Die Art Basel findet nach zwei Corona-Jahren wieder an ihrem angestammten Termin im Juni statt. Ihr Blick richtet sich vor allem auf Europa und den Brückenschlag in die USA
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15.06.2022
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Erschienen in
Kunst und Auktionen 10/22
Schwertschlucken ist eine Performance-Kunst. So sah das auch die berühmte russisch-jüdische Fotografin Diane Arbus, als sie 1970 auf den Auslöser ihrer Kamera drückte: Die Stahlklinge schiebt sich auf ihrem Lichtbild gerade durch Rachen und Speiseröhre der Schwertschluckerin – und hätte im Fall eines Missgeschicks ernsthafte Konsequenzen zur Folge. Das Werk der Fotokünstlerin, die stets ein Auge für die Randfiguren der Gesellschaft hatte, kann als Symbol für die momentane Gratwanderung der Art Basel gelesen werden, die im Entstehungsjahr des Fotos als Mutter aller Kunstmessen startete: Vom 11. bis zum 16. Juni 1970 fand die erste Ausgabe statt. Heute, im 52. Jahr ihres Bestehens, kostet ein Gelatinesilberabzug des Schwertmotivs am Stand von Howard Greenberg aus New York, der international führenden Galerie für Fotokunst, 25.000 Dollar.
Wie nah sich die Veranstaltung momentan am Abgrund bewegt, konnte jüngst auf dem Ableger in Hongkong studiert werden. Die Sammler waren dort nicht mehr so gewohnt kauffreudig und unter dem Strich litt die Messe an Besucherschwund – was am Ende zu deutlich weniger Umsatz führte. Es mag sein, dass eine Teilschuld daran der Termin getragen hat – denn man befand sich im direkten Wettbewerb mit den etwa zeitgleich angesetzten Veranstaltungen New York Art Week und Frieze New York. Sicher ist aber auch, dass die kommende Art Basel in der Schweiz selbst eine hausgemachte Konkurrenz zum asiatischen Ableger geworden ist, die natürlich beide um die großen Sammler buhlen. Denn der Sonderstatus von Hongkong wurde aufgelöst – und so steht der Standort in der ehemaligen britischen Kronkolonie künftig zumindest auf wackligen Füßen. Von den politischen Verwerfungen in China, die nicht gerade Vertrauen schaffen, einmal ganz zu schweigen.
Nur elf wichtige Galerien aus Asien reisen diesmal in die Schweiz, die meisten davon aus China. Ähnlich schlecht vertreten ist der südamerikanische Kontinent mit neun Exponenten, ein Hauptanteil davon kommt aus Brasilien. Komplett unterrepräsentiert ist Afrika: Gerade mal drei Teilnehmer, davon zwei aus Südafrika, haben ihre Anreise zugesagt. Dass der Markt für die zeitgenössische afrikanische Kunst zunehmend mehr Beachtung findet – wie zuletzt auf der Arco Lisboa zu sehen –, wird in Basel also nur sehr eingeschränkt sichtbar. Bestenfalls tauchen afroamerikanische Positionen dort auf – beispielsweise die diesjährige Biennale-Gewinnerin Simone Leigh bei Hauser & Wirth.
Die Ausgabe ist also vor allem eine europäische Messe – annähernd 70 Prozent der 234 angekündigten Galerien kommen aus diesem Teil der Erde. Hier wird das Feld von deutschen Teilnehmern dominiert, die 44 Exponenten stellen – überwiegend aus Berlin. Carlier Gebauer hat Skulpturen von Thomas Schütte im Gepäck, Contemporary Fine Arts Malerei der Britin Cecily Brown, Eigen & Art Werke des Italieners Nicola Samori. Auch 29 brexitgeplagte Briten versuchen, ihre Defizite in der Schweiz auszugleichen. Frankreich, Italien und die Schweiz liegen mit jeweils um die 20 Teilnehmern gleichauf.
Was diese erste Ausgabe der Messe nach Corona aber wieder recht gut hinbekommt, ist der transatlantische Brückenschlag in den weltweit noch immer führenden Kunstmarkt der USA. Die großen Player von dort sind alle wieder angereist, überwiegend aus New York. Sie stellen nahezu 25 Prozent der Aussteller. Ungewöhnlich dabei ist, dass die US-amerikanischen Galerien nun auch verstärkt politische Kunst präsentieren. Die Zeit für Chichi à la Jeff Koons & Co. scheint angesichts globaler Herausforderungen wie Krieg, Pandemie, Wirtschafts-, Energie- sowie Lebensmittelkrise vorbei zu sein. Ein nachdenklicher, ernsthafter Ton ist bei den Akteuren eingezogen – und dabei übernimmt das Medium der Fotografie an vielen Ständen das Kommando. Unlängst hatte ja auch die 8. Triennale der Photographie in Hamburg in zwölf Ausstellungen den Anspruch formuliert, das künstlerische Medium unserer Zeit zu sein. Und so zeigt Howard Greenberg in Basel auch aktuelle Fotografien zum Ukraine-Krieg des Magnum-Fotografen Alex Majoli – darunter der Kampf um Odessa (90 x 120 cm, 10.500 Dollar). „Manufacturing #17“ (90.000 Dollar) von Edward Burtynsky thematisiert die Massenverarbeitung von Hühnern in China.
Die diesjährige Art Basel versucht mit mehr als 4000 Künstlern von fünf Kontinenten sowie zeitgleichen Ausstellungen in und um Basel einen Neuanfang. Anders als die Schwertschluckerin von Diane Arbus, die nach der goldenen Regel agiert „Do not disturb“, ist die Art Basel aber auf das Gegenteil angewiesen: Sie muss sich wieder Gehör in der Kunstwelt verschaffen. Für die immer noch hoch verschuldete Messe ist das überlebenswichtig. Angesichts von über einer Milliarde Franken Minus, die über viele Jahrzehnte hinweg angehäuft wurden, ist aber leider davon auszugehen, dass sich die Veranstaltung trotz des kürzlichen Einstiegs des Investors James Murdoch (Sohn des US-amerikanischen Medienunternehmers Rupert Murdoch) wirtschaftlich nicht so schnell erholen wird. Den Ausstellern immerhin und ihrer Kunst ist eines wieder gewiss – der Applaus ihres Publikums.