Mit der neuen Messe Paris+ im Grand Palais schafft sich die Art Basel einen Außenposten in Frankreich. Wandert die international agierende Schweizer Kunstmesse bald ganz an die Seine?
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13.10.2022
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Erschienen in
Kunst und Auktionen Nr. 16/22
Paris+, by Art Basel: Der Name zeigt Schweizerkreuz und buchhalterischen Optimismus. Sein Zusatz lässt jene Kunstpatrioten mit den Zähnen knirschen, die Paris nach dem Ende der Messe FIAC für die nächsten sieben Jahre im Klammergriff amerikanisch-schweizerischer Fremdmächte sehen. Der international agierende Veranstalter MCH, der nach einigem Schlingern 2020 zu fast der Häfte an James Murdoch und damit den Sohn des amerikanischen Medienmoguls Rupert Murdoch verkauft wurde, gewann mit seinem Chef Marc Spiegler das Rennen ums Grand Palais. Als neue Unternehmensmarke muss Paris+ sich unter international rund 400 Kunstmessen behaupten, möglichst durch exzellenten VIP-Service, aber auch durch breite Aufstellung. Die verkörpert der New Yorker Stylist und Kunst-Grenzgänger Akeem Smith bei der jungen Berliner Galerie „Heidi“.
„Es muss sich alles ändern, damit sich nichts ändert“ zitierte in ungeschminktem Neusprech der frisch gebackenen Messechef Clément Délepine (vormals Ko-Direktor der Off-Messe „Paris Internationale“, die vom 19. bis 23. Oktober läuft) aus Giuseppe di Lampedusas Roman „Le Guépard“. Er spielt darauf an, dass nahezu ein Drittel der französischen Galerien aus FIAC-Zeiten wieder dabei sind. Zählt man noch internationale Händler mit französischer Niederlassung hinzu, wie Dvir, Gagosian, Hetzler oder Ropac, sind es gar 38 Prozent. Ropac präsentiert übrigens den Neuzugang Mandy El-Sayegh, die malaysische Künstlerin schafft in London installative Malerei mit viel Potenzial. Sogar die langjährige FIAC-Chefin Jennifer Flay wird, nach vertraglicher Sperrzeit, im März 2023 zum Leitungsteam stoßen. Das erzeugt Kontinuität und erhöht die Anziehungskraft – auch durch Verknappung der Plätze: 729 Kandidaturen kämpften ums Paris-Appeal der 156 Messekojen im Grand Palais éphémère.
Alles anders, alles gleich – in Basel fürchten bereits manche, dass Paris die Kunstmesse ganz vom Rhein an die Seine lockt, wo Spiegler „das neue Epizentrum der Kunst“ ausmacht. Tatsächlich suchen immer mehr namhafte Galerien den Profit im Paris-Gefühl. Hauser und Wirth bei den Champs-Elysées, Esther Schipper am von Juwelieren umringten Place Vendôme. Hier wird Alicja Kwade, auf der Messe bei Kamel Mennour und 303, eine Außenskulptur errichten. Emmanuel Perrotin macht mit dem „Espace Matignon“ keinen Hehl aus seiner Affinität zur Macht. Nathalie Obadia und Cécile Fakhoury sind ebenfalls in die Nähe von Sotheby’s, Christie’s und Artcurial gezogen. Ins Marais, in dem man samstags kaum noch einen Fuß auf den Boden bekommt, sind Balice Hertling und Sultana umgesiedelt. Sultanas Künstler Jean Claraq erhält gerade auf der Lyon Biennale Aufmerksamkeit. Außerdem hat im September die junge Galerie (sans titre) eröffnet – und wurde mit dem Maler Jessy Razafimandimby gleich zur Messe zugelassen. Im Saint-Germain-de-Près tummeln sich wieder jüngere Positionen. Da die Händler von Zeitgenössischem zunehmend auch Moderne aufnehmen, ist der Übergang fürs Publikum fließend: Jérôme Poggi präsentiert „Deux garçons sur la plage“, von Edvard Munch 1911 gemalt, im Dialog mit aktuellen Positionen wie Anna-Eva Bergman oder Kapwani Kiwanga. Auf der Paris+ dünnt solch kunsthistorische Verflüssigung die Spezialisten aus.
Das finden nicht alle gut, es gibt Widerstand unter der alten Garde. Bricht die Schweiz den Pariser Filz auf? „Es ist ein notwendiger Neuanfang, den die meisten Galerien in Paris begrüßen“, sagt Fabien Simode, Chefredakteur der Kunstzeitschrift „L’Œil“, „es gab zu viele Klagen wegen hoher Standpreise, schlechter Organisation, unfreundlicher Behandlung.“ Die Verbindung von Schweizer Organisation und Diplomatie mit französischem Sachwissen sei gut: „Paris hat London abgehängt“, zitiert Simode eine Studie in der kommenden Ausgabe seines Magazins: „kommt noch vor New York und Schanghai, und zwar sowohl für Lebensqualität als auch für künstlerische Anziehungskraft.“
Das verfängt zuerst bei amerikanischer Klientel und deren Galerien. Chris Sharp, lange als Kritiker in Paris unterwegs, präsentiert mit seiner im Januar 2021 in Los Angeles eröffneten Galerie die bad paintings von Sophie Barber. Als einzige Vertreterin Spaniens knüpft Silvia Dauder mit Projete SD aus Barcelona an die Retrospektive von Jochen Lempert im Centre Pompidou an. „Er bekommt eine Wand, außerdem zeige ich mit dem 1937 geborenen Isidoro Valcárcel Medina einen wenig bekannten Konzeptkünstler aus Spanien“, sagt die in Paris gut vernetzte Galeristin, „das ist ein Risiko, wie die Messe.“ Wie geht es ihr vor der Paris+? „Wie immer vor einem Salon: optimistisch, aufgeregt, bange.“ Es geht wohl vielen so.