Kunstherbst München

Haus der Kunst - "Im positiven Sinne muskulös"

Einst als Propagandamuseum für den Nationalsozialismus errichtet, hat sich das Haus der Kunst in München heute als innovativer Gegenwartsort etabliert: Es setzt auf seinen weltläufigen Direktor Okwui Enwezor und die wegweisende Leihgeberin Ingvild Goetz. Wir trafen die beiden Visionäre zum Interview

Von Ulrich Clewing
11.10.2016

Er war nicht nur Leiter der documenta 11, sondern auch Kurator der Biennalen von Gwangju und Sevilla sowie künstlerischer Direktor der Biennale von Venedig im vergangenen Jahr: Okwui Enwezor gehört zu den internationalen Kuratorenstars. Allüren sind ihm allerdings vollkommen fremd. Als wir den Direktor des Münchner Haus der Kunst eine Stunde vor dem vereinbarten Termin zufällig beim Essen in der Goldenen Bar des Museums antreffen, hat er nichts dagegen, dass wir uns zu ihm setzen. Nachdem der gebratene Lachs verzehrt ist, hat er dem Frager mehr Fragen gestellt als umgekehrt. Nicht untypisch für Enwezor, der die praktische Arbeit mit der Kunst bisher einer wissenschaftlichen Karriere vorgezogen hat. Im Moment bereitet er eine Schau zur globalen Kunst der Nachkriegszeit für den Herbst vor. Als die Stunde des Interviews näherrückt, stößt Ingvild Goetz dazu, eine der wichtigsten Sammlerinnen zeitgenössischer Kunst in Deutschland. Einen Teil ihrer über 4000 Werke zählenden Kollektion stellt die Münchnerin dem Haus der Kunst als Dauerleihgabe zur Verfügung. Anlass, einmal über die Kooperation von Museum und Sammlerin zu reden.

Okwui Enwezor und Ingvild Goetz im Gespräch (Foto: Monika Höfler)
Okwui Enwezor und Ingvild Goetz im Gespräch (Foto: Monika Höfler)

Frau Goetz, erinnern Sie sich noch, wann Sie Okwui Enwezor zum ersten Mal getroffen haben? 

IG: Ich kannte ihn natürlich schon seit Langem durch seine Ausstellungen. Aber das erste Mal persönlich begegnet sind wir uns, als Okwui Direktor des Haus der Kunst wurde. Wir hatten gerade die erste Ausstellung der Videosammlung im Luftschutzkeller eröffnet – „Aschemünder“.

Und Sie, Herr Enwezor, was war damals Ihr Eindruck von Ingvild Goetz?

OE: Einen Tag vor der Ausstellungs­eröffnung hatte Jeanny zu einem Brunch zu sich in ihren Garten in Oberföhring geladen. Es war ein schöner, sonniger, frischer Tag. Und ich war beeindruckt, wie viele unterschiedliche Leute dort zusammengekommen waren. Chris Dercon …

… Ihr Vorgänger am Haus der Kunst.

OE: Der war da und Marcel Odenbach, der Videokünstler. Und ich glaube, Nicholas Serota, der Chef der Tate Britain, auch. Das war ein guter Start, auch inhaltlich. Jedenfalls empfand ich es als ausgesprochen aufschlussreich, wen Jeanny an diesem Morgen alles bei sich versammelt hatte.

Sie beide haben ja auch gemeinsame Interessen: Sie, Frau Goetz, demonstrierten 1968 gegen das Establishment und haben sich später als Kunstsammlerin immer wieder für Künstler interessiert, die sich mit sozial relevanten Themen der Gegenwart beschäftigen. Und bei Ihren Ausstellungen, Herr Enwezor, geht es auch stets um gesellschaftliche Zusammenhänge.

IG: Dass uns in der Art, Kunst zu betrachten, vieles verbindet, war mir früh klar. Eigentlich schon, als ich 2001 The Short Century in der Villa Stuck sah, die erste Ausstellung, die Okwui in Deutschland organisiert hatte. Dort stelltest du Künstler vor, die in den Ländern Afrikas während der Unabhängigkeitsbewegungen arbeiteten. Das fand ich sehr interessant und eindrucksvoll. 

OE: Für mich ist es wichtig, mit Jeanny keine konventionelle Sammlerin vor mir zu haben. Wie sie vorgeht, ist analytisch und von großer Reflexion geprägt. Deshalb unterscheidet sie sich auch von anderen, denn Jeanny hat wirklich keine Blue-Chip-Mentalität. Ihre Sammlung basiert auf der Lebendigkeit der Ideen der Künstlerinnen und Künstler. Man merkt, dass die Kunstwerke, die du besitzt, für dich keine Güter sind, die sich nach den Gesetzen des Marktes richten. 

Für einen Kurator ist das doch ideal …

OE: So ist es. Denn man begegnet dem in der Kunstszene häufiger: dass sich Sammler an anderen Gesichtspunkten orientieren – an Geldwerten, an sozialem Status. Das ist bei Jeanny absolut nicht der Fall. Und daraus ergibt sich auch die Basis unserer gemeinsamen Interessen. Sich der Kunst anzunehmen, obwohl sie von anderen instrumentalisiert wird. Der Kunst Unterstützer zu sein, der sie über diese Instrumentalisierung hinausträgt. 

Okwui Enwezor (Foto: Monika Höfler)
Okwui Enwezor (Foto: Monika Höfler)

Wodurch zeichnet sich Ihrer Meinung nach die Sammlung Goetz außerdem aus? 

OE: Eine Rolle spielt das Verhältnis, das Jeanny zu den Künstlern aufgebaut hat. Sie sammelt deren Werke umfassend, und besitzt nicht nur eine oder zwei Arbeiten von ihnen, sondern verfolgt sie in ihrer Entwicklung über Jahre. Das verleiht ihrer Sammlung Tiefe. Und dies ist wirklich etwas Besonderes: eine Konstellation, in der man sich dem Schaffen einer Künstlerin oder eines Künstlers enzyklopädisch annähern kann. Und wir haben beide das Ziel, das Wirken der Sammlerin in ein Gespräch mit der Öffentlichkeit zu bringen. Das ist auch etwas, das uns verbindet.

IG: Es gibt eine schöne Koinzidenz – so habt ihr großartige Ausstellungen mit Künstlern gemacht, die ich auch sammle. Nehmen wir zum Beispiel die Ausstellung von Matthew Barney, die du am Haus der Kunst gezeigt hast. Das ist ein Künstler, der auch in meiner Sammlung stark vertreten ist. Das Gleiche gilt für Louise Bourgeois oder Georg Baselitz. Und bald werden wir Michael Buthe präsentierten, der ein enger Freund von mir war. Das Haus der Kunst zeigt eine Retrospektive seiner Werke, die jetzt auf Tournee ist, und die Sammlung Goetz mehr als 40 Arbeiten, die ich gesammelt habe. Bei uns in Oberföhring wird das eine sehr persönliche Ausstellung. Es sind dort auch Dokumente aus meinem Privatarchiv zu sehen, darunter Fotografien von Performances, die Buthe mit mir machte. Da sind teilweise sehr merkwürdige Dinge dabei (lacht). 

Was genau schätzen Sie an der Zusammenarbeit mit Okwui Enwezor?

IG: Es ist die Art, wie er sich für die Dinge interessiert. Das ist sehr engagiert, auf einer politischen Ebene, aber auch intellektuell. Auch wenn er einen viel breiteren Hintergrund hat als ich, weiß ich doch immer, worauf es ihm ankommt, wie er das Museum aufbauen und strukturieren möchte. Das gefällt mir sehr an seiner Arbeit. Und die Sanierung des Haus der Kunst, die jetzt ansteht, wird nicht nur ein Umbau sein, sondern eine Transformation. Wenn ich in seiner Position wäre, würde ich das auch so machen: das Haus zu öffnen für andere Disziplinen und Kunstformen. 

Erinnern Sie sich noch an Ihren ersten Besuch im Haus der Kunst, Frau Goetz? 

IG: Oh Gott, das ist lange her. Jedenfalls stand für mich nicht im Vordergrund, dass es ein Nazibau gewesen war, falls Sie darauf hinauswollen. Ich war immer nur wegen der Ausstellungen dort – und die mochte ich. Natürlich sieht man es dem Gebäude an, wann es erbaut wurde. Aber es kann auch etwas Interessantes haben, die hohen Räume zum Beispiel, die wie geschaffen sind für die großen Arbeiten, die Künstler heute herstellen. Das ist schon etwas anderes als die klassischen alten Museumsgebäude, wo es nur diese kleinen Kabinette gibt.

Wie haben Sie Ihren ersten Besuch in Erinnerung behalten, Herr Enwezor? 

OE: Ich weiß noch, dass ich von der Erscheinung und Ausstrahlung des Hauses beeindruckt war. Auf mich wirkte die Architektur durchaus im positiven Sinn muskulös. Aber ich würde in dem Zusammenhang gern nicht nur über meinen ersten Eindruck reden, sondern über ein generelles Missverständnis, das mir immer wieder auffällt. Viele Menschen, die ich treffe, denken, dass hier die Ausstellung „Entartete Kunst“ stattfand.

 Dabei war die am Hofgarten.

OE: Ich sage das, weil ich den Eindruck habe, dass es bei der Beurteilung des Haus der Kunst auch darum geht, sich von ein paar alten Missverständnissen zu lösen. Und dass man lernt, Widersprüchlichkeiten auszuhalten. Ich denke, die Frage ist, ob man das Haus der Kunst heute positiv betrachten kann, obwohl man nach 1945 damit rechnen musste, dass man ihm seine Vergangenheit zum Vorwurf macht. Damals musste man sich entscheiden, wie die Zukunft des Hauses aussehen würde, vielleicht mehr als bei anderen Museen. Und das nicht nur, was die Funktion des Gebäudes betrifft. Sondern auch die Haltung der Antimoderne gegenüber, auf der es gegründet worden war. 

Ingvild Goetz (Foto: Monika Höfler)
Ingvild Goetz (Foto: Monika Höfler)

Die ersten Ausstellungen nach 1945 zeigten Werke von Künstlerinnen und Künstlern, die die Nazis noch unbedingt hatten verbieten wollen, etwa Gabriele Münter.

OE: Und dieser Widerspruch ist sehr ergiebig. Man muss bedenken, dass viele Museen in Europa zu dieser Zeit keine Freunde der Avantgarde waren. Einige wenige kauften Werke von zeitgenössischen Künstlern, etliche andere, gerade die großen Häuser mit langen Traditionen, taten es nicht. Auch das ist Teil der DNA dieses Gebäudes: die konstante Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Kunst, die seitdem hier stattgefunden hat. Das ist nicht selbstverständlich. Und etwas, das die Räume hier so fantastisch macht. Ist Ihnen Mark Wigley ein Begriff?

Der ehemalige Dekan der Architekturfakultät an der berühmten Columbia University in New York?

OE: Der hat hier mal einen Vortrag gehalten, als vor vier Jahren die Schau „Geschichten im Konflikt“ lief. Wigley vertrat die These, dass das Haus der Kunst der erste White Cube gewesen sei. Denn davor war es in Museen und Ausstellungshallen unüblich, Kunst vor weißen Wänden zu zeigen. Interessant, nicht? Das hatte damals ideologische Gründe, ist inzwischen jedoch das akzeptierte Werkzeug, die unkonventionellste, avancierteste Kunst zu präsentieren … All diese Spannungsfelder lassen es mir sehr faszinierend erscheinen, am Haus der Kunst zu arbeiten. 

Wie hat sich in Ihrem Empfinden die Kunstszene in München verändert, seit Sie 2001 zum ersten Mal in der Stadt waren, um die Ausstellung „The Short Century“ an der Villa Stuck zu kuratieren?

OE: Ich würde nicht behaupten wollen, dass ich seinerzeit wirklich tiefe Einblicke gewonnen hätte. Was mir aber schon auffiel, war, dass es hier einen Kern an Institutionen gibt, die München mit jeder anderen Stadt dieser Welt vergleichbar machen. Vielleicht nicht in derselben Größe und demselben Maßstab. Aber sie haben das Lenbachhaus und die Villa Stuck mit ihrem anspruchsvollen Programm, die Pinakothek der Moderne, das Haus der Kunst. Dann sind da die kleineren alternativen Räume und selbstverständlich die Sammlung Goetz mit ihrer sehr speziellen Architektur, dazu noch das Museum Brandhorst. Was private, kommerzielle Galerien angeht, gibt es sicher lebendigere Städte. Aber das machen wir in München damit wett, was in den Museen und Institutionen passiert. Und das wissenschaftliche Niveau, das diese Ausstellungen begleitet, ist außerordentlich hoch. Ich bezweifle, dass die Berliner mehr tun. 

IG: Da kann ich Okwui nur recht geben. Wir haben hier wirklich viele ganz erstklassige Stücke in den öffentlichen Sammlungen. Sehen Sie sich die Alte Pinakothek an: Es tut mir manchmal richtig weh, wie wenig Besucher dieses Museum hat, wenn man sich die großartigen Bestände vorstellt. Die Qualität, die man da zu sehen bekommt, kann man mit dem Louvre vergleichen. 

OE: Oder mit der National Gallery in London. 

IG: Das gilt vielleicht nicht für den Umfang, aber sicher für die kunsthistorische Bedeutung.

Um noch einmal auf das Haus der Kunst zurückzukommen. Ich war gerade in der aktuellen Ausstellung mit Videos aus Ihrer Sammlung, die Sie im Luftschutzkeller im Sockel des Baus zeigen. 

IG: Es war Chris Dercon, der mich fragte, ob ich die Kooperation eingehen möchte. Und er bot mir dafür zwei verschiedene Räumlichkeiten an. Einen großen Saal oder diese Reihe kleinerer Räume, die Sie eben gesehen haben. 

Aber finden Sie die nicht ein bisschen einschüchternd?

IG: Doch, natürlich. Und so sollte es auch auf alle wirken, denn genau das wollte ich damit erreichen. Ich finde es wichtig, dass man die Besucher direkt und unverstellt mit der Geschichte des Hauses konfrontiert. Wir haben deshalb an der Architektur auch nichts geändert. Die Heizungsräume und die zwei Duschen sind Ihnen sicher aufgefallen.

Die sind mir aufgefallen, doch …

IG: Ich weiß nicht, ob Okwui damals so glücklich damit war. Aber für mich war das ganz entscheidend. Deshalb war meine erste Ausstellung dort auch so politisch. Ich hatte dafür Arbeiten ausgesucht, die auf die eine oder andere Art die Kriege der Welt zum Thema hatten. 

OE: Du hast ein gutes Gedächtnis, Jeanny.­ Anfangs hegte ich in der Tat eine gewisse Skepsis diesen Räumen gegenüber. Als ich dann die Ausstellung sah, ergab es einen Sinn. Die architektonische Intervention war sehr gering. Aber es half, den Ort auch in seiner neuen Nutzung lesen zu können. Ich fand das bald sehr clever – diese Anordnung von Kabinetträumen, an denen die Besucher fast wie an Zellen entlanggehen. Auch der Korridor mit den beleuchteten Texttafeln kam mir sehr gelungen vor. Das hat dem Ganzen eine gewisse Wärme gegeben, die dem Ensemble etwas von seiner Schauerlichkeit nimmt. Und die Videos sind hier, anders als anderswo, nicht Teil eines großformatigen Settings, das dem Genre der Eventkultur folgt. Das konzentrierte Betrachten steht klar im Vordergrund. 

Sie haben einen neuen Sponsor gewonnen, der künftig einen substanziellen Betrag, 500.000 Euro pro Jahr, zum Etat Ihres Museums dazugibt.

OE: Für uns vom Haus der Kunst ist es ganz entscheidend, dass wir ein breites Spektrum an Unterstützern haben. Deshalb ist es auch ein großes Glück, Jeanny heute bei uns zu wissen, die uns auf vielfältige Art unterstützt, mit Geld und mit ihrer Sammlung. Wir gehen jetzt ins sechste Jahr und sind sehr daran interessiert, diese langfristige Unterstützung fortzusetzen. Wir dürfen auch die Vereinigung der Freunde des Haus der Kunst nicht vergessen, die seit Jahrzehnten ein enorm starker Partner ist. Dann ist da der bayerische Staat, der uns großzügig unter die Arme greift und auch den größten Teil der Kosten für die Sanierung des Hauses durch den Architekten David Chipperfield übernehmen wird, die demnächst beginnen soll. Und Sie haben recht: Es ist soeben ein neues Mitglied in diesem Helferkreis dazugekommen, die Alexander Tutsek-Stiftung. Sie selber nennt sich übrigens nicht Sponsor, deshalb tun wir das auch nicht. Denn bei dem Begriff schwingt immer mit, dass eine wie auch immer geartete Gegenleistung erwartet wird. Das ist bei der Alexander Tutsek-Stiftung nicht so. Dafür sind wir sehr dankbar.

Frau Goetz, wenn ich das richtig beobachte, haben Sie in den letzten Jahren den Fokus Ihrer philanthropischen Arbeit ein wenig verschoben. Sie haben sich von Teilen Ihrer Kunstsammlung getrennt und diese Werke dem bayerischen Staat geschenkt. Stattdessen unterstützen Sie jetzt Asylsuchende in Deutschland. Können Sie uns ein bisschen mehr über Ihr Engagement erzählen? 

IG: Gern, aber ich habe da eigentlich nichts verändert, sondern betreibe beides, die Kunst und mein wohltätiges Engagement, schon seit vielen Jahren parallel. Ich habe nur lange nicht groß darüber geredet. Zuerst haben wir Kleidung für Asylsuchende gesammelt und unser kleines Privatmuseum als Anlaufpunkt für Spenden benutzt. Wir haben Freizeitprojekte für Asylsuchende finanziert, etwa Filme, Projektoren und Betreuung organisiert. Als die Männer sich weigerten, mit Frauen zusammenzusitzen, haben wir für die Frauen einen zweiten Filmraum eingerichtet. Wir unterstützen Deutschunterricht und finanzieren Pädagogen und Sozialarbeiter. Mein Mann hat außerdem die Gründung einer Schule für unbegleitete jugendliche Flüchtlinge gefördert. Schlauschule heißt das Projekt, in das ich eingestiegen bin. Dort lernen die Jungen auch, dass sie neben Mädchen sitzen müssen. Das klappt inzwischen sehr gut (lacht). Zusätzlich finanzieren wir in Nepal ein Kloster mit angeschlossener Schule und Universität. Und dann engagiere ich mich im Kampf gegen Essstörungen und unterstütze Institutionen und Projekte. Denn diese Krankheit ist immer noch ein Riesenproblem in Deutschland.

Service

Fotos:

Monika Höfler

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