Midcareer-Künstlerinnen wie Kiki Smith, Nan Goldin oder Katharina Grosse haben ihr Preispotenzial auf dem Kunstmarkt noch nicht ausgeschöpft. Die aktuelle Diskussion um den Frauenanteil in Museen könnte dies ändern
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15.02.2021
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Kunst und Auktionen Nr. 12/2019
Der zweite Teil unserer Reihe „The Future is female“ widmet sich Künstlerinnen, die sich in der Mitte ihrer Karriere befinden. Sie haben bereits den Reputationsaufbau hinter sich und befinden sich jetzt in einer Zeit, in der es um Nachhaltigkeit, Qualitätsmanagement und Sicherung der Marktperformance geht. Diese Frauen haben in ihrer Kunst also bereits ein hohes Niveau erreicht, das es zu halten gilt, um sich den Kuratoren, institutionellen Sammlern, Jurys und Marktteilnehmern auch weiterhin zu empfehlen. Kein leichtes Spiel. Denn häufig lebt das öffentliche Interesse nicht nur von einem guten Kontaktmanagement – oft muss man sich auf dem Weg zum Spätwerk künstlerisch gleichsam neu erfinden. In erster Linie dann, wenn die mittlere Schaffensphase – wie in der Regel der Fall – „nur“ die Essenz der experimentell angelegten Anfänge widerspiegelt.
Die folgenden acht Nachkriegskünstlerinnen verbindet, dass sich für sie bereits ein Sekundärmarkt gebildet hat, ihre Werke durch den Weg von der Galerie in den Kunst- und Auktionshandel also bereits die preisliche Feuertaufe überstanden haben. Da diese Positionen bereits sichere Fahrwasser erreicht haben, gehen Sammler hier im Vergleich zu Newcomern im Grunde nur das halbe Risiko ein. Im Gegensatz zu anderen Künstlerinnen ihrer Generation wie Tacita Dean (*1965), Pipilotti Rist (*1962) und Julie Mehretu (*1970), die sich bereits im preislichen Olymp befinden, haben die im Folgenden vorgestellten Midcareer-Künstlerinnen ihr Preispotenzial aber noch nicht entfacht. Die aktuelle Diskussion um den Frauenanteil in Museen und Sammlungen – vor allem aber das neugewonnene Verständnis für die Relevanz weiblicher Positionen – dürfte ihren Erfolg befördern. Jeder entschlussfreudige Sammler kann davon profitieren.
Angela de la Cruz (*1965)
Die Arbeiten der in Spanien geborenen Angela de la Cruz liegen irgendwo zwischen Malerei und Plastik: Drapierte, geworfene, gebrochene Oberflächen machen den Malgrund zum Objekt, in Löcher hineingezwängte Gegenstände lassen ihn zum Bildwerk werden. Was das Material angeht, zeigt sich die mittlerweile in London ansässige Künstlerin flexibel: Lackstoffe, Blech, Tuch oder auch PVC-Folie – alles ist ihr an sich recht. De la Cruz zielt mit ihren oftmals minimalistischen Arbeiten somit auf die Anatomie der bildenden Kunst. „In dem Moment, in dem ich den Fond durchschneide, werde ich die Grandiosität der Malerei los“, meint sie dazu. Und so hängen ihre Werke wie makabre Trophäen an der Wand, zeugen von einem geradezu gewalttätigen Prozess – jede eingehende Auseinandersetzung mit ihnen wird somit zur tiefgreifenden Erfahrung.
Seit de La Cruz 2010 für den renommierten Turner-Preis nominiert war, wird sie von der Londoner Lisson Gallery vertreten. Arbeiten von ihr sind aber auch bei Krinzinger (Wien) oder Thomas Schulte (Berlin) zu sehen. In der Regel kosten ihre Werke 20.000 Euro aufwärts, auf spanischen Auktionen häufig noch weitaus weniger.
Katharina Fritsch (*1956)
Die in Essen geborene, heute in Düsseldorf ansässige Katharina Fritsch ist bekannt für ihre symbolisch aufgeladenen, bunten oder auch monochromen Pop-Art-Objekte. Mal sind sie minimalistisch klein, mal monumental groß, oft aus Plastik oder Plexiglas. Thematisch umfasst das Œuvre der ehemaligen Studentin an der Kunstakademie Düsseldorf Tier- und Heiligenfiguren, Regenschirme, Totenköpfe – und vieles mehr. Zu ihren bekanntesten Arbeiten zählt die „Tischgesellschaft“, 1988 geschaffen für die Baseler Kunsthalle, die anonymisierte Männer an einer langen Tafel zeigt.
Fritschs Arbeiten waren seit den Neunzigerjahren in zahlreichen internationalen Ausstellungen zu sehen – 2002 etwa hatte sie eine umfangreiche Werkschau in der Londoner Tate Modern. Die skulpturalen Multiples der Künstlerin kann man auf Auktionen bereits ab 1000 Euro ersteigern. Wer größere Arbeiten bevorzugt, kann für 20.000 bis 30.000 Euro eines ihrer monochromen Gemälde erwerben. Angeboten werden ihre Werke unter anderem bei Jürgen Becker in Hamburg oder White Cube in London. Seit 2001 hat die Künstlerin eine Professur für Bildhauerei an der Kunstakademie Münster.
Nan Goldin (*1953)
Nan Goldin liebt das Banale und das Dramatische des Lebens – und zeigt das in ihrem fotografischen Werk, das Geschlechtlichkeit, Glamour und Schönheit thematisiert, aber auch Tod und Gewalt. Bereits als Teenager begann Goldin, Menschen und ihre Geschichten mit der Kamera zu dokumentieren. Etwa in der Bostoner Bar „The Other Side“, wo sie in den Siebzigerjahren die Welt des Transvestismus festhielt. Seit 1978 lebt die Fotografin überwiegend in New York, hält sich aber auch immer wieder länger in Berlin auf. Ihre berühmten Fotos der deutschen Hauptstadt, von denen die Griffelkunst-Vereinigung Hamburg früh Abzüge für ihre Mitglieder machen ließ, gibt es heute für moderate Preise um die 1000 Euro im Handel. Goldins Hauptwerk – „The Ballad of Sexual Dependency“ aus dem Jahr 1986 – wurde aus Hunderten Diapositiven entwickelt. Die Künstlerin erzählt darin von Menschen, die ihr bürgerliches Leben verlassen haben, gibt in diesen „visuellen Tagebüchern“ schonungslos Einblick in das Leben ihrer Freunde – und ihr eigenes. Ähnlich drastisch ist Goldins Fotoserie „Gilles and Gotscho“ (1991–1996), die ihre an Aids erkrankten Pariser Galeristen Gilles und Gotscho zeigt.
Die frühen Fotos der Achtziger- bis Neunzigerjahre zählen heute zu ihren wichtigsten Arbeiten – als Vintage bringen sie heute auf Auktionen Preise um die 20.000 Euro. Arbeiten, die nach der Jahrtausendwende entstanden, liegen bei mindestens 5000 bis 7000 Euro. Das sind moderate Preise für eine Weltkünstlerin, die in Erinnerung an ihre jahrelange Suchterkrankung auch mit einer politischen Kampagne gegen Opioide auf sich aufmerksam machte. Derzeit widmet die Goodman Gallery (New York, Johannesburg, Cape Town, London) sowie das Museum of Contemporary Art in Denver der Künstlerin eine Ausstellung.
Katharina Grosse (*1961)
Die aus Freiburg stammende Katharina Grosse lässt mit Spritzpistole und Pinsel Räume entstehen, die von der Wirkung der Farbe und ihrem erzählerischen Gehalt bestimmt werden – wie zuletzt am Beispiel ihrer Installation im Hamburger Bahnhof (Berlin) zu sehen. „Meiner Arbeitsweise im Raum liegt die Einheit von Ort, Zeit und Handlung zugrunde“, so die Künstlerin 2004. „Ihr Ergebnis, die Malerei vor Ort, ist als Faktum für einen festgelegten Zeitraum temporär zugänglich.“ Dennoch hat die frühere Studentin von Norbert Tadeusz und Gotthard Graubner auch ein großes Œuvre aus Leinwandbildern, Assemblagen und Plastiken geschaffen, das seit 2002 den Weg in die Auktionshäuser findet. In den vergangenen Jahren haben die Preise für ihre Position, die von ihrer Entdeckerin Rosemarie Schwarzwälder (Galerie nächst St. Stephan, Wien), von Johann König (Berlin) und Gagosian (New York et. al.) vertreten wird, deutlich angezogen. Bei Ketterer, München, erzielte eine 201 mal 135 Zentimeter große Leinwand vor Kurzem 180.000 Euro. Ihr grafisches Werk ermöglicht mit Preisen um die 2000 Euro noch einen moderaten Einstieg.
Leiko Ikemura (*1951)
1972 wanderte die Japanerin Leiko Ikemura nach Spanien aus, um an der Akademie in Sevilla Malerei zu studieren. Nach ihrem Umzug in die Schweiz Anfang der Achtzigerjahre hinterließ Ikemura dann in der Zürcher Szene erste künstlerische Spuren – beeinflusst von den „Neuen Wilden“. Es folgten zahlreiche Einzel- und Gruppenausstellungen, beispielsweise 1987 im Basler Kunstmuseum oder 1988 in der Dumont Kunsthalle – hier mit Zeitgenossen wie Martin Kippenberger, Sigmar Polke und Rosemarie Trockel. International berühmt wurde Ikemura dann mit ihren Bildern aus Zwischenwelten, die von märchenhaften (Misch-)Wesen beherrscht werden.
Ikemuras Arbeiten sind eine einzigartige Synthese aus westlicher und fernöstlicher Kunst – völlig zurecht wurde ihr Werk an der Schnittstelle beider Kulturen jahrzehntelang mit Preisen überschüttet. Der Internationalität ihrer Position entsprechend, sind Ikemuras Galerien über den gesamten Globus verteilt. In Deutschland lohnt sich ein Besuch bei Karsten Greve (Köln) oder Kewenig (Berlin). Recht preiswert kann man noch im Bereich der Aquarelle, die mindestens 5000 Euro kosten, in Ikemuras Welt einsteigen. Leinwände bekommt man ab 15.000, Bronzen ab 40.000 Euro.
Zoe Leonard (*1961)
Die im Bundesstaat New York geborene Zoe Leonard begann bereits im Alter von 16 Jahren, mit der Rollei-Kamera ihrer Mutter zu experimentieren. Seither verarbeitete sie mithilfe des Mediums ihre Gelegenheitsjobs als Kellnerin, Bürogehilfin, Stripperin, Prostituierte, Galerieassistentin und Model. Nach ihrem Coming-Out gründete sie 1991 mit zwei Freundinnen die Künstlergruppe „Fierce Pussy“, mit der sie öffentlich gegen die Diskriminierung von Homosexuellen protestierte. Im Jahr darauf sorgte Leonard auf der Kasseler Documenta für Aufsehen, als sie erotisierende Frauenporträts in der Neuen Galerie mit Vagina-Fotos konfrontierte – diese Arbeit sollte ihr zum internationalen Durchbruch verhelfen. Zahlreiche Ausstellungen schlossen sich an. 2007 nahm sie erneut an der Documenta teil – diesmal mit Installationen. Die in New York lebende Künstlerin wird unter anderem durch Gisela Capitain (Köln) und Hauser & Wirth (Zürich) vertreten. Im Auktionshandel rangieren ihre Werke derzeit zwischen 3000 und 30.000 Euro.
Kiki Smith (*1954)
Kiki Smith befasste sich in ihren Arbeiten lange Zeit fast ausschließlich mit dem menschlichen Körper: Sie hinterfragte Rollenbilder, das Geschlechterverhältnis, Jugend und Kindheit. Mittlerweile ist ihr Œuvre breiter gefächert, thematisiert auch Flora und Fauna, Naturphänomene und Märchen. Neben Bildwerken nehmen Papierarbeiten eine besondere Bedeutung in ihrem Schaffen ein – ihr komplettes druckgrafisches Werk schenkte die in Nürnberg geborene und in New York lebende Künstlerin vor wenigen Jahren der Staatlichen Graphischen Sammlung in München.
International wird Smith durch namhafte Galerien vertreten: in Europa seit vielen Jahren durch Lelong, Paris; in Mumbai durch Mirchandani + Steinruecke, in New York durch die Pace Gallery. Ihre großen Papierarbeiten gibt es dort ab 50.000 Euro. Im Bereich Plastik ist der Preis abhängig von Alter, Material und Größe. So liegen ihre chimärenhaften Bronzen, die oft Menschen in stereotypen Rollen darstellen, aktuell im sechsstelligen Euro-Bereich. Editionen von Gipsarbeiten mit einer Auflagenhöhe ab 20 Exemplaren gibt es hingegen noch unter 10.000 Euro. Griffelkunst-Grafiken sind bereits für rund 1000 Euro zu haben.
Cosima von Bonin (*1962)
Die in Kenias zweitgrößter Stadt Mombasa geborene, heute in Köln lebende Cosima von Bonin studierte Freie Kunst, Szenografie und Medienkunst bei Günther Förg und Johannes Schütz. Von jeher widmete sich die Künstlerin dem Feld der Konzeptkunst. Sie nutzt Textil, Film, Malerei, Skulptur, Fotografien etc. und lässt mithilfe dieser Disziplinen Installationen entstehen – teils in Übermaßen. Dabei mischt sie ihrem Werk häufig Referenzen bei, die von Martin Kippenberger bis Walt Disney reichen. Berühmt geworden ist von Bonin unter anderem mit ihren aus Stoff genähten Pilzen und „Miss Riley“, einer in verschiedenen Größen realisierten Rakete. Nach ihrer Teilnahme 2007 an der Documenta 12 in Kassel wurde die Künstlerin zum Liebling der Kuratoren, hatte zahlreiche internationale Ausstellungen.
Ihre Galeristen sind Nagel-Draxler (Köln, Berlin, München), die Galerie NEU (Berlin) und Buchholz (Köln, Berlin, New York). In New York stellt sie auch regelmäßig in der Petzel Gallery aus. Von Bonins Multiples kosten heute 2000 bis 25.000 Euro. Günstig zu haben sind nach wie vor ihre in Plastik vernähten Fotoarbeiten.