickelte während der Blütezeit der neuen Dynastie sogar Eleganz. Bis am Ende der Zhou-Zeit, in einem ab 475 v. Chr. als „Streitende Reiche“ bezeichneten Abschnitt, die alten Masken-Motive der Shang überreichlich wieder auftauchen, doch nun gleichsam unverstanden, als reiner Schmuck, ohne Bezug auf die strenge „Grammatik“ des Anyang-Stils.

Ältere Stücke entstanden im Direktguss. Dafür wurde ein Tonmodell angefertigt, von dem im Negativverfahren drei bis vier später wieder zusammengesetzte Model abgenommen wurden. Ein Kern aus Ton entsprach dem Gefäßinneren, er ließ 5 bis 15 Millimeter Raum, in den sodann eine Kupfer-Zinnlegierung verfüllt wurde. Im Laufe der Zeit setzte sich das Verfahren der „verlorenen Form“ durch. Ein Wachsmodell erlaubte feinste Modellierungen. Dieses Modell wurde sodann mit flüssiger Tonengobe umgeben, die man aushärten ließ und brannte. Dabei schmolz das Wachs und hinterließ den Gussraum.

Rätselhafte Monster

Jeder, der eine Shang-Bronze ansieht, blickt als Erstes in die großen, saugenden Augen eines Ungeheuers. Diese fantastische Tiermaske, in unendlichen Variationen auf die Gefäßkörper reliefiert, wird als Taotie bezeichnet und stellt das bei Weitem wichtigste Dekormotiv dar. Es handelt sich dabei um ein Gesicht, welches symmetrisch um einen herausgehobenen Gussgrat gruppiert ist, denn es besteht in Wirklichkeit aus zwei Drachen im Profil, deren Klauen und Schwänze zugleich die Lefzen, Brauen oder Hörner des Taotie bilden. Das Taotie hat immer nur einen Oberkiefer, dafür aber gefährliche Fangzähne. Ob es freundlich oder fürchterlich sein soll, ob das übrige Getier, das sich in der Ornamentik tummelt – Schlangen, Zikaden, sogenannte Kuei-Drachen, später vor allem Vögel, Fische, Widder oder Tiger –, freundlich oder übelwollend gestimmt ist: Wir wissen es schlichtweg nicht.

Die genaue Bedeutung des Gefäßschmucks bleibt im Dunkeln, nur die Prinzipien, nach denen er organisiert wurde, lassen sich rekonstruieren. Die gegenständlichen Motive stehen vor einem Hintergrund aus kleinen Rechtecken oder Kreisen, die aus feinen Spiralen bestehen. Das unterstreicht den Eindruck von Bildtiefe. Man spricht vom Leiwen-Muster. Zikadenflügel- oder Sichelmotive sind ebenfalls leicht auszumachen; hervortretende Grate oder Flanschen erhöhen die Raumwirkung der Stücke. Regionale Unterschiede werden früh sichtbar, so zeigen Bronzen aus südlichen Regionen Tiere oft erstaunlich plastisch und realistisch. Sie bilden dann Deckelknäufe oder Henkel. Bronzen aus Anyang hingegen halten sich weiter an den gehörnten Fantasiedrachen, der wiederum aus einzelnen Elementen komponiert wird, genau wie das Taotie.

Chinesische Bronzen You Nagel
Das prachtvolle Deckelgefäß ist ein You der frühen Zhou-Periode, um 1100–711 v. Chr., und brachte 2013 bei Nagel mit Aufgeld 838.000 Euro. © Nagel Auktionen, Stuttgart

Die Stilgeschichte all dieser Zierden ist lang und verwickelt. Wie so oft führt sie vom Einfachen zum Komplexen. Während der Zhou-Zeit beruhigt sich die Bilderwelt zunächst ein wenig, der Geschmack tendiert zum Gemäßigten, und das Vokabular drängt sich in Ornamentbänder zusammen, die den Gefäßkörper umlaufen und die Restfläche frei lassen. Das Taotie verschwindet fürs Erste, und die kleinen Drachen lösen sich gleichsam auf. Ihre Bestandteile verwandeln sich in Elemente mit Eigenrecht, abstrakt und frei kombinierbar. Neuartige, teils verschlungene, teils einander überlagernde Schnüre werden nun möglich ebenso wie Zonen von strenger Geometrie. Der Fantasie sind kaum noch Grenzen gesetzt.

Nichts geht ohne Provenienz

In den letzten beiden Jahrhunderten vor dem Ende der Bronzezeit wird es vollends unübersichtlich, ja geradezu barock. Es ist, als dürfe aus Furcht vor der Leere kein Eckchen undekoriert bleiben. Und dies wiederum zeigt an, dass die Bronzen jener Zeit ihre hieratische Bedeutung endgültig einbüßen. In der Gesellschaft der späten Zhou geben Beamte, Landbesitzer und Kaufleute den Ton an, sie alle wollen sich mit den altertümlichen Prunkgefäßen adeln, die nun aber schick und modisch aussehen sollen. Virtuosen- und Prestigestücke entstehen. Und etwas ganz Neues entwickeln die Handwerker, beziehungsweise sie wenden es, den alten Stil revitalisierend, innovativ an: Einlagen aus Kupfer, Silber oder Malachit, später auch aus Gold. Kunstvolle, an Kalligrafie erinnernde Dekore werden jetzt gestaltet, sogar Szenen mit dramatisch sich windenden oder kämpfenden Tieren. Am Schluss darf auch der Mensch auftreten. Er hüpft vor Hügeln und Bäumen umher. Mit ihm kündigt sich die Landschaft an – und damit sind die wilden Bronzen von einst endgültig gezähmt.

Mittlerweile benötigen alle Antiken eine Provenienz, wo immer sie herstammen. Mit den chinesischen Bronzen verhält es sich wie folgt, und auch diese Geschichte ist nicht unbedingt erbaulich: Nichts, was auf dem Markt war und ist, stammt aus archäologisch kontrollierten Grabungen. Von Kolonialherren gestohlen wurde allerdings auch kein Stück. Die 1920er-Jahre waren in China die große Zeit des Eisenbahnbaus. Also wurden viele Gräber aufgebrochen, die sonst aus Respekt vor den Ahnen unberührt geblieben wären. Das zutage tretende Material stieß sofort auf einen gierigen Markt. Es wurde aus fernen und armen Gegenden nach Peking transportiert, wo eine gut organisierte Händlerschaft westliche Kunden und einheimische Sammler bediente. Bronzen standen hoch im Kurs, Keramiken wurden oft zerschlagen, weil sie keinen Wert besaßen.

Chinesische Bronzen Ding-Gefäß Zhou-Zeit Koller
Das Ding-Gefäß aus der Zhou-Zeit sollte am 1. Juli 2020 bei Koller 10.000 bis 15.000 Franken bringen. Es wurde schließlich für 61.300 Franken (inklusive Aufgeld) verkauft. © Koller Auktionen, Zürich

Der schwedische Eisenbahningenieur Orvar Karlbeck, der in China viele Jahre für das Nationalmuseum in Stockholm alte Kunst aufstöberte, berichtet von seinen Reisen in die Gegend von Anyang: Die Händler, auch die aus London, unterhielten in den Zwanzigern und frühen Dreißigern Agenten vor Ort, die jeden Fund sofort an sich zu bringen versuchten. Die Konkurrenz war scharf, der Preis von Anfang an gepfeffert. In jener Zeit gab es auch in Henan Gouverneure, die Raubgrabungen zu unterbinden versuchten, aber oft nur, um sich selbst an deren Früchten zu bereichern. Manchmal wurden für die „Forschung“ Soldaten eingesetzt, die dann zu Werke gingen, als sollten sie Bau­gruben ausheben. Dabei wurden viele Stücke zerstört oder beschädigt. In Peking flickte man alles wieder zusammen, mit einer Kunstfertigkeit, die auch heutigen Museumsleuten noch Bewunderung abnötigt. Kunstfertig waren allerdings auch die sogleich produzierten Fälschungen.

Mehr als die Hälfte der Bronzen sind gefälscht

Karlbeck erzählt eine Episode, die sich um Charles Lang Freer rankt, einen frühen und gierigen Sammlerpionier. Der amerikanische Industrielle verfügte nicht nur über Kenntnisse, sondern auch über Devisen – der damalige Wert des Dollars erklärt übrigens, warum amerikanische Museen bis heute so üppig mit Ritualbronzen ausgestattet sind. Freer nun wurde mit großem Pomp in ein Grab geführt, wo er in situ seine neuesten Stücke in Empfang nehmen sollte. Doch Freer erkannte nach einer Weile, dass die Objekte falsch waren. Und falsch war auch das Grab – und jeder der aus der Hauptstadt angereisten Experten. Der Betrogene schäumte und kabelte nach Hause, man möge alles verkaufen. Später besann er sich und brachte es am Ende auf stattliche 58 Bronzegefäße. Sie bildeten den Grundstock der Freer Gallery of Art in Washington.

Mitte der Dreißiger reiste Karlbeck noch einmal nach Anyang, nun in eine vom Bürgerkrieg schwer heimgesuchte Region. Die öffentliche Ordnung war zusammengebrochen, die Felder lagen brach, Hungersnöte plagten die Menschen. Wenn die Bauern überleben wollten, mussten sie Gräber plündern. Um die Dörfer standen Wachtürme, weil Überfälle an der Tagesordnung waren. Räuberbanden durchzogen das Land, Rebellen oder Soldaten, und für Ausgräber wie für Agenten wurde das Geschäft lebensgefährlich. Wenig später zogen die Japaner als Eroberer ein; sie bedienten sich ebenso an den Grabräubereien. Verstopft war der Markt für Europäer und Amerikaner. Viele der besten chinesischen Bronzen befinden sich heute in japanischen Museen und Privatsammlungen.

Chinesische Bronzen Gui Ben Janssens
Ben Janssens verkaufte das Gui-Gefäß für Speisen, enstanden in der Zeit der westlichen Zhou-Dynastie, an eine amerikanische Privatsammlung. © Ben Janssens Oriental Art, London

Realistischerweise muss man annehmen, dass mehr als die Hälfte der antiken Bronzen, die auf dem Markt kursieren, gefälscht sind. Der Experte wird als Erstes überprüfen, ob die Form stimmt, das Dekor zur Epoche passt und ob es Fehler in der Darstellung des Taotie oder der Schmuckformen gibt. Wenn nur das Äußere des Gefäßes eine Patina hat, ist das ein schlechtes Zeichen. Die Echtheit einer Patina zu bestimmen ist Sache von Erfahrung. Eine aufgesprühte, durch Säure erzeugte fühlt sich anders an als eine alte. Oft ist die aggressive chemische Reaktion fühlbar, während eine antike Patina meistens sehr glatt ist, fast in den Metallkörper hineingewandert zu sein scheint. Ausnahmen gibt es natürlich genügend, eine schilfrige oder körnige Patina sollte dann aber Partikel der Erde enthalten, in der das Stück begraben lag. In China verfügt man über eine jahrhundertelange Expertise der künstlichen Alterung von Bronzen. Schon die Antiquitäten-Ratgeber der Ming-Zeit enthalten Rezepte, in welchen Tinkturen und Körperflüssigkeiten das Metallobjekt zu kochen sei und wie lange man es anschließend eingraben müsse. Heute ist eine gefälschte Patina aus dem 16. oder 18. Jahrhundert auch echt – wenn man es weiß und sie nicht verwechselt.

Anders als beim Porzellan sind Sammler von Bronzen relativ nachsichtig, wenn es um Reparaturen geht. Oft sind im Lauf der Zeit Böden ausgewechselt, Kerben, Fehlstellen, manchmal ganze Teile der Wandung ergänzt worden. Was erlaubt ist, richtet sich nach Schönheit und Seltenheit des Objekts. Lempertz hatte in seiner letzten Herbstauktion zwei kleine Weinbecher vom Typ Zhi, die stark repariert waren und die man daher mit 600 Euro sehr niedrig taxierte. Am Ende wurden sie hundert Mal so teuer, denn ihre Form war ansprechend und sie tauchen nicht häufig auf. Keine schlüssige Antwort gibt es auf die Frage, ob man antike Bronzen reinigen lassen soll. Manche Sammler möchten ihre Schätze von den Schäden der Zeit befreien und beinahe im Originalzustand betrachten, und manchen Bronzen steht eine Reinigung sogar gut an. Doch muss man mit allen Eingriffen vorsichtig sein. Es gibt auch die „totrestaurierten“ Stücke. Bei einem Verkauf kann niemand voraussagen, ob der Markt solche Veränderungen akzeptiert und wie er sie bewertet.

Bei Spitzenstücken ist im Preishimmel alles möglich

Im Herbst 2016 publizierte Eskenazi in einem seiner Kataloge ein majestätisches Zun aus dem 11. oder 10. vorchristlichen Jahrhundert. Am Fuß weist das vasenförmige Gefäß die obligate Taotie-Maske auf, im leicht verdickten Mittelsegment sitzen Vögel mit geschwungenem Federschmuck vor einem Leiwen-Hintergrund, während die trompetenartige Mündung von sichelförmigen Zonen akzentuiert wird. Der Guss und die Patina sind exzellent, und tadellos ist auch die Herkunft dieses Stücks. Es gehörte nachweislich zwei bekannten Gelehrtenbeamten des 19. Jahrhunderts, bevor es in eine ebenfalls bekannte Sammlung in Schanghai gelangte. Danach ging es weiter nach Athen, nach Wien in die bedeutende Julius-Eberhardt-Sammlung, bis es der Emir von Katar erwarb, der es schließlich Eskenazi überließ. Vergleichsstücke in Museen sind ebenfalls vorhanden, dieses Zun lässt sich sogar einer Gruppe von Gefäßen zuordnen, die laut Inschrift ein gewisser Ya Qi Yi für seine Mutter Xin gießen ließ. Genauso sieht eine Verknüpfung von wünschenswerter Provenienz und höchster Qualität aus.

Für Spitzenstücke von historischer Bedeutung steht der Preishimmel offen, und hinter den diskreten Kulissen der Händler werden auch schon mal zweistellige Millionenbeträge fällig. Christie’s und Sotheby’s bieten solide Bronzen aus der klassischen Epoche vor allem in Hongkong, New York und London an. Die Preise schwanken dort zwischen 2 und 3 Millionen sowie 20.000 bis 30.000 Dollar am unteren Ende. Es gibt ein breites mittleres Marktsegment unter 100 000 Dollar. Mit etwas Glück muss man bei einem kleineren europäischen Auktionshaus sogar noch weniger bezahlen. In Deutschland versteigern Nagel und Lempertz Qualitätsvolles, und mit gutem Auge lässt sich auch für eine vierstellige Summe ein ansprechendes Stück erstehen. Waffen, Gürtelhaken oder Wagenbeschläge sind um vieles günstiger. Bekannte Gefäßformen werden höher bewertet als exotischere, etwa Glocken. Und wer auf Nummer sicher gehen will und es sich leisten kann, kauft bei Gisèle Croës in Brüssel, bei Eskenazi in London oder bei J.J. Lally in New York. Eines ist garantiert: Wer in dieses ­Sammelgebiet einsteigt, wird mit Klassikern der skulpturalen Kunst belohnt. Zweieinhalb Jahrtausende chinesischer Geschichte inbegriffen.

Hier geht’s weiter zum Service des Sammlerseminars: Wissenswertes über chinesische Bronzen

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Weltkunst Nr. 172/2020

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