Jahresrückblick Altmeistergemälde

Wie entwickelt sich der Markt für Alte Meister?

Beständigkeit bleibt in diesem Jahr trotz der Corona-Krise ein Markenzeichen für Alte Meister auf dem Kunstmarkt. Zudem gibt es immer mehr Top-Zuschläge bei Gemälden aus dem 15. und 16. Jahrhundert

Von Jan Bykowski
18.12.2020
/ Erschienen in Kunst und Auktionen Nr. 20

Es hatte so gut angefangen. Zu Beginn des Jahres waren die Taxen für Alte Meister gehobener Qualität durchaus ambitioniert, teils sogar waghalsig – und das Geschäft lief. Während der „Masters Week“ in New York konnte Sotheby’s beispielsweise einen neuen Fabel-Rekord für Giovanni Battista Tiepolo (1696–1770) verzeichnen: Bei 15 Millionen Dollar wurde am 29. Januar seine „Rosenkranzmadonna mit Engeln“ zugeschlagen, für das Dreifache des bisherigen Künstlerrekords. Auch wenn das Haus keinen Schätzpreis genannt hatte: Kaum weniger war von dem außergewöhnlich großen Gemälde erwartet worden. Ebenso selbstbewusst agierte Sotheby’s mit den genannten 6 Millionen für das Ölgemälde die „Jungfrau mit Christuskind, heiliger Elisabeth und Johannes dem Täufer“ von Peter Paul Rubens (1577–1640), das diese Summe auch tatsächlich einlöste.

Das Erlebnis, ein Altmeistergemälde im Original zu sehen, kann das Internet natürlich nicht ersetzen

Als dann aber die erste Pandemiewelle anrollte, brachte sie ausgerechnet gleich zu Beginn das Altmeister-Flaggschiff Tefaf zum Kentern. Die Verkaufsschau in Maastricht war bereits gestartet, als das Infektionsgeschehen allen Corona-Pessimisten recht gab. Nachdem Mitarbeiter von Ausstellern erkrankt waren, unter anderem beim Altmeisterhändler Salomon Lilian, brach die Messeleitung die Veranstaltung ab. Kritiker warfen den Verantwortlichen vor, zu spät reagiert zu haben. Wie dem auch sei. Bis zur Herbstausgabe in New York hatte die Messe jedenfalls dazugelernt. Die Veranstaltung fand nur online statt. Wer sich eingeloggt hatte, konnte von jedem Aussteller ein Objekt begutachten. Eine Funktion ermöglichte zudem, direkten Kontakt mit dem Händler aufzunehmen. Kein Schlendern durch die Messehallen also – stattdessen Konzentration auf ein detailliert vorgestelltes Werk. Top-Ergebnisse wurden am Ende zwar vorwiegend aus den Bereichen Moderne und Antiken gemeldet, aber als Instrument zur Verkaufsanbahnung bewerteten viele Händler den Kanal durchaus positiv. Das Erlebnis, ein Altmeistergemälde im Original zu sehen, kann das World Wide Web aber natürlich nicht ersetzen. Trotzdem bleibt keine Enttäuschung zurück. Der New Yorker Händler Robert Simon beispielsweise hat „Das Urteil des Paris“ von Lucas Cranach d. Ä. (1472–1553) und Werkstatt zwar noch nicht verkauft, ist aber seit der Tefaf Online mit zwei ernsthaften Interessenten im Gespräch.

Andere Veranstalter sind andere Wege gegangen. Auch die Biennale von Paris musste auf den Glanz ihres angestammten Veranstaltungsorts – das Grand Palais Éphémére, Tour Eiffel – verzichten. Als Messe-Ersatz fand online ein Symposion statt, außerdem wurde zusammen mit Christie’s eine Web-Auktion organisiert. Der Katalog beschränkte sich auf 90 Lose. Immerhin einzelne Alte Meister, etwa Pieter Brueghel d. J. (1564–1638) mit „Nestausnehmer“ (Taxe 200.000 Euro), konnten ihrer Erwartung gerecht werden. Auch die Brafa will 2021 mit einem neuen Format an den Start gehen: mit „Brafa in the Galleries“. Vom 27. bis 31. Januar empfangen die gemeldeten 126 Kunsthändler aus 13 Ländern nach strengen Hygieneregeln Interessenten in ihren eigenen Ausstellungsräumen. 

Alte Meister Jahresübersicht Salaì Auktion Artcurial
Artcurial realisierte am 18. November 2020 in Paris für „La Madeleine pénitente“ des Leonardo-Schülers Salaì (um 1480–1524) 1,4 Millionen Euro. © Artcurial, Paris

Aber trotz der Corona-Krise: Beständigkeit bleibt ein Markenzeichen der Alten Meister. Auf Auktionen war die Nachfrage der Händler nach frischer Ware zwar begreiflicherweise gedämpft. Doch insgesamt sind die Ergebnisse dennoch sehr zufriedenstellend ausgefallen. Das zeigte sich gerade inmitten der Krise, also im Frühjahr, als das Wirtschaftsleben in großen Teilen darniederlag. So erzielte Sotheby’s London mit der Auktion am 7. Mai einen Gesamterlös von 3,4 Millionen Pfund – erheblich mehr, als die vorsichtige Taxsumme von 1,5 Millionen hatte erwarten lassen. Auch Lempertz kam vergleichsweise gut durch das Krisenjahr. Digitale Wege sind auch hier – wie bei den meisten großen Häusern – seit Längerem vorhanden, nur wurden sie nun noch stärker genutzt. Auf 90 Prozent beziffert Geschäftsführer Henrik Hanstein den Anteil der Gebote über Internet und Telefon. Die Kunden seien internationaler geworden, so Hanstein. Ein Trend, den Alexander Strasoldo im Dorotheum bestätigt. Die Möglichkeit zum Live-Bidding brachte auch in Wien zahlreiche neue Interessenten zu den Alten Meistern.

Der aus den letzten Jahren bekannte Trend zu Altmeisterinnen setzte sich fort

Im Jahr der beschleunigten Digitalisierung gab es gleichzeitig einen Hang zu Werken aus den Tiefen der Kunstgeschichte. Zwar ist das 17. Jahrhundert weiterhin die ergiebigste Altmeister-Quelle, doch gibt es auch immer mehr Top-Zuschläge bei Gemälden aus dem 16. und 15. Jahrhundert. Hier dürfte der aufsehenerregende 400-Millionen-Verkauf des „Salvator Mundi“ im November 2017 bei Christie’s New York noch immer nachhallen.

Welche Entdeckungen im Umkreis von Leonardo weiterhin möglich sind, zeigte Artcurial am 18. November in Paris. Die dort versteigerte „Madeleine pénitente“ stammte von Gian Giacomo Caprotti (um 1480–1524), genannt Salaì – und damit aus dem allernächsten Umkreis Leonardos. Die Gerüchte um eine intime Beziehung des Meisters mit seinem ungestümen Padawan gehen so weit, dass hinter „Mona Lisa“ auch schon ein Anagramm von „Mon Salai“ vermutet wurde. Caprottis gut erhaltene und auf eine Entstehungzeit zwischen 1515 und 1520 geschätzte „Magdalena“ war auf vorsichtige 100.000 Euro taxiert. In der Tat sind die Erfahrungen mit gesicherten Arbeiten Salaìs gering, doch war man hier doch auffällig zurückhaltend. Nach einem telefonischen Bietgefecht wurde der Preis aber schließlich auf 1,4 Millionen Euro hochkorrigiert. Siegreich war ein amerikanischer Sammler.

Alte Meister Jahresübersicht Fede Galizia Früchtestillleben Auktion Koller
Ein kleines Früchtestillleben in Öl auf Holz von Fede Galizia (1578 – 1630) erzielte am 19. Juni 2020 bei Koller in Zürich 370.000 Franken. © Koller, Zürich

Die Zeit der Gotik und frühen Renaissance erlebt nach Jahrzehnten in der zweiten Reihe gerade einen Aufschwung. Am 29. Juli rief Christie’s in London das auf 400.000 Pfund geschätzte Porträt eines Mannes mit Gebetbuch auf. Ein „Burgundischer Meister“ hatte das Bild um 1480 geschaffen. Mit einem Zuschlag bei 1,35 Millionen Pfund wurden die Erwartungen am Ende mehr als verdreifacht.

Auch abseits der Spitzengruppe werden derzeit Erwartungen übertroffen. Van Ham in Köln rief am 19. November im Rahmen der „Classic Week“ eine kleine Tafel von Luca Signorelli (um 1450–1523) auf: „Der Heilige Nikolaus von Bari rettet drei Ritter vor der Hinrichtung“. Obwohl es sich hier um einen der wichtigen Maler der Florentiner Renaissance handelt, war Signorelli für hohe Zuschläge bisher kaum bekannt. Und so traute das Haus der Szene auch nur 10.000 Euro zu – weitergereicht wurde sie jedoch erst bei 68.000 Euro.

Im Dorotheum sorgten vier, um 1500 entstandene Tafeln aus der Passauer Schule für eine Überraschung. Die beiden Paare waren auf jeweils 40.000 Euro geschätzt, die Gebote endeten allerdings erst bei 120.000 beziehungsweise 100.000 Euro. Auch vier Tafeln aus „Süddeutscher Schule“, datiert um 1490, brachten im Juni einen überraschenden Preis, als sie sich von 500.000 auf 670.000 Euro verbesserten. Einen Rekord konnte eine 1525 datierte Altartafel mit der „Anbetung der Könige“ von Pieter Coecke van Aelst (1502–1550) erzielen. Mit einem Höchstgebot von 950.000 Euro kam der flämische Manierist erstmals in die Nähe einer Million. Bei diesem Werk wirkte aber sicherlich auch die Provenienz aus der Sammlung des niederländischen Königs Wilhelm II. preisfördernd. Das dürfte auch der Fall sein, wenn sein Triptychon aus der Sammlung Hester Diamonds im Januar bei Sotheby’s in New York zur Rekord-Taxe von 2,5 Millionen Dollar versteigert wird.

Alte Meister Jahresübersicht Ginevra Cantofoli Auktion Lempertz
Für Ginevra Cantofolis (1618–1672) „Allegorie der Mäßigung“ wurden am 30. Mai 2020 bei Lempertz in Köln 56.000 Euro bewilligt. © Lempertz, Köln

Der aus den vergangenen Jahren bekannte Trend zu Altmeisterinnen setzte sich auch 2020 fort. Artemisia Gentileschi (1593–1654), deren Ergebnisse die gesteigerte Achtung für Frauen in diesem Genre wesentlich mitbestimmt hatten, musste während der „Masters Week“ in New York zwar eine Schlappe hinnehmen: Sotheby’s hatte mit der Erwartung von 800.000 Dollar für ein Herrenbildnis einfach zu hoch gegriffen. „Galatea“ bei Christie’s konnte am 15. Oktober dann aber wieder triumphieren: Der Zuschlag von 1,75 Millionen übertraf die Erwartung von einer Million deutlich. Beliebt sind nämlich vor allem ihre Frauenbilder.

Es gibt aber noch immer viele Künstlerinnen, deren Werke in der Kunstgeschichte bislang wenig beschrieben und kaum im Markt zu finden sind. Eine von ihnen ist Orsola Maddalena Caccia (1596–1676). Als im Mai bei Sotheby’s London erstmals seit drei Jahren wieder ein Werk von ihrer Hand – ein Vogelstillleben – aufgerufen wurde, stiegen die Gebote für das für sie ungewöhnliche Sujet von 7000 auf 170.000 Pfund.

Noch immer sind Werke vieler Künstlerinnen kaum im Markt zu finden

Zu den „unbekannten“ Malerinnen zählt auch Ginevra Cantofoli (1618–1672). Im Januar wurde ihre Seenymphe bei Sotheby’s New York – dort als vermutliche „Galatea“ angesprochen – von 40.000 auf 110.000 Dollar gehoben. Und im Mai kletterte ihre „Allegorie der Mäßigung“ bei Lempertz von 15.000 auf 56.000 Euro.

Eine Art Hidden Champion ist Fede Galizia (1578–1630). Seit Jahrzehnten ist sie in Auktionen vertreten, wurde dabei teilweise grotesk untertaxiert, hat aber auch die Million schon hin und wieder übersprungen. In der Auktion am 19. Juni bei Koller in Zürich war beides nicht der Fall: Es gab einen grundsoliden Auktionserfolg. Auf 150.000 Franken geschätzt, stieg ihr „Früchtestillleben in einer Keramikschale“ auf 370.000 Euro.

Die aktuelle Diskussion um die Rolle von Frauen in der Kunstgeschichte spielt bei solchen Preissprüngen sicherlich eine Rolle. Aber hoffentlich ist es auch die Einsicht in die künstlerische Qualität ihrer Arbeiten – und nicht nur die Sehnsucht nach Marktfrische –, die den Altmeisterinnen endlich zu Anerkennung verhilft. Denn um sich gegenüber ihren männlichen Kollegen behaupten zu können, mussten Malerinnen schon immer hohen künstlerischen Ansprüchen gerecht werden.

Die Bilder aus Gotik, Renaissance und Barock haben in den vergangenen Jahrhunderten schon so manche Krise überstanden und lassen sich auch von einer Pandemie nicht unterkriegen. Aber natürlich hofft man auch in der Altmeister-Sparte auf ein Jahr 2021 in größerer Normalität. Sotheby’s hat bereits eine Sensation in Vorbereitung: Von Sandro Botticelli (1445–1510) stammt ein „Jüngling“, von dem schon jetzt ein neuer Rekordzuschlag erwartet wird.

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