Internationaler Kunstmarkt

Gewinner und Verlierer

Der europäische Kunsthandel wird durch anhaltende Krisen erschüttert. Doch davon profitieren nicht nur die Handelsplätze in Fernost

Von Sebastian Strenger Gonzales
06.06.2023
/ Erschienen in Kunst und Auktionen 8/23

Nicht nur die Messelandschaft, der gesamte internationale Kunstmarkt sortiert sich derzeit neu. Und die Entwicklungen der vergangenen Corona-Jahre lassen erahnen, wohin die Reise gehen wird – wer absehbar zu den Gewinnern, wer zu den Verlieren zählen könnte.

Lange Zeit hat Europa den Ton im Kunsthandel angegeben. Bereits in den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg hatten sich in den dortigen Metropolen neue Sammlerszenen gebildet. Nicht nur die traditionelle Kunstkäuferschicht aus Adels- und Hofkreisen, sondern auch das Bürgertum, das auf Basis von industriellen Unternehmungen, Immobilienspekulationen und Bankgeschäften teils zu immensem Vermögen gekommen war, investierte fortan in Kunst. Doch wie sieht die Situation heute aus?

Zwar soll dem aktuellen UBS-Marktreport zufolge der postpandemische Kunstmarkt Europas moderat weiterwachsen – trotz des Kriegs in der Ukraine, der Lieferkettenprobleme, der Bankenkrise und stetig wachsender Inflation. Jedoch ist der Kunsthandel durch die anhaltenden Krisen und die zunehmenden politischen Spannungen in ständiger Gefahr. Bereits jetzt zeigt sich tendenziell eine Marktabwanderung. Die erfolgreiche Verlagerung der Geschäfte nach Ostasien – auch an Standorte außerhalb Chinas wie Seoul oder zuletzt Singapur – trägt der Tatsache Rechnung, dass in jüngerer Zeit vor allem Käufer von dort den Markt angetrieben haben – auf Messen und Auktionen. Rund 35 Prozent trug Fernost zuletzt zu den Gesamtumsätzen von Sotheby’s und Christie’s bei. Kein Wunder also, dass zunehmend Freihandelszonen in Asien entstehen, die sich glänzend entwickeln.

Durch diese Verlagerung rücken auch asiatische Positionen zunehmend in den Fokus, denen Europas Sammler bisher nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt haben. Bald schon wird sich der neue Kunstkanon durch Ankäufe und Leihgaben auch in den Museen abbilden – die internationale Kunstgeschichte wird damit auf ein breiteres Fundament gestellt. Freie Fahrt also für Cui Ruzhuo! Wie? Den kennen Sie nicht? Vor zwei Monaten wurde seine gerade mal vier Jahre alte Tuschearbeit „Rafting In Wind And Rain“ bei Beijing Yongle International Auction zum All-in-Preis von umgerechnet über 31 Millionen Euro verkauft. Er ist damit Chinas teuerster lebender Maler.

Paris Weltausstellung Kunsthandel
Wie schon zur Weltausstellung 1900 ist Paris derzeit ein Hotspot der Kunst – aber wie lange noch? © Wikimedia Commons

Ist Europa mit Richter, Baselitz und Polke also bald schon ein Auslaufmodell? Fest steht jedenfalls schon jetzt: Die marktbeherrschende Stellung Europas ist für immer passé. Aber vielleicht sind die alten Kunsthandelszentren doch noch nicht ganz am Ende. Paris beispielsweise erlebte jüngst Umsätze wie in Wirtschaftswundertagen – dem Brexit sei Dank. Der Umzug vieler britischer Galerien von der Insel in die Metropole an der Seine hat der Stadt enormen Rückenwind verliehen. Flankiert wurde der rasante Aufstieg der französischen Hauptstadt zum europäischen Hotspot aber nicht zuletzt durch einen ausgesprochen wirtschaftsfreundlichen Rahmen: Frankreich hat die Einfuhrumsatzsteuer nämlich auf ein Minimum von 5,5 Prozent reduziert – den EU-weit niedrigsten Satz.

Allerdings sorgt eine Änderung der Mehrwertsteuer-Richtlinie durch den Europäische Rat vom April dieses Jahres gerade für große Verunsicherung auf dem französischen Kunstmarkt. Es geht die Angst um, der aktuell bestens geölte Motor könne ins Stottern geraten. Denn 2014 hatte die EU eine ermäßigte Mehrwertsteuer im Kunstmarkt eigentlich abgeschafft. Für den Kunsthandel der Mitgliedstaaten wäre fortan also der jeweils geltende Regelsteuersatz verpflichtend gewesen – aber nicht alle Länder hielten sich daran. Auch Österreich behielt seinen reduzierten Satz von 7 Prozent einfach bei. Diese Verstöße wurden von der EU-Kommission nie gerügt. Nun hat die EU aber verbindlich verfügt, dass es ab dem 1. Januar 2025 einen Regelsatz von mindestens 13 Prozent geben muss und nur zwei ermäßigte Steuersätze von mindestens 5 Prozent geben darf. Der französische Kunsthandel könnte somit zwar weiterhin begünstigt werden, es kann aber auch sein, dass sich hier so einiges ändert.

Zwei europäische Länder, die nicht dem EU-Recht unterliegen, würden davon profitieren: die Schweiz und Großbritannien, die sich durch eine geschickte Politik vom Rest Europas absetzen könnten. Oder sagen wir besser: noch weiter absetzen. Denn zumindest die Schweiz ist für die enorm gewachsene Schicht der spekulativen Kunstkäufer durch ihre Zollfreilager in den letzten Jahren ohnehin immer interessanter geworden, und Großbritannien kopiert aktuell das Schweizer Modell. Somit sitzen Europas Konkurrenten also nicht nur in Fernost, sondern auch quasi im eigenen Haus.

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