Sie finden die Kunstmarktpreise oft schwindelerregend? In unserer Reihe „10 unter 10.000“ durchforsten wir jeden Monat Galerien und Auktionshäuser nach Kunst, die (noch) erschwinglich ist. Teil 3: neue Positionen auf der Art Cologne und eine Edition von Miriam Cahn
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16.11.2022
Victoria Pidust stammt aus der Ukraine und macht die Situation in ihrer Heimat auf der Art Cologne zum Thema. In ihrer Förderkoje treffen symbolhafte Bilder zum Thema Zerstörung auf vermeintlich rein ästhetische Motive wie die Impressionen ihrer „just sky“-Serie (40 x 30 Zentimeter, je 1900 Euro), angeboten von der Bonner Galerie Galerie Judith Andreae. Tatsächlich bleibt ungewiss, was jenseits des von ihr gewählten Ausschnitts geschieht, wenn Pidust ihre Handykamera zückt. In welcher Situation war die Künstlerin, die 2015 mit einem Stipendium des DAAD von Kiew an die Kunsthochschule Weißensee nach Berlin wechselte und hier im vergangenen Jahr den Mart Stam Preis bekam? Das bleibt so nebulös wie die – natürlich digital überarbeitete und verfremdete – Himmelsansicht und verführt so zum freien Assoziieren.
Für ihre erste eigene Kunstaktion brachte Miriam Cahn illegal Wandzeichnungen über einer Autobahnbrücke bei Basel an. Die Tat hatte nicht nur eine Verhaftung inklusive Prozess zur Folge, sondern brachte auch eine Einladung auf die Documenta 7 mit sich. Es folgten die Teilnahme an der Biennale in Venedig im Jahr 1984 und ein DAAD-Stipendium in Berlin. Mit ihren Arbeiten hinterfragt die 1949 geborene Schweizerin geschlechterspezifische Rollenverhältnisse und lehnt sich deutlich gegen die männlich dominierte Kunstwelt auf. Cahn widmet sich Themen wie Gewalt, Krieg und Flucht, die sie als männliche Phänomene einordnet. Im Mittelpunkt ihrer sehr direkten und oft schonungslosen Malerei steht meist der menschliche Körper. Das Gemälde „mein gepäck mit den armen meiner großmutter tragen, 20.1.2022“ (2022) ist eine Erinnerung an ihre Großmutter, die vor den Nationalsozialisten fliehen musste. Nun kann es als Pigmentdruck (Edition von 50 + 5 AP) beim Distanz Verlag für 580 Euro erworben werden.
Das klassisch zweidimensionale Bild hat bei Stefan Reiterer ausgedient. Doch statt sich komplett von der Malerei zu verabschieden, hat sich der Künstler aus Österreich so lange damit beschäftigt, bis er auf neue Gedanken gekommen ist. Sein „Template IX“ (196 x 128 Zentimeter) biegt und verflüssigt das Gemälde. Es mag an die surrealen Welten eines Salvador Dalí erinnern, geht aber viel weiter. Reiterer verzerrt auch die Motive, bis man kaum mehr erkennt als Fragmente, die mit abstrakten Zonen wechseln. Ein Strudel mit Sogwirkung. Die meisten Arbeiten sind dazu objekthaft, ragen in den Raum und scheinen ihn gleich mit zu verändern. „Displacement“ hieß seine jüngste Ausstellung in der Berliner Galerie Crone, die Reiterers Arbeit nun für 5000 Euro auf der Art Cologne anbietet.
Die Zukunft war bei Soyon Jung schon da. Das Gebäude von Amazon ist auf ihrem Bild bereits verfallen, aus dem Dach wächst ein Baum. Ein wenig verunsichert diese dystopische Ansicht, die unser aktuelles Konsumverhalten spiegelt: Wenn es den Großkonzern nicht mehr gibt, wo sind dann wir? Ein bisschen erinnert die zeichnerisch perfekte Arbeit aber auch an die Sehnsucht der Romantik, die sich an schönen Ruinen entzündete – selbst wenn das Logistikzentrum eine eher mediokre Architektur ist. Die Sujets der Süd-Koreanerin, Jahrgang 1982, beschwören diese beiden Extreme und erzählen von der menschlichen Existenz, die zwischen den Epochen klemmt. Für ihre eindringlichen Sujets mischt Soyon Jung die Technik klassischer Radierung mit digitalen Drucktechniken. Die Galerie Jahn & Jahn bietet das Blatt auf der Art Cologne für 700 Euro (49,7 x 35,6 Zentimeter, Edition von 30 + 2 AP) an.
Der engagierte Freundeskreis der Pinakothek der Moderne wartet bei seiner alljährlichen Benefizauktion mit einem hochkarätigen Angebot auf. Am 19. November kommen in München ausgewählte Spitzenwerke unter den Hammer, deren Erlös der Pinakothek, dem Museum Brandhorst, den einliefernden Kunstschaffenden sowie den Galerien zugutekommt. Mit dabei sind auch einige erschwinglichere Werke, wie Birgit Brenners Lichtskulptur „Sold The Day As Night III“ von 2022, deren Galeriepreis bei 8900 Euro liegt. Der aus farbigen Textilien gegossene Papierbogen (44 x 60 x 18 Zentimeter) lässt das Schlagwort „Done“ in LED-Lampen aufleuchten und erlöschen. Die deutsche Künstlerin, Jahrgang 1964, bezieht sich mit ihrer Arbeit auf unseren allgemeinen Erschöpfungszustand der Welt gegenüber und dem gesellschaftlichen Druck, trotzdem immer weiter zu machen. Wir sind done!
Am 30. November erscheint die nächste Folge von „10 unter 10.000“. Und mehr Kunstkauftipps gibt es hier.