Die neue Art Basel Paris verschiebt die Gewichte in der internationalen Welt der Kunstmessen. Die Flucht vor der Inflation in die Sachwerte gibt der Veranstaltung zusätzlich Aufwind
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20.10.2022
Die Schweizer selbst haben dafür gesorgt, dass die Latte für sie hoch hängt bei ihrer Premiere der Paris+ par Art Basel. Nachdem Chris Dercon als Chef der Réunion des musées nationaux et du Grand Palais das Zeitfenster der traditionsreichen Fiac Ende letzten Jahres überraschend und sehr kurzfristig neu ausgeschrieben und der Art Basel damit faktisch die Tür nach Paris geöffnet hatte, wartet die Kunstwelt gespannt auf die Neuerfindung des Messerades. Mittlerweile ist bekannt geworden, dass Dercon bald zur Fondation Cartier wechselt, die mit Spannung erwartete neue Pariser Messe findet also kurz vor seinem Abgang statt. Um es gleich vorwegzunehmen: Auch die Art Basel kocht nur mit Wasser. Das allerdings ziemlich erfolgreich, vielleicht sogar zu erfolgreich. Im Grand Palais Ephemere herrschen schon seit dem Vormittag des Eröffnungstages dichtes Gedränge und eine unangenehme Schwüle.
Kamel Mennour als Lokalmatador mit vier Standorten in der Stadt ist überrascht vom Zuspruch vor allem internationaler Sammlerinnen und Sammler, die er bisher eher in Basel oder Miami getroffen hatte. Seine Londoner Filiale hat er gerade aufgegeben – der Betrieb dort sei zu aufwendig nach dem Brexit. Die Fiac vermisst er ein wenig, weil sie sehr französisch gewesen sei, aber er hofft, dass die neue Messe die Stärken des Marktplatzes international stärker vermitteln kann.
Der erste Eindruck scheint das deutlich zu bestätigen. „Es ist, als hätten Asiaten und Amerikaner Paris gerade erst entdeckt“, freut sich der Galerist Guillaume Sultana. Von allen vier gezeigten Künstlern habe er Arbeiten verkauft, in die USA, nach China, Italien – und auch an seine Pariser Kunden. Dass Letztere wie gewohnt in Scharen ins Grand Palais – und aktuell eben ins Provisorium – strömen, war und ist auch während der Pandemie normal. Doch der interkontinentale Zuspruch erklärt sich nicht zuletzt durch dem Umstand, Reisen überhaupt wieder ohne Weiteres möglich ist.
Optisch unterscheidet sich die Messe kaum von ihrer Vorgängerin, die Architektur lässt kaum etwas anderes zu als die Kreuzform mit schmalen Gängen. 150 Galerien mussten untergebracht werden, davon rund drei Viertel ehemalige Fiac-Aussteller, mit einem hohen Anteil französischer Galerien. Das war das Zugeständnis, um den Zuschlag zu erhalten. Der Rest wurde mit Art-Basel-Teilnehmern aufgefüllt. Beides ist der Veranstaltung anzusehen. Von den einheimischen Galerien, die das angebaute Zelt in Richtung Eiffelturm dominieren, dürften einige kaum eine Chance haben, je zu einer anderen Ausgabe der Ausgabe der Art Basel zugelassen zu werden. Bei den Präsentationen der Großgalerien wiederum stellt sich bisweilen gepflegte Langeweile ein – hat man den Stand der New Yorker Galerie nicht schon genauso auf der Tefaf in Maastricht gesehen? Amüsant wird es, wenn Hauser & Wirth (London/Zürich/St. Moritz/Menorca etc.) und Tornabuoni (London/Florenz) jeweils ein grünes „Fine di Dio“-Ei von Lucio Fontana anbieten, jeweils zu einem Preis irgendwo zwischen 25 und 30 Millionen Euro, Dollar, Franken, Pfund. Da weiß man, dass dieser Teil des Kunstmarktes gerade keine Probleme hat.
Die Sektion Émergentes mit ihren 16 Einzelpräsentation ist etwas irreführend benannt, denn es sind nicht unbedingt die Galerien jung, sondern die von ihnen gezeigten Positionen. So ist Antenna Space aus Schanghai an der Muttermesse in Basel im Hauptfeld zu finden, der in Berlin lebende Yong Xiang Li ist hingegen gerade einmal 31 Jahre alt. Seine kulissenhaft von der Decke hängende Installation „8 Chairs (Adolescent Fabrications)“ kostet 65.000 US-Dollar netto. Heidi (Berlin), Parliament (Paris) und Chris Sharp (Los Angeles) sind jedoch tatsächlich erst innerhalb der letzten zwei Jahre gegründet worden. Ein wenig jugendliche Frische tut der ansonsten recht gesetzten Veranstaltung gut.
Ärger gab es gleich zu Anfang bei der Paris Internationale, die schon seit Dienstag läuft. Die hippe Satellitenmesse bespielt seit 2015 wechselnde Stätten, in diesem Jahr ein entkerntes Gebäude nahe der Oper, das unter anderem einmal das Atelier des Fotografiepioniers Nadar beheimatet hatte und in dem 1874 die erste Impressionistenausstellung stattfand. Der Bau versprüht einen ähnlichen Charme wie die alte Warteck-Brauerei der Liste in Basel, mit dem Unterschied, dass es sich an der Seine um ein echtes Provisiorium handelt.
Am Abend vor der Eröffnung verkündete die Understructure aus Kiew die Absage ihrer Teilnahme, weil mit der Moskauer Galerie Iragui auch ein Teilnehmer aus Russland zugelassen sei. Man kann zum Boykott alles Russischen durchaus geteilter Meinung sein. Dass die Ukrainer sich nicht einmal die Ausstellerliste der Veranstaltung im Vorfeld angesehen haben wollen, ist jedoch entweder ignorant oder unwahr.
Die allgemein heitere Stimmung konnte dieser Missklang allerdings kaum trüben. Die Verkäufe ließen zumeist nicht lange auf sich warten, oft reichten schon die Ankündigungen im Vorfeld. Lucas Hirsch aus Düsseldorf etwa konnte nur noch mit einem vorab ausverkauftem Stand der in altmeisterlicher Virtuosität gemalten surrealen kleinen Tafeln von Janis Marwitz (9.000 bis 12.000 Euro) anreisen. Die Flucht vor der Inflation in die Sachwerte scheint Paris Aufwind zu geben.
Paris+ by Art Basel,
20. bis 23. Oktober,
Grand Palais Éphémère, Paris
Paris Internationale,
19. bis 23. Oktober,
35 Boulevard des Capucines, Paris