Das Kunstmuseum Basel hat einen luxuriösen Neubau bekommen. Und das Stammhaus strahlt in neuem Glanz
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19.04.2016
Die Basler lieben ihr Kunstmuseum. So gab es einen Aufschrei der Empörung, als es für die Instandsetzung rund anderthalb Jahre geschlossen werden musste. Und als jetzt der sanierte Altbau und vor allem das Erweiterungsgebäude auf der anderen Straßenseite eröffnet wurden, da strömten die Bürger in Scharen. Fast 20 000 kamen an zwei Tagen der offenen Tür – und dies bei nicht einmal 200 000 Einwohnern. Die Kunst gilt eben viel in Basel mit seinem kultivierten Stadtpatriotismus. Seit die Kommune 1661 das Kunstkabinett des Humanisten Basilius Amerbach ankaufte und damit die erste öffentliche Kunstsammlung Europas gründete, stifteten die Bürger viel an das wachsende Museum. Das ist bis heute so. Liest man beim Rundgang aufmerksam die Provenienzen der Werke, dann lässt sich eine Geschichte des Basler Mäzenatentums nachvollziehen. Auch den Erweiterungsbau, der mit 2500 Quadratmetern zusätzlicher Schaufläche endlich ausreichend Platz für Sonderausstellungen, aber auch für Depots und große Festivitäten bietet, gäbe es nicht ohne großzügigen Bürgersinn: Die Industriellenerbin Maja Oeri stiftete das Grundstück und trug die Hälfte der Baukosten von 100 Millionen Franken.
So wurde eine ganz große Lösung daraus. Mit dem Hauptbau von 1936 (von Paul Bonatz und Rudolf Christ), dem unweit am Rhein gelegenen Museum für Gegenwartskunst (1980 von Maja Oeris Mutter Maja Sacher-Stehlin ermöglicht) und jetzt dem Erweiterungsbau auf der anderen Straßenseite verfügt das Kunstmuseum über mehr als 10 000 Quadratmeter Schaufläche für seine Sammlung mit den vielen weltberühmten Werken von Hans Holbein bis Gerhard Richter. Basel wollte mit dem Neubau die Weltklasse des Kunstmuseums unterstreichen; das ist grandios gelungen. Zugleich haben die beiden Basler Architekten Emanuel Christ und Christoph Gantenbein dafür gesorgt, dass alles so wird, wie man es in dieser Stadt liebt: reell, gediegen, zurückhaltend, schon gar nicht protzig, aber sehr qualitätvoll in der Ausführung.
Zuallererst übten sich Christ und Gantenbein in der Kunst der Anpassung. Aus dem verzogenen und nicht sehr großen Grundstück gewannen sie die Form des unregelmäßigen Kubus. Sie griffen die Umrisshöhe des Altbaus auf und verkleideten die Betonarchitektur mit hellen, fast weißen dänischen Backsteinen, was mit der Steinverkleidung des Dreißigerjahre-Museums gegenüber wunderbar kommuniziert. So erweist der neue Bau dem alten seine Referenz, er kommentiert und zitiert ihn und macht die Zusammengehörigkeit über die Straße hinweg anschaulich. Man sieht gleich, eine spektakuläre Museumsskulptur à la Frank Gehry oder Zaha Hadid war im diskreten Basel nicht gefragt. Am Ende ist daraust fast zu viel der Bescheidenheit geworden, denn als Einzelmonument funktioniert der trutzburgartige, nur von wenigen Fenstern durchbrochene Block nicht so recht. Er braucht den Gegenpart des Bonatzbaus, erst im Doppelpack kann er seine Qualitäten angemessen entwickeln.
Auch im Inneren beziehen sich Christ und Gantenbein auf das Stammhaus der Dreißigerjahre. Vor allem mit dem kreisend-malerischen Rauhputz, der auf sympathische Weise altmodisch wirkt und nun in kühlem Grau den Weg hinab zum Verbindungstunnel und hoch in das gewaltiges Treppenhaus des Neubaus führt. Grau in Grau, dafür sorgt auch der Marmorboden der Erschließungsflächen, an dem sich während der Eröffnungstage nicht wenige der angereisten Museumskollegen störten. Auch er trägt zum Eindruck der klassischen Gediegenheit bei. Spektakulär und das Meisterwerk in dem neuen Museum ist die steile Treppenschlucht – fast archaisch ausmoduliert, von babylonischer Wucht, mit expressionistisch-kühnen Rampen, Seitenwangen und Galerien. Hier wird der Aufstieg zur Kunst zum theatralischen Akt. Etwas manieriert gerieten dagegen die Treppengeländer, Saaltüren und Foyerverkleidung: alles aus verzinktem Aluminium, die Elemente wirken wie frisch aus dem Baumarkt und sollen der klassischen Eleganz eine rohe Würzung geben.
Die Ausstellungssäle auf vier Ebenen sind zwiespältig. Sie sind hoch und gut proportioniert, sehr schön die gelegentlichen Riesenfenster, die Blicke in die Stadt und aufs Haupthaus gewähren, auch hier überall die erlesene handwerkliche Ausführungsqualität. Störend sind der auffällig gerasterte Holzboden und die penetranten Leuchtröhrenreihen an der Betondecke. Insgesamt ist die Atmosphäre (gerade im Gegensatz zum Hauptbau) ziemlich kühl, was die sehr spärliche Hängung noch unterstreicht. Die großen Bilder der „New York School“ – Morris Louis, Clyfford Still, Mark Rothko oder Barnett Newman – kommen hier ausgezeichnet zur Wirkung; weniger gut gelingt dies in der Eröffnungsschau „Sculptures on the Move“, einem hochkarätigen Streifzug durch die Skulptur der Moderne von Giacometti bis Koons. Die Stücke wirken teilweise wie in Tiefkühlatmosphäre, verloren vor den Riesenwänden, immer wieder in unschöner Nähe zueinander. Die klassisch-festen Bildersäle, der Verzicht auf ein flexibles Wandsystem wird die Inszenierung künftiger Ausstellungen nicht unbedingt vereinfachen.
Insgesamt stiehlt der Neubau dem Altbau nicht die Show. Im Gegenteil, das Haupthaus in seinem konservativen Modernismus von 1936 bleibt das Epizentrum des Museums. Nach der Sanierung – die sich vor allem dadurch auszeichnet, dass man nicht viel von ihr sieht – atmet die Sammlung freier und schöner denn je. Der einzigartige Holbein-Bestand und die oberrheinische Spätgotik, der Hausheilige Böcklin, die Schweizer Caspar Wolf, Albert Anker und Hodler, dann der lange triumphale Rundgang durch die klassische Moderne mit ihren vielen Höhepunkten: Das alles ist herrlich ausgebreitet und muss jetzt nicht mehr für Ausstellungen weggeräumt werden. Ein Museum präsentiert sich im Bestzustand, wieviele Häuser sind davon Welten entfernt.
„Sculpture on the Move“, die Eröffnungsausstellung im Neubau des Kunstmuseum Basel, läuft bis 18. September 2016.