Letztes Jahr schlugen auf der Kunstmesse Tefaf vier Räuber zu. Auf ihre Ergreifung ist eine Belohnung von 500.000 Euro ausgesetzt. Damit würde man auf der Messe nicht weit kommen
Von
09.03.2023
Die Kunstmesse Tefaf im niederländischen Maastricht war immer zu vornehm, um ihre millionenschweren Kunden am Eingang von Metalldetektoren überprüfen zu lassen. Doch jetzt ist es mit einem Mal anders. Handy ins Körbchen, Arme nach oben. Hinter der Schranke muss eine Frau den Inhalt ihres Transportkoffers ausleeren. Szenen wie auf dem Flughafen – dabei sind wir hier doch im Kaufhaus der Superreichen.
Die zusätzlichen Sicherheitsmaßnahmen haben einen handfesten Grund: Bei der letzten Tefaf kamen vier Räuber in filmreif geschniegelten Anzügen – möglicherweise waren ihre auffälligen Outfits durch die englische Krimiserie „Peaky Blinders – Gangs of Birmingham“ inspiriert. Die Tat selbst zeichnete sich nicht gerade durch große Raffinesse aus: Mit einem Vorschlaghammer zertrümmerte einer der Vier eine Juwelenvitrine – „dong-dong-dong!“ Ein Komplize hielt Schaulustige mit vorgehaltener Waffe auf Abstand. Anschließend ein Griff in die Vitrine und dann nichts wie weg. Kurios: Ein weißhaariger Herr im Anzug, der mit übereinander geschlagenen Beinen unmittelbar davor saß, schaute sich alles seelenruhig an – so als ginge es um ein Kunst-Happening.
Zum Wert der Beute hat die Polizei bis heute nichts gesagt, doch niederländische Medien sprechen von 30 Millionen Euro. Das wertvollste Stück war ein gelber Diamant von 114 Karat. Die Polizei vermutet die Täter auf dem Balkan, angeblich steckt die berüchtigte „Pink Panther“-Bande dahinter.
„All das Schöne, das wir hier haben, wird leider nicht nur von Menschen mit reinem Gewissen geschätzt“, sagt Messechef Bart Drenth. „Das ist eine Wirklichkeit, mit der wir leben müssen.“ Auf Tipps, die zur Ergreifung der Täter führen, hat die Versicherung eine Belohnung von einer halben Million Euro in Aussicht gestellt.
Das ist allerdings eine Summe, mit der man auf der Tefaf nicht weit kommen würde. Man könnte sich dafür noch nicht mal das Ölgemälde „Schiffe im Wind“ von Emil Nolde kaufen (1,35 Millionen Euro), ganz zu schweigen von «Der Zirkus – Der Reiter» von Marc Chagall (5,8 Millionen Euro). Mitten zwischen all der Kunst findet sich unvermittelt der Shop eines Privatflieger-Anbieters. Neben einem Flugzeugmodell heißt es: „Fliege von Los Angeles nach Genf, von Sao Paulo nach London, von Peking nach San Francisco, von Moskau nach Singapur…“
Moskau? Ja, Moskau. Die Krisen der Welt sind auf den Gängen dieser mit mehr 100 000 Blumen geschmückten Messe seit jeher weit weg. Maastricht bietet das Teuerste vom Teuren für die Reichsten der Reichen. Die Messe ist für ihre exquisite Auswahl bekannt. Wie streng die Kriterien sind, lässt sich kurz vor der Öffnung beobachten: Alle Händler haben die Halle verlassen müssen, und eine große Expertenrunde nimmt sich nochmal die prominentesten Werke vor. Und dann wird die eine oder andere Zuschreibung durchaus verworfen.
Seit einiger Zeit gibt es auf der Messe einen größeren Bereich mit Werken der klassischen Moderne, aber das Herzstück sind noch immer die alten Meister. Und hier ganz besonders die Holländer und Flamen. Das stille Flachland mit dem allgegenwärtigen Wasser, geriffelt wie eine verzogene Tischdecke; die hochgetürmten Segelschiffe, die in der Dünung wiegen; die blank geputzten Kachelböden im Schachbrettmuster; die stolzen Bürger mit ihren Federhüten und Wohlstandsbäuchen, schlittschuhlaufend inmitten der Kleinen Eiszeit, die Europa vom Ende des 16. bis Mitte des 19. Jahrhunderts in ihrem Bann hielt.
So schön, so erbaulich. Aber ist dies nicht eine Art von Wohlfühl-Schau? Darauf muss man wohl antworten: Wer nicht nur zum Austernschlürfen hierherkommt, wird unweigerlich auch Momente der Erschütterung erleben. Dies kann zum Beispiel geschehen, wenn man unvermittelt vor einem gewaltigen Werk des chinesischen Künstler Ai Weiwei zum Stehen kommt.
Auf den ersten Blick wirkt es wie ein klassischer venezianischer Kronleuchter aus Muranoglas. Doch dann wird deutlich, dass dieses pechschwarze Ding aus nachgebildeten Totenschädeln, Gerippen, Organen besteht. Auf einen Schlag ist die Illusion des schönen Kunstkosmos zerstört. Der Tod ist in Maastricht eingebrochen und erinnert daran, dass die Besucher in eine Welt der Kriege und Desaster zurückkehren werden. (dpa)