Wenn es um den Kunsthandel mit der EU geht, wird durch den Brexit in Großbritannien alles komplizierter. Mit einem freizügigeren Kulturgutschutz will die Londoner Regierung dem Marktplatz Vorteile verschaffen
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21.01.2021
Wie wird sich der nun endgültig vollzogene Brexit im Alltag konkret auswirken? Darüber wird am Kunstmarkt gerade viel gerätselt und orakelt. Nur eines scheint derzeit wirklich klar zu sein: Am Ende dieses Jahres wissen wir mehr. Derweil ist die Unsicherheit groß, nicht nur in Großbritannien selbst, sondern unter allen Kunsthändlern, Auktionatoren, Sammlern oder Künstlern auf dem europäischen Kontinent, die sich eine Kunstwelt vor allem ohne London nicht vorstellen können. Dank des „Deals“, in letzter Minute an Heiligabend abgeschlossen, bleibt der Handel zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU weitgehend unbeschränkt: für (fast) alle Waren und damit auch für Kunstwerke.
Das war die große gute Nachricht in diesem ganzen unseligen Komplex. Doch so frei ist der Markt nicht mehr. Künftig müssen beispielsweise Europäer, die ein Kunstwerk bei einem Londoner Händler kaufen oder bei einer Auktion ersteigern, beim Import in ihr Heimatland Mehrwertsteuer entrichten. Insgesamt muss sich der britische Kunstbetrieb darauf einstellen, dass nur sehr wenig einfacher, vielmehr alles erst einmal viel komplizierter wird als zuvor. Das betrifft den gesamten Austausch zwischen den britischen Inseln und dem Kontinent, auch den menschlichen. Künstlerresidenzen, Forschungsaufenthalte, Arbeitserlaubnis – alles wird schwieriger. Schon wird befürchtet, dass weniger Europäer in Großbritannien arbeiten wollen. Und das Studium an einer der renommierten Kunstkademien, wichtige Station zahlreicher Erfolgskünstler, wird durch den Wegfall des Erasmus-Programms für viele Ausländer unerschwinglich. Das alles könnte die internationale Ausstrahlung von London als Ort der Gegenwartskunst künftig stark beeinträchtigen.
Was schon nach drei Wochen zum Alltag gehört: Der Kunsttransport ist aufwendiger, teurer und dauert länger. Denn trotz der Zollfreiheit müssen nun Zollunterlagen vorgelegt und Kontrollen passiert werden. Den zeitfressenden Papierkram hat ein Londoner Galerist nach den ersten Erfahrungen in einem Interview mit dem Art Newspaper als „schmerzhaften Prozess“ beschrieben. So einfach wird es für britische Kunsthändler nicht mehr sein, mal eben schnell ein Bild einem Kunden in Paris zu liefern oder in letzter Minute zur Tefaf zu bringen. Und Einlieferer aus Rom oder München werden es sich künftig zweimal überlegen, ob sie ihr Stück in London versteigern lassen.
Die Kunstspediteure werden lernen, mit der neuen Situation umzugehen. Noch aber kämpfen sie mit Verspätungen, Warteschlangen der Transporter am Fährhafen in Dover oder beim französischen Zoll. Auch die Kontrollbehörden auf dem Kontinent sind noch eingearbeitet. So soll es schon vorgekommen sein, dass Frachtkisten mit fragilen Kunstwerken von den Zöllnern unsachgemäß geöffnet wurden. Kein Wunder, dass bis zuletzt vor der Deadline Besitzer ihre Stücke aus britischen Lagern nach Europa bringen ließen. Durch diesen Exodus seien allein im Dezember bis zu 75 Prozent mehr Artefakte als im Jahr zuvor von Großbritannien in die EU geliefert worden. Hunderte Millionen an eingelagerten Kunstwerten hätten im Herbst und Winter das Land verlassen, heißt es.
Dabei darf man daran erinnern, dass vor der Einführung des deutschen Kulturgutschutzgesetzes viele deutsche Sammler schnell ihren wertvollsten Besitz, den sie vielleicht verkaufen wollten, nach London brachten. Nun also ging es retour. In diesem Zusammenhang ist durchgesickert, dass die Boris-Johnson-Regierung offenbar die EU-Bestimmungen zur Einfuhr von Kulturgut nicht übernehmen will. Antike, afrikanische oder präkolumbische Kunstwerke zweifelhafter Proveninenz würden dann beim Import in Großbritannien nicht mehr so streng durchleuchtet werden. Attraktiv wäre London nicht nur für Stücke aus Raubgrabungen oder anderen kriminellen Quellen. Sondern auch für solche, die nicht unbedingt verdächtig sind, für die es aber nach langem Zirkulieren einfach keine Dokumente zur Herkunft mehr gibt, wie sie die EU heute beim Import fordert.
Die 2019 erlassene EU-Verordnung ist ethisch wichtig, aber auch umstritten, weil sie in den europäischen Ländern den Markt für Antiken oder Tribal Art weiter schwächt, die Forderungen in vielen Fällen unrealistisch und kaum zu erfüllen sind. Im schlimmsten Fall könnten die Händler und Auktionshäuser auf dem Kontinent jetzt gegenüber London vollends ins Hintertreffen geraten. Johnson hatte ja immer angekündigt, dass er Britannien mit Dumpingsteuern und anderen Vorteilen zur internationalen Freimarktzone machen will. Hauptsache, der Rubel, pardon: das Pfund, rollt. Kulturgutschutz stört da nur.