Bei der Konservierung von Kunst denkt Daniel Hess Jahrhunderte voraus. Ein Gespräch mit dem Direktor des Germanischen Nationalmuseums über die Tücken der Restaurierung und das Wohlergehen von Antiquitäten
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09.08.2022
Jeden Sommer und parallel zu den Wagner-Festspielen im benachbarten Bayreuth finden in Bamberg die Kunst- und Antiquitätenwochen statt. Das ist Anlass genug, sich Gedanken um den Erhalt und die Pflege von Altmeistergemälden, gotischen Skulpturen oder historischen Möbeln zu machen. Denn wer alte Kunst erwirbt und mir ihr leben will, sollte für sie auch Sorge tragen. Der Kunsthistoriker Daniel Hess kennt sich bei diesen Fragen bestens aus, denn er leitete viele Jahre die Sammlung der Gemälde und Glasmalereien bis 1800 im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg. Seit Juli 2019 leitet der Schweizer als Generaldirektor das GNM. Mit mehr als 1,3 Millionen Objekten ist es das größte kulturhistorische Museum im deutschsprachigen Raum.
Herr Professor Hess, welchen Anteil nehmen restauratorische Fragen in Ihrer Arbeit als Generaldirektor des Germanischen Nationalmuseums ein?
Restauratorisch-konservatorische Fragen spielen immer eine zentrale Rolle im Museumsbetrieb, aktuell im GNM vor allem bei unseren vielen großen Bau- und Sanierungsmaßnahmen. Ein Beispiel ist das neue Tiefdepot, das wir 2023 beziehen. Es wird als Speicher unseres kulturellen Erbes für die nächsten Jahrhunderte dienen. Die konservatorischen Bedingungen müssen dort stimmen, nebenbei bemerkt: Wir haben dort auch eine hervorragende Energiebilanz erzielt. Das ist eine unserer strategisch wichtigsten Aufgaben: Sorge zu tragen, dass alle Objekte, für die wir verantwortlich sind, Generationen überdauern und wertgeschätzt werden.
Zu Ihrem Museum gehört nicht einfach eine Restaurierungswerkstatt, sondern ein Institut für Kunsttechnik und Konservierung. Was geschieht dort?
Das Institut gibt es schon sehr lange. Es wurde vor fast 40 Jahren durch den Zusammenschluss unserer mittlerweile 12 restauratorischen Fachwerkstätten gebildet und diente auch als Ausbildungsstätte, die Lehrgänge in Kooperation mit der Universität Erlangen-Nürnberg angeboten hat. Mittlerweile hat es sich zu einem Verbund von Spezialisten, Restauratorinnen und Kunsttechnologen über alle Materialbereiche und Gattungen hinweg entwickelt. Es geht nicht nur um Malerei und Skulptur, sondern ebenso auch um Textilien, Musikinstrumente oder Edelmetalle; um alle Materialien. Die Expertinnen und Experten profitieren sehr vom engen Austausch untereinander und sind bestens vernetzt, nicht nur bei Restaurierungen, sondern ebenso bei Konservierungs- und Präsentationsfragen, wie etwa Vitrinen beschaffen sein müssen oder welche Rahmenbedingungen es braucht, damit zum Beispiel Silber nicht anläuft.
Das Institut ist auch in die Arbeit an unseren Bestandskatalogen involviert. Hier steht nicht die Restaurierung im Fokus, sondern die Frage, wie ein Kunstwerk gemacht ist. Welche Materialien wurden bei der Herstellung verwendet, welche künstlerischen Techniken kamen zum Einsatz, welche Veränderungen erfuhr ein Gegenstand bei seiner Verwandlung zu einem musealen Objekt, wie ist der Erhaltungszustand? Neue Untersuchungsmethoden spielen bei den Untersuchungen eine wichtige Rolle. Röntgen und Infrarotreflektografie haben sich längst etabliert, neue Wege gehen wir aber etwa in der 3D-Mikro-Computertomografie in Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer-Institut. Damit konnten wir uim Beispiel das Innenleben der Henlein-Uhr aus dem 16. Jahrhundert verstehen, ohne die Uhr öffnen zu müssen.
Was sagen Sie, wenn Sammler zu Hause mit einem Cranach-Gemälde oder einer gotischen Skulptur leben wollen?
Es fällt mir schwer zu sagen, dass ein Cranach nur ins Museum gehört. Aber ich würde die Besitzer auf jeden Fall dazu anhalten, sich von Fachleuten beraten zu lassen, wie man solche Werke zu Hause unter möglichst guten Bedingungen bewahren kann.
Sind die Expertinnen und Experten in einem Museum wie dem Germanischen Nationalmuseum auch Anlaufstellen, wenn ich als Besitzerin eines Kunstwerkes Rat suche, wie ich es am Besten erhalte oder was ich im Schadensfall mache?
Grundsätzlich ist das GNM offen für Beratung, aber natürlich können wir das nur bis zu einem gewissen Maße leisten. Um die Beratungen zu bündeln, haben wir vor vielen Jahren einen Begutachtungstag im Spätherbst eingeführt, der in den letzten zwei Jahren Corona zum Opfer fiel. Die Reaktion war enorm, manche kamen mit ganzen Wäschekörben voller Gemälde ins Museum, mittlerweile beschränken wir das Angebot auf drei bis vier Objekte. Ein wichtiges Ziel unserer Beratung war immer auch, die Eigentümer zu sensibilisieren, ihre Stücke unter den richtigen Rahmenbedingungen zu bewahren.
Welche Kunstgattung ist im privaten Bereich besonders fragil?
Alles, was lichtempfindlich ist, wie etwa Papier. Besonders fragil sind auch Textilien, und diese müssen nicht mehrere hundert Jahre alt sein. In unserer Sonderausstellung „Europa auf Kur“ waren Bildteppiche von Ernst Ludwig Kirchner und Lise Gujer zu sehen. Schon bei diesen 60 bis 90 Jahren alten Textilarbeiten wird deutlich, wie schnell farbige Wollfäden ausbleichen.
Zeichnungen, Druckgrafik, Fotografie, das sind beliebte Sammlungsgebiete, die auch Kunstfreunden mit begrenzten finanziellen Mitteln einen ertragreichen Einstieg bieten. Was kann man tun, um die lichtempfindlichen Papierarbeiten und Fotos trotzdem an der Wand und nicht nur in der Schublade zu genießen?
Die dunkelsten Ecken in der Wohnung finden, wo die Werke keinem intensiven Licht und schon gar nicht direkter Sonneneinstrahlung ausgesetzt sind und womöglich eine filtrierende Verglasung wählen. In der Ausstellung „Abenteuer Forschung“ haben wir vor drei Jahren genau diese Wechselwirkung praktisch vorgeführt: Wir konnten den Besucherinnen und Besuchern zeigen, was passiert, wenn man empfindliche Objekte dem Licht aussetzt. Lichtalterung oder Lichtschäden zählen zu den häufigsten Schadensbildern bei Kunstwerken. Es geht aber nicht allein um die Intensität des Lichts, den vielgehörten Wert von 50 Lux, sondern auch um die Dauer der Belichtung und die Qualität der Strahlung; Die Summe der Strahlungsenergie ergibt den Lichtschaden. Daraus erklären sich auch die kurzen Leihfristen für besonders fragile, lichtempfindliche Exponate. Man hat sich dabei als Kompromiss auf die Obergrenze von 50 Lux geeinigt, ein Wert, der für das Auge noch einigermaßen akzeptabel ist.
Dazu fällt mir ein, dass es in Schloss Weißenstein in Pommersfelden keine Klimaanlage für die fantastische Gemäldesammlung gibt. Trotzdem geht es der Kunst dort gut. Durch das dicke Mauerwerk sind die Außentemperaturen nur sehr langsam und dann abgemildert im Innenraum zu spüren.
Genau das versuchen wir im Museum: die Temperatur ganz langsam zu steigern und wieder zu senken und vor allem die Luftfeuchtigkeit stabil zu halten. Ähnliche Bedingungen wie in Schlössern herrschen in alten Kirchen. Dort haben wir Temperaturdifferenzen bis zu 10 Grad, und die Kunstwerke machen diese langsame Temperaturveränderung seit Jahrhunderten mit. Fatal ist jeder schnelle und extreme Temperatur- oder Feuchtewechsel. Klimakisten für den Kunsttransport sind nichts anderes als ein Puffer, der die Dynamik der Schwankungen abflacht. Auch die Klimakiste wird irgendwann warm, aber eben wesentlich langsamer.
Wie steht es mit historischen Möbeln? Die wenigsten Käufer von Renaissance-Tischen oder Rokoko-Kommoden wollen sich intensiv mit restauratorischen Fragen auseinandersetzen, sondern die Stücke benutzen. Worauf sollte man bei Möbeln trotzdem auf alle Fälle achten?
Auf die Oberflächen und die richtige Raumfeuchtigkeit. Zu intensives Licht ist auch für Möbel nicht gut, und bei Objekten aus Holz spielt die richtige Feuchtigkeit immer eine zentrale Rolle. Auf konstante Temperaturen im Raum sollte man achten, und darauf, dass es nicht zu trocken wird. Ideal ist eine Raumtemperatur von etwa 20 Grad und eine stabile Luftfeuchtigkeit um die 50 Prozent. Als Faustregel kann man sagen: Wenn wir uns wohlfühlen, fühlt sich auch die Kunst wohl. Ob man Wassergläser auf historische Möbel stellt, muss dann jeder selber entscheiden.
Ist es erlaubt, selbst Hand an ein kunsthistorisch bedeutendes Möbel anzulegen, wenn man über gute handwerkliche Fähigkeiten verfügt?
Davon kann ich nur abraten. Ich würde mich auch mit handwerklichen Fähigkeiten nie an ein kostbares Möbel wagen.
Wie perfekt darf man alte Möbel wiederherstellen?
Im Museum müssen sich Schubladen nicht öffnen lassen, und ein Tisch muss nicht über eine perfekte Oberfläche verfügen; viel wichtiger ist, dass die Objekte authentisch bleiben. Natürlich reinigen wir unsere Möbel, ansonsten konservieren wir deren Zustand. Wir würden keine Lackierung erneuern. Das ist im Privatgebrauch natürlich schwieriger, wenn man die Stücke benutzen möchte. Da hilft das Gespräch mit versierten Restauratoren. Im Grunde gilt das Gleiche wie bei Gemälden und Skulpturen: Wenn man Werke sachgemäß und sensibel behandelt, gibt man ihnen die Chance, die kommenden Jahrhunderte unverfälscht zu überleben.
Alte Gemälde haben nicht selten Fehlstellen, bei Skulpturen ist die originale Fassung oft nur in Fragmenten erhalten. Museen sind skrupulös wenn es darum geht, solche Schäden auszubessern. Müssen Privatsammler genauso streng bei ihren Werken sein?
Von einem sogenannten Originalzustand halte ich nicht viel, da er sich oft nicht definieren und in keinem Fall wiederherstellen lässt. Im GNM zeigen wir etwa romanische Madonnen mit Fassungen aus dem 18. Jahrhundert. Sie wurden über Jahrhunderte verehrt, gepflegt und immer wieder neu gefasst. Die Madonnen lebten mit den Menschen, sie gingen mit der Zeit. Als Privatsammler würde ich einen historisch gewachsenen, nicht perfekten Zustand in Kauf nehmen und vielleicht nur das eine oder andere retuschieren lassen. Aber das sollte man bitte immer mit Profis besprechen.
Eine Frage für Sammler, die sich nicht so viele Gedanken über Aufbewahrung und Pflege von Kunstwerken machen wollen: Was ist besonders robust für den privaten Bereich? Steinzeug, Fayence, Porzellan, Zinn oder Silber?
Ich glaube, es ist eher die Frage, was Sie den Werken zumuten möchten.
Wenn bei einem Zinnteller die Gefahr besteht, dass er bei täglichem Gebrauch Schaden nimmt, dann geht es dem an sich robusten Zinnteller schlechter als einem Gemälde, das geschützt an einer dunklen Wand hängt. Am schlimmsten ist für Kunstwerke, wenn sie keine Wertschätzung erfahren. Was wir nicht wertschätzen, damit gehen wir auch nicht sorgsam um. Letztlich ist es deshalb fast egal, ob wir über Papier, Steinzeug oder Silber reden.
Die kunsthandwerklichen Techniken, die man in Museen wie im Antiquitätenhandel noch erleben kann, sind heute fast ausgestorben. Was ließe sich tun, um sie wieder zu beleben?
Wir eröffnen noch dieses Jahr die Dauerausstellung zur Handwerksgeschichte. Ich hoffe sehr, dass wir im Museum dazu beitragen können, das Bewusstsein für das Handwerk, seine Tradition und damit auch seinen Wert für die Gesellschaft zu schärfen. In den letzten Jahrzehnten geriet das Handwerk etwas ins Hintertreffen, weil nur die akademischen Berufe im Fokus standen. Das Handwerk hatte mal einen sprichwörtlich goldenen Boden, es muss wieder einen höheren Wert bekommen. Es gibt ja durchaus schon sehr gute Beispiele für ein verantwortungsbewusstes Bauen und Produzieren mit nachhaltigen, auch regionalen Materialien. Ich glaube, je mehr wir mit globalen Massenfertigungen konfrontiert werden, desto deutlicher wird sich mit der Zeit eine Gegenbewegung formieren. Die wachsende Ressourcenknappheit und das wachsende Bewusstsein für Nachhaltigkeit werden diesen Prozess befördern. Ich habe einen Schrank aus dem 18. Jahrhundert geerbt, der schon 20- oder 30-mal abgebaut, zusammengelegt und transportiert worden ist. Er ist heute noch in einem fantastischen Zustand. Wenn wir uns ernsthaft mit Ressourcen beschäftigen, dann müssen wir irgendwann dazu kommen, dass Spanplattenmöbel und kostengünstige Massenfertigungen nichts taugen und wir damit unsere Ressourcen weltweit vergeuden. Die Gegenbewegung mit einem Bewusstsein für langanhaltende Qualität wird hoffentlich stärker werden.