10 unter 10.000

Wilde Verrenkungen

Sie finden die Kunstmarktpreise oft schwindelerregend? In unserer Reihe „10 unter 10.000“ durchforsten wir jeden Monat Galerien und Auktionshäuser nach Kunst, die (noch) erschwinglich ist. Folge 9: Joanna Piotrowskas Körper und ein Bild der Zerstörung

Von Lisa-Marie Berndt & Simone Sondermann
22.02.2023

„Blick/Bild“ von Heike Gallmeier

Heike Gallmeier ist ein Tausendsassa: Fotografie, Installation und Malerei fließen ein in ihr Werk, außerdem arbeitet sie als Filmemacherin und gestaltet Bühnenbilder. Für die Ausstellung „Susanna“, die noch bis 26. Februar im Kölner Wallraf-Richartz-Museum das Bild der Frau vom Mittelalter bis zur Gegenwart untersucht, übersetzte sie ein Gemälde Tintorettos in ein großformatiges dreidimensionales Bildobjekt rund um das biblische Motiv des Voyeurismus. Aus dieser Werkreihe „Blick/Bild“, basierend auf Tintorettos „Susanna und die Alten“, stammt auch die Collage von 2022. Sie ist gemeinsam mit weiteren Vorstudien bis 30. April im Zentrum für Künste in Enschede ausgestellt und kann bei der Künstlerin für 2900 Euro erworben werden.

Heike Gallmeier Collage Blick/Bild Studie 2022
Heike Gallmeiers Studie „Blick/Bild“ aus dem Jahr 2022. © Heike Gallmeier

„Untitled“ von Joanna Piotrowska

Die polnische Künstlerin Joanna Piotrowska machte jüngst in der Hauptausstellung der Venedig-Biennale auf sich aufmerksam. Ihre psychologisch aufgeladenen, bis ins Detail inszenierten Schwarz-Weiß-Fotografien hinterfragen familiäre Gesten der Fürsorge, des Selbstschutzes und der Kontrolle. Verrenkte Körper und künstliche Körperhaltungen in häuslichen und familiären Räumen werden in Piotrowskas Fotografien zum Spiegel von Gewalt und Verwundbarkeit. Den 73,3 cm mal 58 cm großen Silbergelatineabzug „Untitled“ aus dem Jahr 2015 (Auflage von 7 + 3 AP) haben wir bei Thomas Zander entdeckt. Die Kölner Galerie bietet das Werk, das übrigens aktuell auch in Piotrowskas erster Einzelausstellung in Frankreich im Pariser Le Bal zu sehen ist, für 6.000 Euro an.

Vase „Alioth“ von Ettore Sottsass

Beim Konzept des „Anti-Designs“ geht es darum, den Objekten weniger Funktion und mehr Schönheit zuzusprechen – frei nach dem Leitsatz „form follows emotion“, der das funktionalistisch dominierte Designdogma ablöste. Ettore Sottsass’ „Alioth“-Vase aus Muranoglas ist das beste Beispiel dafür. Der italienische Architekt und Designern entwarf die elegante Vase mit Totem-Silhouette im Jahr 1983 für Memphis, eine Gruppe junger Designerinnen und Designer. Die Entwürfe der Gruppe rund um Ettore Sottsass zeichnen sich durch ihre bunte Farbigkeit, gewagte Material- und Formkombinationen sowie einen fantasievollen Umgang mit Dekor und Ornamenten aus. Die Berliner Galerie Jochum Rodgers bietet die 48 cm große Vase für 7500 Euro an.

Ettore Sottsass Alioth Vase Jochen Rodgers
Glamouröses Glas: Die „Alioth“-Vase von Ettore Sottsass gibt es bei Jochen Rodgers in Berlin. © Jochum Rodgers/VG Bild-Kunst, Bonn 2023

„Untitled (Dark Day 5)“ von Volo Bevza

Das Schicksal von Volo Bevza zu Beginn des Krieges ist beispielhaft für die Lebenswege der Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer, die der russische Angriff in neue und meist leidvolle Richtungen gelenkt hat. Der Maler, der an Kunsthochschule in Berlin-Weißensee lehrt, war für eine Ausstellung Mitte Februar letzten Jahres nach Kiew gereist – wo ihn der Krieg überraschte und für Monate in der Ukraine festhielt. Mittlerweile konnte er ausreisen und lebt und arbeitet er wieder in Deutschland. Seine meist abstrakten Gemälde entstehen auf der Grundlage von digitalen Bildern, die uns täglich über die Medien erreichen. So auch „Untitled (Dark Day 5)“ von 2022, in dem das im März von russischen Bomben zerstörte Einkaufszentrum in der ukrainischen Hauptstadt dunkel durchschimmert. Die Bonner Galerie Judith Andreae bietet das Werk (80 mal 80 cm) für 1900 Euro an.

Volo Bevza Gemälde Dark Day
Volo Bevzas „Untitled (Dark Day 5)“ von 2022 spiegelt die Zerstörungen des Kriegs in der Ukraine. © Volo Bevza, Courtesy the artist and Galerie Judith Andreae, Bonn

„Der Hafen von Rio de Janeiro“ von Fritz Müller

Ein Geheimnis rankt um das Leben des Malers Fritz Müller. Er wird um 1814 geboren, als sechsjähriger Vollweise kommt er nach Bremen in die Obhut eines Lehrers und verbringt die folgenden Jahre größtenteils in der norddeutschen Hansestadt. Dann entdeckt er seine große Leidenschaft: die See. Müller besucht die Bremer Schifffahrtsschule, wird Steuermann und im Jahr 1840 schließlich Schiffskapitän. Seine Reisen führen ihn insbesondere nach Nord- und Mittelamerika – bis 1853. In diesem Jahr übernimmt Müller unter Hamburger Flagge zum letzten Mal das Kommando als Kapitän und bricht für seine letzte Reise nach Rio de Janeiro auf. Sein 1854 entstandenes Gemälde „Der Hafen von Rio de Janeiro“ ist nicht nur Zeugnis dieser letzten Reise, sondern markiert auch den Übergang von der Tätigkeit als Seefahrer hin zum Marinemaler. Das Gemälde kommt in der Versteigerung am 3. und 4. März bei dem Hannoveraner Auktionshaus Kastern bei 5.000 Euro zum Aufruf. Auch Müllers Todesumstände sind übrigens bis heute ungeklärt. Seine Spur verliert sich nach 1854 in den USA.

Fritz Müller Der Hafen von Rio de Janeiro Kastern
Das Ölgemälde „Der Hafen von Rio de Janeiro“ (1854) kommt im Rahmen der Auktion am 3. und 4. März bei Kastern in Hannover zum Aufruf. © Kastern, Hannover

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