Die Armory Show zieht von den Landungsbrücken mitten ins New Yorker Zentrum und blüht auf. Die Zusammenarbeit mit dem Tennisturnier US Open soll zudem ein neues Publikum anlocken
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24.08.2022
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Kunst und Auktionen Nr. 13/22
Immer tiefer gräbt sich die New Yorker Armory Show ins Gewebe New Yorks, ihre im vergangenen Jahr ausgedachte Initiative „Armory Off-Site“ (bis 11. September) reicht bis in den entfernten Stadtteil Queens. Die auf mehrere Jahre angelegte Partnerschaft mit der United States Tennis Association (USTA) soll zum ersten Mal die zum US Open-Tennisturnier angereisten Fans „zum lebhaften Austausch“ anregen, so die Hoffnung von Messedirektorin Nicole Berry. Eine kühne, vielversprechende Idee. Selbst im vergangenen Jahr waren über 600.000 Besucher zu einer der meistbesuchten Sportveranstaltungen gekommen. Großskulpturen junger Künstler wie die vom schwarzen Brooklyner Myles Nurse geschaffene abstrakte Stahlfigur fordern das bisher einzige Kunstwerk auf dem weitläufigen Areal, „Soul in Flight“, Eric Fischls konventioneller Tribut an die schwarze Tennislegende Arthur Ashe, heraus.
In Manhattan selbst kann sich die Messe zum neuen Herbsttermin und am neuen Standort endlich zu voller Grandezza entfalten. Nach viel zu vielen Jahren auf den schwierig zu bespielenden Landungsbrücken im Fluss Hudson findet sich die 28. Ausgabe im Kongresskomplex Javits Center wieder. Eigentlich gab es die Premiere in dem gläsernen Bau schon im vergangenen September. Aber Covid-Reisebeschränkungen und Transportprobleme erlaubten nur einer Handvoll ausländischer Teilnehmer die Anreise. Von 211 angemeldeten Händlern waren immerhin 157 anwesend, der Rest war virtuell auf Armory online präsent.
Die Veranstaltung stieß dennoch auf uneingeschränkte Begeisterung. „Ich denke, der Umzug war ein spektakulärer Erfolg. Es ist elegant, durchdacht, gut angelegt. Jeder hat genügend Platz und fühlt sich wohl“, schwärmte Galerist Sean Kelly, der seit zwanzig Jahren auf der Armory Show ausstellt und wie gewohnt gut verkaufte.
In diesem Jahr ist die Teilnehmerzahl sogar auf über 240 Galerien aus 30 Ländern angewachsen, die letzte Ausgabe auf den Piers, im Jahr 2020, hatte 183 akzeptiert. New York wird es als Drehpunkt des weltweiten Handels leicht verkraften. Denn wie der von der Messe „Independent“ gemeinsam mit dem Kunstlager „Crozier” bei Clare McAndrew (nach Daten des Jahres 2020) in Auftrag gegebene „New York Art Market Report“ darlegt, lebt mindestens die Hälfte von weltweit geschätzten etwa 3000 Top-Sammlern in New York. Ein Sammler gebe hier durchschnittlich 759.000 Dollar jährlich für Kunst aus, besonders spendabel sei die sogenannte Silent Generation der über 77-Jährigen, die im Schnitt sogar zu 3,4 Millionen Dollar jährlich einkaufen.
Vor allem Nachwuchstalente seien in der Stadt gefragt, und mit Neuestem kann man sich auf der Armory Show wieder sehr gut eindecken. Ihr Sektor „Presents“, auf dem keine zehn Jahre alte Galerien ausstellen, ist in dieser Ausgabe von zuletzt 26 auf 40 Stände angewachsen. Hier bietet etwa die mit einer guten Spürnase für vielversprechende Newcomer versehene Galerie Sargent’s Daughter (New York / Los Angeles) Emily Furrs Gemälde an, die Objekte in Großaufnahme zeigen. Calderón (New York) spezialisiert sich seit dem vergangenen Herbst erfolgreich auf junge Künstler lateinamerikanischer Herkunft (Latinx) und zeigt Joiri Minaya und Christian Ruiz Berman.
Auch unter die Arrivierten, angeführt von David Zwirner, wo Huma Bhabha und Chris Ofili gezeigt werden, oder Almine Rech, mit Vaughn Spanns Mixed-Media-Abstraktionen, mischen sich neue Stimmen. Dave Kimelberg, Mitglied des New Yorker Seneca-Stamms, gründete K-Art in Buffalo für zeitgenössische Kunst indigener Völker Amerikas. Zum ersten Mal ist auch Silverlens Gallery aus dem philippinischen Manila mit südostasiatischen Künstlern dabei. Hier und da sind zudem historische Arbeiten unter das Angebot gemischt: ACA Gallery (New York) wartet mit einer Solo-Präsentation der AbEx-Vertreterin Grace Hartigan auf, bei dem auf Nachkriegskunst und Moderne spezialisierten Erstteilnehmer Larkin Erdmann (Zürich) hängen unter anderem Gemälde von Man Ray, und Walter Storms Galerie (München) reist mit den Abstraktionen Günter Fruhtrunks an. Die riesige gläserne Messehalle bietet auch dem Sektor „Platform“ mit Installationen in Übergröße genügend Raum. In diesem Jahr zeichnet Tobias Ostrander, Kurator für lateinamerikanische Kunst an der Tate, London, für die Auswahl verantwortlich. Unter dem Thema „Monumental Change“ greifen ein Dutzend Arbeiten die aktuelle Diskussion um den Begriff des öffentlichen Denkmals auf.
Ihren neuen Herbsttermin bespielt die Armory Show nicht allein. Die Spezialmesse „Art on Paper“ sagte sich mit 95 Ausstellern ebenfalls vom immer unbeständigen Monat März los. Und eine neue Messe – „Independent 20th Century“, Ableger der wichtigen Boutiquemesse „Independent“ – geht ebenfalls an den Start. Sie widmet sich internationalen Künstlern des 20. Jahrhunderts, die vergessen wurden oder nie einen Durchbruch hatten. Keine ganz neue Idee: Seit etwa einer Dekade schöpfen die Frieze Fairs und Art Basel Miami Beach mit großem Erfolg das wachsende Marktpotenzial aus.
Messedirektorin Elizabeth Dee und Mitorganisator Matthew Higgs haben 32 Aussteller, darunter die New Yorker Cheim & Read, Karma, Garth Greenan Gallery, Nahmad Contemporary oder Venus Over Manhattan ausgewählt, die insgesamt 70 Künstler zeigen. Da findet sich der begabte Dilettant Chico da Silva (1910–1985) bei der neu gegründeten Galerie Galatea aus São Paulo, der in Gouachen und Gemälden Kreaturen des Regenwalds zeigt. Die Galleria Tommaso Calabro aus Mailand erinnert an den italienischen Surrealisten Stanislao Lèpri (1905–1980). Der gebürtige Haitianer Paul Gardère (1944–2011) wird von „Soft Network“ präsentiert, einer gemeinnützigen New Yorker Organisation, die sich neuerdings um Künstlernachlässe kümmert.
Kuratoren wie Sammler und Sammlerinnen sollten die Messe auch als Recherchegelegenheit nutzen, so Dee, und nicht jedes Werk sei käuflich. Aussteller könnten mit Hilfe von Museumsleihgaben das volle Potenzial der von ihnen gezeigten Künstler ausleuchten.