In London feiert die Kunstmesse Frieze ihr zwanzigjähriges Jubiläum und zeigt neben millionenschweren Werken auch politische Konzeptkunst
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12.10.2023
Zwischen Krieg und Frieden liegen bloß ein paar Meter. Die Galerie Sfeir-Semler hat Fotos vom Libanesischen Bürgerkrieg an eine Außenwand ihres Standes auf der Londoner Frieze gehängt. Lauter Porträts aus den 1970er-Jahren, die meisten Männer zeigen stolz schwere Waffen. Der Künstler Akram Zaatari entdeckte die Bilder in einem ehemaligen Fotostudio, es gibt ein Buch dazu – und jetzt auch C-Prints, auf denen er die totbringenden Gewehre ausradiert hat. Geisterhaft leere Stellen prägen die Serie „Victims of prolonged Struggle“, unwillkürlich erinnern sie daran, wie Gewalt und Rohheit in eine Gesellschaft einsickern, um Generationen später noch präsent zu sein.
Im Stand der Galerie, die in Hamburg wie Beirut zu Hause ist, reihen sich die Bilder von Mounira Al Solh. Es sind textile Arbeiten, Ergebnis einer Kollaboration mit weiblichen Geflohenen. Sie haben Worte für Liebe aus dem Arabischen in symbolhafte Motive umgesetzt, und noch während man staunend vor einem zart gestickten Raubvogel steht, der vorsichtig ein Küken trägt, schlägt die Frau hinter einem zu: Sofort reservieren! Für 9000 Euro.
Das ist keine hohe Summe für die Frieze, aber doch ein Qualitätsurteil. Die Arbeiten der Künstlerin, die 2024 den Libanon auf der Biennale von Venedig repräsentieren wird, sind fantastisch. Die Galerie wiederum stillt ein Bedürfnis, das auch sie selbst umtreibt: Statt die Gegenwart auszublenden, bringt sie politische Konzeptkunst mit auf das kommerzielle Messespektakel. Auch andernorts erinnern Werke an den Zustand der Welt jenseits der beiden gigantischen Zelte im Regent’s Park, in denen Frieze und Frieze Masters über 160 Galerien unterkommen. Eine Skulptur wie „Oscar“ (1999) von Gavin Turk, der statt der Nase ein Gewehrlauf aus dem Gesicht wächst, zählt zu den gelungenen Beispielen (Galerie Ben Brown Fine Art), ebenso eine große Zeichnung von Fiona Banner mit dem Titel „Disarm“ (2023), die prominent bei der Frith Street Gallery hängt. Am Stand von Bowman Sculpture scheitert man dagegen an dem Versuch, das „Trojan Horse“ von Willie Bester, eine stählerne Bestie aus Kriegsschrott (150.000 £), zwischen die antiken Skulpturen zu quetschen.
Und sonst? Scheint auf der Frieze, die aktuell ihr 20-jähriges Jubiläum feiert, vieles beim alten. Mega-Galerien wie Pace, Hauser & Wirth, David Zwirner oder Gagosian belegen Areale, die im Sektor der Newcomer für vier Teilnehmer reichen und fahren entsprechend namhafte, Millionen teure Kunst auf. Den Kritiker der britischen Tageszeitung „Guardian“ bringt das zum Schäumen. Er nennt die Messe einen „Friedhof der Kreativität für Reiche ohne Geschmack“ und zielt unter anderem auf die neusten Blumenstillleben von Damien Hirst bei Gagosian ab. Sie sind in der Tat ermüdend und ohne jene Bissigkeit, die Hirst als „Young British Artist“ einst auszeichnete. Man ist allerdings auch nicht gezwungen, die immergleichen Wege zu jenen Ständen zu nehmen, die während der VIP-Tage verlässlich überfüllt sind.
Es gibt so viel zu entdecken, das preislich wie qualitativ besticht. So zeigt die Galerie Sean Kelly (New York/Los Angeles) gleich sechs große Abstraktionen von Janaina Tschäpe, Jahrgang 1973, zu Preisen zwischen 75.000 und 150.000 Dollar. Bei der Berliner Galerie Tanja Wagner, die nach drei Jahren im geförderten Focus-Sektor nun erstmals im Hauptbereich ausstellt, fällt Grit Richter mit ihren subtil organischen, von innen leuchtenden Bubbles auf. Die Bilder liegen bei 36.000 Euro, die Künstlerin hat einen malerischen Output, der lange Wartezeiten generiert. Gegenüber beim Galeristen Nir Altman aus München steht eine große Skulptur von James Lewis – ein Sofa aus Beton, auf dem volle Whiskey-Tumbler stehen und dessen Oberfläche Wurzeln statt Falten schlägt. Lewis betrachtet es als eine Art von Porträt.
Von Altman wird ebenso Sarah Sadik vertreten, deren Arbeit dieses Jahr im Zentrum von „BMW Open Work“ steht. Eine Kollaboration zwischen dem Unternehmen und der jungen, in Marseille lebenden Künstlerin, deren Videos Themen wie Migration und Marginalisierung behandeln. Ihr jüngstes Videogame findet sich künftig in der Spielkonsole des i5, während der Frieze ist es an einem öffentlichen Platz in Camden Town zu sehen.
Nach draußen muss auch, wer von der Frieze zu Frieze Masters wechselt, wo mit De Jonckheere, Didier Aaron oder Colnaghi die großen Händler für Antiquitäten warten. Neu ist die kuratierte Zone „New Modern Women“ mit einem Dutzend Galerien – und Namen wie Emilie Charmy (Galerie Bernard Bouche) oder Lisetta Carmi (Galleria Martina & Ronchetti), die gerade wiederentdeckt werden. Galerist Volker Diehl hat seinen Stand zwar außerhalb der Zone, nutzt die Nähe aber ebenfalls für eine fantastische Soloschau der rumänischen Avantgardistin Ritzi Jacobi. Deren aufwändige Textilbilder bestehen aus Baumwoll- und Kokosfasern, stammen teils aus den siebziger Jahren, in denen es noch eine Zusammenarbeit zwischen Ritzi und Peter Jacobi gab, und kosten bis zu 150.000 Euro. Sie sind es auf jeden Fall wert.