Auktionsmarkt für Skulpturen

Wie entwickelt sich der Markt für Bildhauerkunst?

Die Preise von Skulpturen sind vergleichsweise moderat, selbst wenn sie aus ehrwürdigen Zusammenhängen und noblen Provenienzen stammen, sehr dekorativ oder ganz einfach nur schön sind 

Von Angelika Storm-Rusche
20.05.2021
/ Erschienen in Kunst und Auktionen Nr. 7

Die in der Antike zu großer Blüte gelangte Bildhauerkunst überlebte die Spätantike und das frühe Mittelalter – nach allgemeiner Kenntnis – nur in der Reliefkunst, das heißt in der Elfenbeinschnitzerei sowie der Sarkophag- und Bauplastik. Das rundplastische Werk war gänzlich verdrängt, bis es sich – begründet, ja beflügelt durch das erstarkte Christentum – erneut Bahn brach: zaghaft zunächst, dann aber mit großer Kraft. Angefangen hatte die Wiederbelebung am Ende des 10. Jahrhunderts mit dem Gero-Kruzifixus (Kölner Dom) und der Goldenen Madonna (Essener Dom).

Und sie vor allem – die Madonna mit Kind – inspirierte über die Jahrhunderte unzählige Bildhauer. Diese Vorliebe schlägt sich immer noch in der Anzahl der sakralen Mutter-und-Kind-Gruppen nieder, die auf den Kunstmarkt kommen – allein bei Hampel in München wurde im Jahresverlauf rund ein Dutzend aufgerufen, wobei die stehenden die thronenden Madonnen an Zahl übertrafen. Unterschiedlich wie die Datierungen waren die von Statuetten- bis Lebensgröße reichenden Maße und Werkstoffe: Elfenbein, Alabaster, Sandstein und verschiedene Hölzer, die wiederum meist farbig gefasst.

Dementsprechend bewegten sich die Taxen und Zuschläge in teilweise beachtlichen Differenzen. Neumeister in München konnte eine niederbayrische, um 1480 datierte „Maria mit Kind (Mondsichelmadonna)“ Ende September 2020 bei 15.500 Euro knapp über der Taxe weiterreichen. Das Dorotheum in Wien schlug eine solche Madonna aus dem 15. Jahrhundert Anfang Juni 2020 bei 23.000 Euro zu (Taxe 25.000 Euro). Und im Kölner Auktionshaus Van Ham stieg eine „Mondsichelmadonna“ aus dem Umkreis von Veit Stoß, holzsichtige Linde, um 1500, im November von 14.000 auf 22.000 Euro. Beide Attribute, der Apfel in der Hand des Kindes und die Mondsichel zu Füßen der Madonna, die letztlich auf die Erlösung verweisen, finden sich recht oft in der hoch- und spätmittelalterlichen Kunst.

In der Bildhauerkunst kommt die „Madonna lactans“ vergleichsweise selten vor. Lempertz offerierte am 14. November 2020 in Köln ein französisches Exemplar aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts, das von 12.000 auf 82.000 Euro kletterte. © Lempertz, Köln
In der Bildhauerkunst kommt die „Madonna lactans“ vergleichsweise selten vor. Lempertz offerierte am 14. November 2020 in Köln ein französisches Exemplar aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts, das von 12.000 auf 82.000 Euro kletterte. © Lempertz, Köln

Anders als in der Malerei kommt die „Madonna lactans“, die ihr Kind nährende Madonna, selten in der Bildhauerkunst vor. Lempertz in Köln konnte Mitte November ein Exemplar von einiger Exklusivität anbieten. Diese „Madonna lactans“ steht aufrecht und trägt das Kind in ihrer rechten Armbeuge, beide Haltungen gehen gegen den Trend. Das reiche Faltenspiel ihrer Gewänder, Schüsselfalten und seitlichen Kaskaden, entspricht dem der sogenannten Schönen Madonnen, wenngleich sie auf deren geschwungenes Standmotiv verzichtet. Gemeißelt ist sie aus Sandstein, der dezent farbig gefasst ist. Das Sternornament auf dem Gewand lässt sich als Christussymbol deuten; die Lilienkrone zeichnet Maria als Himmelskönigin aus. Zweifelsfrei war der französische Künstler der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts auf der Höhe seiner Zeit – kein Wunder, dass sich der Schätzpreis der Gruppe von 12.000 auf 82.000 Euro vervielfachte. Mit Aufgeld hat das Objekt die Grenze der Hunderttausend überschritten, was bei mittelalterlicher Skulptur und Plastik schon stattlich ist. 

Denn es scheint sich insgesamt zu bestätigen, dass die Schätz- und meist auch die Hammerpreise der Bildhauerwerke vergleichsweise moderat sind, selbst wenn sie aus ehrwürdigen Zusammenhängen und noblen Provenienzen stammen und – auch von Belang – sehr dekorativ oder ganz einfach schön sind. Das wiederum trifft nicht nur auf die spätmittelalterlichen Madonnen zu, sondern insbesondere auf den „Heiligen Johannes“, der im Dezember bei Nagel in Stuttgart – ganz zu Recht – 50.000 Euro und damit mehr als die sechsfache Taxe erreichte. Dieser Apostel erfüllt die etablierte Johannes-Ikonografie auf geradezu anmutige Weise. Er ist in emotionaler Bewegung: Barfüßig schreitet er über eine als Rasen gestaltete Plinthe; er gestikuliert mit wunderbar ausgeprägten, „sprechenden“ Händen. Sein von Korkenzieherlocken gerahmtes Antlitz ist von strahlender Jugend. Festlich leuchtet die – später übergangene – farbige Fassung seiner Gewandung mit goldenen Bordüren. Geschaffen hat ihn um 1500 der unter einem Notnamen bekannte Kemptener Meister des Imberger Altars.

Der um 1500 vom Meister des Imberger Altars aus Zirbelholz geschnitzte „Heilige Johannes“, der im Dezember 2020 bei Nagel in Stuttgart einen Zuschlag von 50.000 Euro erreichte, erfüllt die etablierte Johannes-Ikonografie auf geradezu anmutige Weise. © Nagel, Stuttgart
Der um 1500 vom Meister des Imberger Altars aus Zirbelholz geschnitzte „Heilige Johannes“, der im Dezember 2020 bei Nagel in Stuttgart einen Zuschlag von 50.000 Euro erreichte, erfüllt die etablierte Johannes-Ikonografie auf geradezu anmutige Weise. © Nagel, Stuttgart

In den Jahrzehnten um eben diese Jahrhundertwende kulminierte der Skulpturen-Boom, der mit der zunehmenden Bedeutung der Apokryphen eingesetzt hatte. Diese Schriften schmückten die Lebensgeschichten etwa der Jungfrau Maria oder des Jesuskindes für jedermann verständlich aus, sodass man sich mit ihnen identifizieren und sich ein Bild von ihnen machen konnte.

Überdies hatten neben den biblischen die mit Martyrien und Legenden verbundenen Gestalten an Popularität gewonnen. Zu ihnen zählt der bei Van Ham im November auf 7000 Euro taxierte, alpenländische „Heilige Florian“, als römischer Ritter szenisch dargestellt, wie er ein brennendes Haus löscht. Er brachte 6500 Euro ein. Der „Heilige Vitus“, sehr vorsichtig auf 2000 Euro taxiert, überraschte das Kölner Auktionshaus im September mit einem Ergebnis von 26.000 Euro. Weil Vitus unerschütterlich dem christlichen Glauben anhängt, wird er grausamen Martyrien ausgesetzt, die er gleichermaßen wundersam übersteht. Auch den siedenden Ölkessel verlässt er unversehrt. Um 1520 hat ein Künstler diese Folter sozusagen wörtlich vor Augen geführt, aus Lindenholz geschnitzt und anschaulich farbig gefasst. Bei Scheublein in München wurde eine um 1510 datierte, süddeutsche Standfigur des „Heiligen Vitus“ Anfang Juli schon bei 3600 Euro zugeschlagen. Leidend schaut er auf den Betrachter und hält in beiden Händen den Ölkessel zum Beweis seines Martyriums.

Ein „Heiliger Vitus“, um 1520 in Süddeutschland aus Lindenholz geschnitzt, überraschte im September 2020 bei Van Ham in Köln mit einem Ergebnis von 26.000 Euro – die Taxe hatte bei 2000 Euro gelegen. © Van Ham, Köln
Ein „Heiliger Vitus“, um 1520 in Süddeutschland aus Lindenholz geschnitzt, überraschte im September 2020 bei Van Ham in Köln mit einem Ergebnis von 26.000 Euro – die Taxe hatte bei 2000 Euro gelegen. © Van Ham, Köln

Grundsätzlich erfordert die dreidimensionale Bildhauerkunst die Vorbesichtigung an Ort und Stelle. Wie ist die Raumwirkung eines Kunstwerks? Wie kann es präsentiert werden? Hat es mehr als eine Schauseite? Fügt es sich in eine Sammlung? Die Besichtigung des Originals aber ist seit mehr als einem Jahr nicht mehr möglich, denn Corona erzwingt Online-Vorbesichtigungen und Online-Auktionen. Erstaunlich günstig ist dennoch die nahezu einhellige Antwort der Auktionshäuser auf die Frage nach den Auswirkungen der Pandemie. Sie sind gleichermaßen auf Online-Auktionen umgestiegen, wozu beispielsweise im Dorotheum auch Video-Expertenberatungen zählen. Die Häuser stellen keinerlei Einbußen im Vergleich zu den Vorjahren fest, solange die Qualität der Objekte stimmt. Für die Mitte Dezember zurückgewiesenen sakralen Reliefs im Wiener Auktionshaus im Kinsky hätte man demzufolge eigentlich Interessenten erwarten können, ebenso für die Gruppe der „Mutter Gottes mit dem Heiligen Johannes Evangelist“, Taxe 8000 Euro, die im November bei Van Ham keinen Abnehmer fand.

Qualität kann man der „Reliquienbüste einer Heiligen“ durchaus nachsagen; und fraglos kann man das mit 20.000 Euro angesetzte Werk, das bei Schlosser in Bamberg Ende Juli 30.000 Euro erzielt hat, wiederum schön nennen. Die Märtyrerkrone schmückt das von dunklen Locken gerahmte, ebenmäßige Antlitz. Positiv wirkt sich gewiss die Zuschreibung an den Meister der Schreinmadonna des sogenannten Eggenberger Altars aus. Solche Notnamen relativieren die Anonymität eines Kunstwerks. Die recht ungewöhnliche Büste „Heilige Jungfrau“, die bei Neumeister Mitte Juli von 15.000 auf 30.000 Euro gehoben wurde, kann dem Umkreis des Meisters von Seeon zugeordnet werden. Auch sie vertritt die Anmut ihrer Epoche. Eine „Physiognomie von verhalten-fröhlichem Ausdruck“ wird ihr attestiert. Diese beiden Skulpturen bestätigen die späten Datierungen der meisten Lose.

Eine qualitätvolle „Reliquienbüste einer Heiligen“, dem Meister der Schreinmadonna des sogenannten Eggenberger Altars zugeschrieben, kletterte Ende Juli 2020 bei Schlosser in Bamberg von 20.000 auf 30.000 Euro. © Schlosser, Bamberg
Eine qualitätvolle „Reliquienbüste einer Heiligen“, dem Meister der Schreinmadonna des sogenannten Eggenberger Altars zugeschrieben, kletterte Ende Juli 2020 bei Schlosser in Bamberg von 20.000 auf 30.000 Euro. © Schlosser, Bamberg

Einige Kruzifixe dagegen, etwa ein bei Hampel im Dezember für 6000 Euro angebotener romanischer „Christus“, gehen zurück in das Hochmittelalter. Der kleine romanische Korpus aus vergoldeter Kupferbronze, der um 1300 in Südfrankreich oder Nordspanien entstanden ist, könnte zu einem Vortragekreuz gehört haben. Das Elfenbeinrelief von der Îsle-de-France mit der „Anbetung der Könige“, im selben Münchner Haus im März 2021 auf 4500 Euro geschätzt, gehört dem 14. Jahrhundert an, während das Holzrelief „Auferstehung Christi“ bei Leo Spik in Berlin schon wieder in das frühe 16. Jahrhundert führt, als am Niederrhein ganz allgemein die Schnitzkunst blühte. Dieses Artefakt war, wohl wegen des teilweise wurmstichigen Eichenholzes, mit nur 800 Euro in die März-Auktion 2020 gestartet und erbrachte 3800 Euro – ist aber selbst damit noch ein Beispiel für preiswerte Schnitzwerke. Ein im Sinn der Bedeutungsperspektive übergroßer Christus entsteigt seinem Grab, das von römischen Soldaten bewacht wird. Mit der architektonischen Rahmung ist der Künstler bereits in der Renaissance angekommen. Grundsätzlich erlaubt die Reliefkunst, der Malerei vergleichbar, eher narrative und sogar vielfigurige Darstellungen, folglich eine größere Themenvielfalt als bei rundplastisch konzipierten Figuren.

Die Heiligen werden in Renaissance und Barock nicht an Bedeutung in der Bildhauerkunst verlieren; sie werden jedoch nicht allein um die Gunst der Bieter buhlen. Neben dem Bildnis, Ausdruck eines neuen Selbstwertgefühls, kommen vor allem mythische Themen auf. Venus und Amor beispielsweise werden als starke Konkurrenten der Madonna mit Kind ins Blickfeld geraten.

Eine recht ungewöhnliche Büste der „Heiligen Jungfrau“, dem Umkreis des Meisters von Seeon zugeordnet, verdoppelte mit einem Zuschlag bei 30.000 Euro Mitte Juli 2020 bei Neumeister in München die Taxe. © Neumeister, München
Eine recht ungewöhnliche Büste der „Heiligen Jungfrau“, dem Umkreis des Meisters von Seeon zugeordnet, verdoppelte mit einem Zuschlag bei 30.000 Euro Mitte Juli 2020 bei Neumeister in München die Taxe. © Neumeister, München

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