Alfred Gunzenhauser

Aufbruch im Kunsthandel

Eine neue Biografie feiert das Vermächtnis des Galeristen Alfred Gunzenhauser und bietet Einblicke in die Münchner Kunstszene 

Von Gloria Ehret
19.09.2023
/ Erschienen in Weltkunst Nr. 216

Stephan Dahme stellt den Münchner Galeristen Alfred Gunzenhauser in einer ausführlichen Biografie als „Sammler, Stifter und Museumsgründer“ vor und bietet damit einen facettenreichen Einblick in die Münchner und internationale Kunsthandelsszene sowie in die deutsche Gesellschafts- und Kulturgeschichte der 1970er- bis in die 1990er-Jahre.

Damals waren die Galerien der Münchner Maximilianstraße beliebter Treffpunkt für Kunstbegeisterte vom Expressionismus bis in die Gegenwart – und ein Ziel war jene von Alfred Gunzenhauser. Schon 1954 erwarb der kunstbegeisterte Student für 185 Mark Manfred Bluths „Vergessene Küste“. Das Bild steht am Beginn seiner Kunstsammlung, begleitete ihn ein Leben lang und ist heute im Museum Gunzenhauser in Chemnitz zu sehen. Sein zweiter Gemäldekauf, den er mit einem Spielbankgewinn beglich, galt 1955 Willi Baumeister.

Gunzenhauser suchte auch den persönlichen Kontakt zu Kunstschaffenden, der vielfach in lebenslange Freundschaften mündete. 1961 trat er als Volontär in die „Keimzelle der Berliner Kunstszene“ des Galeristen und Auktionators Gerd Rosen ein, machte sich jedoch schon wenig später in München selbstständig: Das „Graphische Kabinett Dr. Alfred Gunzenhauser“ mit Schwerpunkt auf Kunst um 1900 markiert den Beginn. Im Juni 1967 wechselte er mit der Galerie Gunzenhauser in die Türkenstraße, sein Programm umspannte nun die Kunst des Expressionismus, der Neuen Sachlichkeit und der beginnenden Abstraktion, später erweitert um Gegenwartskunst.

Bald bestand eine fruchtbare Zusammenarbeit mit dem befreundeten Bremer Galeristen Wolfgang Werner. Gemeinsam besuchten sie den hochbetagten Erich Heckel am Bodensee. 1970 kooperierten die beiden bei Ausstellungen zu Pechstein und Nolde, 1979 stand Franz Marc auf dem Programm. Aus Gabriele Münters Nachlass durften Einzelwerke veräußert werden, und Gunzenhauser hat erfolgreich zu „angemessenen Preisen“ zugegriffen. 1975 begann mit dem Umzug in die Maximilianstraße sein Aufstieg in die erste Liga der Münchner Galeristen: Hier zeigte er nun auch zeitgenössische Künstler wie 1984 Johannes Grützke oder 1985 Uwe Lausen, sodann mit Bernard Schultze, Karl Fred Dahmen, K. O. Götz oder Emil Schumacher Vertreter des Informel.

Gunzenhausers monografische und thematische Ausstellungen erfuhren überregionale Beachtung. In Ausstellungen wie „Menschenbild – Menschenbilder“ macht er 1977 die Wandlungen in der deutschen Kunst von 1900 bis in die damalige Gegenwart sichtbar; 2008 thematisierte Gunzenhauser in seiner letzten Galerie-Station in der Mauerkircherstraße mit Rolf Cavael und Uwe Lausen das Spannungsfeld zwischen Abstraktion und Neuer Figuration. Doch plante der Galerist auch den langsamen Rückzug, verbunden mit der Suche nach einer Heimstatt für seine ständig wachsende private Kunstsammlung mit Glanzlichtern von Lovis Corinth, Paula Modersohn-Becker oder Gabriele Münter. In Frankfurt war er 2002 auf der Kunstmesse Ingrid Mössinger, der späteren Generaldirektorin der Kunstsammlungen Chemnitz, begegnet. Und obwohl verschiedenste Destinationen im Gespräch waren, erhielt die ehemalige Industriemetropole schließlich den Zuschlag und erwarb für den symbolischen Preis von 2500 Euro das Grundstück samt Gebäude. Als „Sternstunde der Stadtgeschichte“ feierte man die Eröffnung Anfang Dezember 2007. „Eine der größten Lücken der modernen Kunst, die durch die Verluste in der Zeit des Nationalsozialismus entstanden ist“, wurde mit rund 2500 Exponaten im Gesamtwert von geschätzten 200 Millionen Euro geschlossen. Eigentümerin ist die Stiftung Gunzenhauser.

Auch im Chemnitzer Museum Gunzenhauser nimmt Münter einen zentralen Platz ein, ebenso wie Jawlensky mit 40 Gemälden, der weltweit bedeutendste Bestand. Herzstück der Expressionisten samt ihren Vorläufern Corinth oder Modersohn-Becker bilden die Künstler der Brücke und des Blauen Reiters. Die Abstrakten der Nachkriegsmoderne führt Willi Baumeister an. Horst Antes und Johannes Grützke vertreten Facetten der Neuen Figuration. Es gibt einen Skulpturensaal mit Bronzen etwa von Franz von Stuck und einen Raum für Sonderausstellungen. Alfred Gunzenhauser, der 2015 im 90. Lebensjahr verstarb, wurde im Heidenheimer Familiengrab beigesetzt. Dass Chemnitz 2025 zur Kulturhauptstadt Europas wird, ist auch sein Verdienst. 

Service

BIOGRAFIE

„Alfred Gunzenhauser. Galerist, Sammler, Stifter“ von Stephan Dahme,

Edition Fichter,

280 Seiten, 29 Euro

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