Ein Werkverzeichnis gilt gemeinhin als Adelsbrief für einen Künstler. Unser Autor Peter Dittmar beleuchtet in seiner Kolumne, warum insbesondere kommerziell bedeutsame Kataloge nur ungern ins Netz gestellt werden.
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10.06.2016
Ein Werkverzeichnis gilt gemeinhin als Adelsbrief für einen Künstler. Denn damit wird dokumentiert, dass das Geschaffene geordnet und über den Tag hinaus dokumentiert werden muss. Was aufgenommen wurde, gilt als authentisch. Doch mit der Selbstverständlichkeit, mit der das lange Zeit akzeptiert wurde, ist es inzwischen vorbei. Der Thron, auf dem der Autor des Werkverzeichnisses saß, wackelt nicht erst seit den geldträchtigen Irrtümern von Werner Spies in Zusammenhang mit dem Casus Beltracchi. Zuvor bereits gab es die Affäre Jawlensky, bei der das Museum Folkwang sich auf den vierten Band des Werkverzeichnisses stützte, der nach Überzeugung der Fachleute zahlreiche Fälschungen als „echt“ einschließt. Genauso ist der Van Gogh-Œuvrekatalog mit erheblichen Zweifeln belastet, sprechen die fünf Werkverzeichnisse, die es zu Modigliani gibt, oder die diversen Zusammenstellungen über die Gemälde Rembrandts von Unsicherheiten und Ungewissheiten über die Opera des jeweiligen Künstlers.
Damit muss sich der Kunsthandel abfinden, denn die Expertise eines Fachmanns wirkt sich unmittelbar auf den Preis aus. Die Verzeichnisse sind zugleich ein kommerzieller Machtfaktor, gewissermaßen ein Wertverzeichnis. Der anerkannte Experte kann deshalb sein Spezialwissen durchaus ausmünzen. Liegt das Verzeichnis gedruckt vor, schwinden diese Einnahmen, soweit es sich nicht um neu auftauchende Arbeiten handelt. Deshalb ist so mancher Spezialist oft nicht daran interessiert, sein Wissen als Buch zugänglich zu machen. Noch weniger reizt ihn das Internet, mit dem die allerletzten Erkenntnisse sofort publik werden. So finden sich nur recht wenige Œuvreverzeichnisse im Netz. Eine große Ausnahme ist die Seite www.gerhard-richter.com, die akribisch in deutsch, englisch, französisch und italienisch mit einer gut zu handhabenden Suchfunktion erschließt, was Gerhard Richter gemalt, aquarelliert, gezeichnet, fotografiert und gedruckt hat – sogar inklusive Auktionszuschlägen. Allerdings mit einem Schönheitsfehler: Als Nr. 1 wird der „Tisch“ von 1962 genannt. Was Richter vorher schuf, kennt das Werkverzeichnis nicht. Aber auch rund 200 spätere Bilder, die der Meister als nicht meisterwürdig ansieht, durften nicht aufgenommen werden – obwohl sie durchaus als original gehandelt werden. Es ist somit, weil nicht wissenschaftlich genau, sondern von der Subjektivität des Künstlers gelenkt, gewissermaßen ein „unkritisches Werkverzeichnis“
Die Möglichkeiten eines Internet-Werkverzeichnisses präsentiert seit Mai der Katalog der plastischen Werke von Käthe Kollwitz (www.kollwitz.de), weil er auf weiteren 276 Seiten Einzelheiten zu jedem Werk auflistet, was die gedruckte Version überlastet hätte. Mit derselben Genauigkeit und Ausführlichkeit findet man die Holzschnitte von Yoshitoshi (www.yoshitoshi.net) im Netz. Auch was Felix Nussbaum (www.osnabrueck.de/werkverzeichnis), Ernst Wilhelm Nay (www.ewnay.de), Douglas Swan (www.douglas-swan-stiftung.de/werkverzeichnis) gemalt haben, lässt sich in ihren Internet-Werkverzeichnissen nachschauen. Für Cézanne (www.cezannecatalogue.com), Mary Cassett (www.marycassatt.com) oder Joaquín Torres-García (www.torresgarcia.com) muss man sich registrieren, um die Œuvrekataloge einzusehen. Und als Versprechen auf ein künftiges Werkverzeichnis für Roy Lichtenstein bietet sich www.imageduplicator.com an, eine Chronologie seiner Arbeiten in Abbildungen. Wer aber in Werkverzeichnissen nicht findet, was er in der Überzeugung unbezweifelbarer Echtheit besitzt, darf sich mit dem Urteil des OLG Karlsruhe vom 15. Oktober 2013 (Az. 17.U 8/13) trösten, wonach ein Kunstwerk durchaus als Original gelten kann, auch wenn es nicht im Werkverzeichnis aufgeführt ist. Denn jeder, der sich auf eine solche Sisyphos-Arbeit eingelassen hat, weiß: kaum gedruckt, bereits unvollständig, weil irgendwo ein bislang unbekanntes Bild auftaucht.
Diesen Artikel finden Sie auch in der aktuellen Ausgabe der Kunst und Auktionen (10/2016).