In Paris widmet sich der Salon du Dessin auf hohem Niveau der Zeichenkunst. Im Fokus der Messe steht diesmal der Surrealismus, der vor 100 Jahren entstand
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13.03.2024
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Erschienen in
Weltkunst Nr. 224
Auf dem erlesenen Terrain der Zeichenkunst bleibt der Salon du Dessin uneingeholt. Seit 32 Jahren lassen sich auf der Pariser Spitzenmesse die Ausdrucksmöglichkeiten auf Papier von der Renaissance bis zur Gegenwart entdecken. Die Teilnehmerzahl von 39 Ausstellern bleibt stabil, 17 der Galerien kommen aus dem Ausland. Zu den vier Debütanten im Palais Brongniart gehört diesmal die römische Galerie Paolo Antonacci. Sie legt den Fokus auf Enrico d’Assia alias Heinrich von Hessen-Kassel. Der 1927 in Rom geborene Maler war der Sohn von Philipp von Hessen und Mafalda von Savoyen, Tochter des Königs Viktor Emanuel III. von Italien, der bis 1943 zu Mussolini stand. Nach der Abkehr des Königs vom Diktator ließ Hitler die Prinzessin verhaften und ins KZ Buchenwald deportieren, wo sie 1944 starb.
Ihr Sohn entwickelte seinen Malstil in Rom sowie auf Ischia und Capri. Seine erste Einzelausstellung hatte er 1948 in Alexandria in Ägypten. Die Galerie Paolo Antonacci bringt Landschaften vom Nil mit, die Ende der 1980er-Jahre entstanden und um die 2000 Euro kosten. Seinen Stil bezeichnete d’Assia als „romantischen Surrealismus“: Auf seinen Bildern verwandeln sich Wolken schon mal in Segelschiffe, und Inseln erheben sich aus submarinen griechischen Statuen.
Im Vergleich muten die Landschaften der Rokoko-Malerin Élisabeth Vigée-Le Brun bei der Pariser Galerie Terrades geradezu realistisch an. Wer um 1800 etwas auf sich hielt, der ließ sich von der Lieblingsporträtistin der Königin Marie-Antoinette verewigen. Neben 600 Porträts hinterließ sie 200 Landschaften. Ihr 30 000 Euro teures Pastell auf zwei geklebten Blättern schwelgt 1807 in der winterlichen Sicht auf den Genfer See.
Ein weiterer Erstteilnehmer ist die Londoner Galerie Emanuel von Baeyer mit dem Frühwerk Heinrich Vogelers. Der pflegte in Worpswede seine romantische Idee vom Mittelalter und entwarf prächtige Interieurs vom Wandpaneel bis zum Kaffeelöffel. Die Londoner Galerie François Delestre Fine Arts, seit Kurzem auch in Paris vertreten, ist ebenfalls zum ersten Mal dabei. Genau wie die Galerie 1900-2000 mit surrealistischen Arbeiten im Gepäck, darunter für den Erotomanen Hans Bellmer ungewöhnlich zarte Kinderporträts und beinahe abstrakte Zeichnungen der Collage-Königin Hannah Höch.
Im überreichen Segment der Porträts findet man auffällig viele Perlen: W. M. Brady & Co aus New York trumpfen mit einem ausdrucksstarken „Jungen Mann, der einen Schal trägt und seinen Kopf auf seine linke Hand stützt“ (1750) von Tiepolo auf. Die Galerie Éric Coatalem zeigt das 350 000 Euro teure Pastell „Porträt von Pierre“ (1906) der US-amerikanischen Impressionistin Mary Cassatt. Die Lancz Gallery aus Brüssel betört mit Fernand Khnopffs „Étude pour Passé ou Un profil oriental“ (1908). Der Symbolist gilt als Schöpfer geheimnisvoller Frauenbilder zwischen Rausch und Entrücktheit. Auch die im Profil gezeichnete Träumerin scheint sich ganz ihrem Seelenleben zu widmen, mitten im Zeitalter der Psychoanalyse, die unter jeder Oberfläche eine verborgene Neurose witterte.
Diesen Verdacht musste Olivier Bro de Comères, vertreten am Stand von De Bayser, noch nicht fürchten. Um 1833 zog er als Sohn eines napoleonischen Offiziers nach Nordafrika und ließ sich in Algier nieder. Hier begann er, als eine Art Kriegsberichterstatter, Schlachten zu zeichnen. Seine Werke bewegen sich im vierstelligen Bereich. Eine museale Ausstellung gönnt sich zum 50-jährigen Jubiläum schließlich die Fondation Dubuffet. Sie zeigt 55 Arbeiten auf Papier (1935–1985), eine seltene Gelegenheit, Dubuffets mitunter brutale Behandlung des Papiers zu erkunden – vom Kratzen bis zum Zerschneiden und neuen Zusammenfügen.
Salon du Dessin,
Palais Brongniart,
Paris, 20. bis 25. März,
salondudessin.com