Bei der diesjährigen ARCOlisboa steht zeitgenössische afrikanische Kunst im Fokus – eine Preview durch unseren Autor vor Ort
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18.05.2022
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Erschienen in
Kunst und Auktionen 9/22
Die diesjährige ARCOlisboa macht die portugiesische Metropole erneut zu einem Treffpunkt für Sammler, Galeristen, Künstler und Kunstfachleute aus aller Welt. Vom 19. bis zum 22. Mai findet die fünfte Ausgabe der Messe statt, bei der rund 65 vom Organisationskomitee ausgewählte Galerien aus 14 Ländern teilnehmen und Kuratorenteams verschiedener Sektionen ihre Inhalte mit 470 internationalen Künstlern präsentieren.
Hier nimmt die Messe nach den letzten Ausgaben, die aufgrund der Pandemie online stattfanden, ihr großes Thema der (De-)Kolonialisierung wieder auf – wobei in diesem Jahr der zeitgenössischen afrikanischen Kunst eine Bühne bereitet wird. Insbesondere die Prozesse der Besetzung und Aufteilung afrikanischer Territorien durch die kolonisierenden Völker spielen bei den Bildthemen vieler Arbeiten eine Rolle – so können die Werke als Lesarten der kulturellen und künstlerischen Befindlichkeit der kolonisierten Länder rezipiert werden. Man liefert damit auch einen ganz neuen Blick auf die historischen Ereignisse, die jahrzehntelang einzig und allein aus eurozentristischer Sicht betrachtet wurden. Die beiden Arco-Länder Spanien und Portugal stellen sich dabei auch ihrer eigenen kolonialen Vergangenheit. Insgesamt bauen die Kuratoren also nicht mehr nur eine Brücke nach Lateinamerika, wie der bei der Neugründung der ARCOlisboa formulierte Anspruch lautete, sondern ebenso nach Afrika. 15 Prozent der Galerien reisen nach Lissabon, um dort afrikanische Kunst zu zeigen – unter anderem Werke aus Angola, Mosambik, Südafrika und Uganda.
Wie zur letzten Präsenzveranstaltung 2019 setzen die Macher aus Madrid wieder auf das bewährte, intime Messeformat im „Boutique-Style“. Dabei kommen ihnen die räumlichen Gegebenheiten des Veranstaltungsortes sehr entgegen. Wie zuletzt ist es die Fábrica Nacional da Cordoaria in Lissabons Hafengegend Belém – eine 500 Meter lange Fabrikhalle, in der im 18. Jahrhundert Taue für die Marine gefertigt und Kleidung, Flaggen, Segel für die großen portugiesischen Seefahrer genäht wurden.
Wenngleich Portugal mit seinen rund elf Millionen Einwohnern ein kleines Land ist, gibt es nach der weitgehend überwundenen Wirtschaftskrise und der fast beendeten Pandemie dort wieder eine lebendige Kunstszene mit etwa 120 Galerien, die sich weitgehend auf die Städte Lissabon und Porto verteilen. Die Messe rechnet daher auch in diesem Jahr wieder mit etwa 11.000 Besuchern und lässt zudem – um in der Branche maximales Interesse am Event zu generieren – etwa 150 professionelle Besucher (Top-Sammler, Museumsleute, Kuratoren großer Sammlungen) einfliegen.
Das Gros der Galerien kommt naturgemäß aus Spanien und Portugal, etwa zu gleichen Teilen. Aus Madrid reisen in diesem Jahr Schwergewichte wie Helga de Alvear, Juana de Aizpuru, Heinrich Ehrhardt und Horrach Moyá an. Und aus Lissabon kommen beispielsweise Filomena Soares, Cristina Guerra, Madragoa und Miguel Nabinho, die die Szene vor Ort prägen. Mit dabei haben sie auch dieses Mal wieder viele portugiesische Klassiker, die das Interesse ihrer Sammlerschaft dominieren. Vorneweg José Pedro Croft, Fernanda Fragateiro, Helena Almeida, Pedro Cabrita Reis, Alexandre Farto aka Vhils. Der Letztgenannte, ein Urban-Artist, erhält zeitgleich zur Kunstmesse im Museum of Art, Architecture and Technology (MAAT) auch eine große Einzelausstellung – die Schau „Prisma“ (bis 5. 9.) zeigt seine Schlüsselwerke im öffentlichen Raum weltweiter Metropolen. Erstmals nehmen keine Galerien aus Deutschland und der Schweiz teil. Dafür präsentiert sich Österreich mit einem starken Programm, vertreten durch die Wiener Galeristen Krinzinger, Lukas Feichtner und Zeller van Almsick. Südamerika ist mit drei Galerien aus Uruguay und Brasilien am Start.
Die Besucher der ARCOLisboa erwartet somit vier Tage intensives Programm. Verbunden mit der Möglichkeit, in die zeitgenössische afrikanische Kunst einzutauchen und weniger bekannte Positionen zu studieren, die sich seit rund drei Jahren aber bereits vermehrt in großen Kollektionen wiederfinden. Eine Chance, die sich ernsthafte Sammler nicht entgehen lassen sollten. Denn seit der ghanaische Maler Amoako Boafo (* 1984) einen kometenhaften Aufstieg im internationalen Kunstmarkt hingelegt hat – auf Auktionen mit seinen Werken mitunter siebenstellige Preise erzielt –, boomt die figurative Malerei afrikanischer und afroamerikanischer Künstler.