Wertvolle Kunstwerke aus Privatsammlungen und Museen wurden nicht nur während des Nationalsozialismus unrechtmäßig entzogen, sondern auch in der DDR. Welche Rolle die Stasi im Kunsthandel spielte, dokumentiert ein Forschungsprojekt des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes und des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste
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09.02.2021
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Erschienen in
Kunst und Auktionen Nr. 2
„Die Kunst, die Wissenschaft und ihre Lehre sind frei“, heißt es im Art. 34 der Verfassung der DDR von 1949. In der geänderten Version von 1968 war davon allerdings nicht mehr die Rede. Da wird im Art. 18/2 „Die Förderung der Künste“ als eine der „Obliegenheiten des Staates“ definiert. Und dieser nahm sich zu einem gut Teil das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) an. Allerdings auf die diesem Metier entsprechende Art. Das fasst das MfS-Lexikon unter dem Stichwort „Überwachung des Kulturbereichs“ knapp zusammen. In welchem Umfang und mit welchen Methoden das geschah, lässt sich aus dem „Spezialinventar zu den Stasi-Unterlagen: Auf der Suche nach Kulturgutverlusten“ ablesen, das Ralf Blum, Helge Heidemeyer und Arno Polzin 2020 veröffentlichten. Zwar wird immer nur in Stichworten genannt, was die einzelnen Aktenkonvolute im Stasi-Unterlagen-Archiv enthalten. Aber bereits diese Hinweise genügen, um zu erkennen, wie Kunst und Künstler gegängelt wurden. Wie das MfS vorging, schildert Eckhart Gillen in der Studie „Kunst: Erarbeitung strafrechtlich relevanter Beweise“ am Beispiel von drei Malern: an Roger David Servais als Opfer, an dem höchst ambivalenten Bernhard Heisig und an Ralf Kerbach, der von seinem „Freund“ – dem IM Sascha Anderson – manipuliert und verraten wurde.
Die Stasi-Akten belegen, dass die in Parteitagsreden beschworene „Pflege des nationalen Erbes“ genauso wie die aktenkundig wiederholten Aufforderungen, „Maßnahmen zur Erhöhung des Schutzes und der Sicherheit des Kulturgutes und musealer Einrichtungen“ zu treffen, zur Schimäre wurden, wenn sich Kunstwerke aus privatem wie musealem Besitz gegen harte Währungen verkaufen ließen. Das MfS war dabei keineswegs nur eine Art Hilfspolizist. Mit der Aktion „Licht“ hatte es bereits im Januar 1962 vorexerziert, wie – jenseits der geltenden Gesetze – mit dem Konfiszieren von Kunst- und Wertgegenständen die Kassen mit Devisen gefüllt werden können. Damals wurden in einer streng geheim gehaltenen Aktion der Stasi zuerst die Schließfächer und Tresore in Banken und Sparkassen, zwei Wochen später auch in Firmen, Museen, Hotels, Wohnhäusern, Kasernen und Gutshäusern gewaltsam geöffnet und geplündert – angeblich, weil sie „faschistischer Besitz“ oder „verwaist“ waren. Dass sich Erich Mielke, der Chef des MfS, und seine Untergebenen der Unrechtmäßigkeit bewusst waren, verraten die Akten, in denen „operative Umsicht und Klugheit, bei ständiger Einhaltung der Konspiration“ gefordert wird. 4,1 Millionen D-Mark trug die Beute aus 105.130 Schließfächern ein, zu der vor allem Schmuck, Briefmarken, Gold, aber auch Autografen – u. a. von Goethe, Menzel, Heine, Corinth – und Grafiken von Dürer, Baldung, Canaletto gehörten.
Das war ein Vorspiel für die Gründung der Firma „Kunst und Antiquitäten GmbH“ im Verbund der „Kommerziellen Koordinierung“ (KoKo) unter Schalck-Golodkowski zur Devisenbeschaffung. Die Stasi war zur Stelle, wenn unter dem Vorwand eines Steuervergehens Sammler verhaftet und ihre Sammlungen – in rund 200 Fällen – „als Ausgleich für die Steuerschuld“ beschlagnahmt wurden. Und das schloss die Beurteilung und Überwachung der westlichen Händler und Auktionatoren ein, die als Kunstkäufer in die DDR kamen. Das verrät die Notiz über die „Überprüfung eines Auktionators des Hanseatischen Auktionshauses Bolland und Marotz, Bremen, Kunde der Firma Kunst- und Antiquitäten GmbH, Berlin“. Es schloss das Ausspionieren von privaten Sammlungen ein, wie Fotos einer Wohnung mit Antiquitäten belegen.
Und die Akten verschweigen auch nicht die MfS-Aktivitäten in der BRD. Auffällig oft werden da Kunstdiebstähle und Einbrüche in Museen und Kirchen registriert. Und kaum weniger häufig ist die Rede vom Verdacht der persönlichen Bereicherung und der Korruption bei den KoKo-Angestellten. Unter denen nicht wenige als IM dem MfS zuarbeiteten. Das listet ohne Scheu vor Namensnennungen die „Zweite Ergänzung“ zum Bericht des Bundestags-Untersuchungsausschusses über „den Kunsthandel in der DDR nach Gründung der Kunst und Antiquitäten GmbH“ vom März 1993 auf.
„Auf der Suche nach Kulturgutverlusten. Ein Spezialinventar zu den Stasi-Unterlagen“
von BStU und Deutsches Zentrum Kulturgutverluste
2. Auflage, Berlin 2021, Print (2 Euro) und PDF