Johann Heinrich Tischbein d. Ä. hat seine Gemahlin mit einem Buch in der Hand porträtiert, dem unser Interesse gilt. Denn es ist in hübsches Buntpapier gebunden, das zur Entstehungszeit des Gemäldes, 1762, seine Blüte erlebt hat.
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27.12.2016
Glänzende, silbergraue Seide umhüllt Madame Marianne Pernette Tischbein, die dem Betrachter direkt in die Augen blickt. Johann Heinrich Tischbein d. Ä. hat seine Gemahlin mit einem Buch in der Hand porträtiert, dem unser Interesse gilt. Denn es ist in hübsches Buntpapier gebunden, das zur Entstehungszeit des Gemäldes, 1762, seine Blüte
erlebt hat. Die Geschichte des Papiers war damals bereits mehr als anderthalb Jahrtausende alt. 105 n. Chr. in China erfunden, kam es über Asien und den Orient nach Europa, wo 1389 die erste deutsche Papiermühle in Nürnberg in Betrieb ging. Das älteste erhaltene Buntpapier stammt aus der japanischen Heian-Periode um 1122. Seit Jahrhunderten spielt aufwendig veredeltes Papier für Drachen, Fächer, Fenster- und Türverkleidungen und auch zum Schreiben in Japan eine besondere Rolle. „Suminagashi“ – fließende Tinte – hießen dort die angeblich fälschungssicheren marmorierten Papiere, die, in Tunktechnik nach Geheimrezepten hergestellt, dem Adel vorbehalten waren.
Buntpapier ist jedoch nicht mit dem farbig durchgefärbten zu verwechseln. Der Terminus bezeichnet ein mit Farbe, Firnis, Bronzen gestrichenes oder bedrucktes Papier. Das früheste erhaltene einfarbig gestrichene Papier schmückt die Rückseite einer Karte aus dem „Stuttgarter Kartenspiel“ um 1430. Die älteste Rezeptur für das solchermaßen veredelte Material stammt aus einem Rezeptbuch des Nürnberger Katharinenklosters von 1470. Besonders beliebt waren Marmormuster, nach dem persischen Wort „Ebru“ für Wolke oder einfach „Türkisch Papier“ genannt.
Ins Jahr 1539 ist das älteste orientalische Marmorpapier zu datieren. Anfangs aus Persien oder dem Osmanischen Reich importiert, war die Technik um 1600 auch in Europa geläufig. Bei diesem Farbtunkverfahren wurde die Oberfläche eines schleimigen Absuds aus Carragheenmoos mit Ochsenblutgalle vermischt und mit Werkzeugen wie Kamm oder Pinsel zu Mustern gestaltet. Auf diese schwimmende Farboberfläche legte man das angefeuchtete Papier, an dem nach weiteren Arbeitsgängen das Farbmuster haften blieb. Ab dem 16. Jahrhundert dienten zeittypisch gemusterte Bögen zur Auskleidung von Schatullen, Kästchen oder Schubladen, zunächst als Broschurumschlag und seit Mitte des 17. Jahrhunderts vor allem als Vorsatzpapier in Büchern. Diese frühen Schmuckpapiere wurden von Formschneidern, Kartenmachern, Patronisten und Buchbindern, aber auch von Frauen und Kindern in Heimarbeit hergestellt. Mit der großen Nachfrage im 18. Jahrhundert bildeten sich die „Buntpapierer“ als eigene Berufsgruppe heraus. Sie orientierten sich an der Schönheit und Vielfalt der Ornamentvorlagen der Goldschmiede und Textilkünstler.
Kein Wunder, dass Augsburg, Zentrum der Herstellung und des Handels mit Druckgrafik, Goldschmiedekunst und Luxuswaren, zur wichtigsten Produktionsstätte von Buntpapieren in Süddeutschland aufstieg. Um 1680/90 übertrugen der Augsburger Kattundrucker Jeremias Neuhofer und der Formschneider und Kupferstecher Jacob Enderlin den Modeldruck aus dem textilen Zeugdruck in die Papierveredelung. So entstand die Spezialität der Bronzefirnis- und Brokatpapiere, die zwischen 1695 und 1735 als „Augsburger Papier“ weit über die Landesgrenzen hinaus gefragt waren. Mit ihren hochbarocken üppigen Ornamenten aus Ranken- und Bandelwerk, oft mit Figuren, Tieren, Fabelwesen oder Chinoiserien belebt, bilden sie die Spitze der materiellen Veredelung des Papiers und seiner ästhetischen Aufwertung. Anfang des 18. Jahrhunderts sind rund 30 Buntpapierverleger in Augsburg nachweisbar, darunter Meister ihres Fachs wie Joseph Friedrich Leopold, Georg Christoph Stoy und Johann Michael Munck d. J. Zudem steuerten die Augsburger Kupferstecher und Verleger, allen voran Jeremias Wolff, Buntpapiere in Kupferstichtechnik bei, die heute als Rarität gelten. Sie alle sind in einer kleinen Sonderausstellung im Grafischen Kabinett der Augsburger Kunstsammlungen zu bewundern, die mehr als 400 Buntpapiere besitzen, darunter das älteste erhaltene Bronzefirnispapier von 1685.
Auch in diesem Bereich war die Mode kurzweilig und wechselte im Halbjahresrhythmus. Mitte des 18. Jahrhunderts eroberten Kattunpapiere als kostengünstigere Variante den Markt, deren Muster mit Holzmodeln aufgedruckt waren. Ihrer Verwandtschaft mit Textildrucken verdanken sie auch den Namen „Zitzpapiere“ in Anlehnung an die beliebten handbemalten, Zitze oder Chintze genannten Baumwoll- oder Seidenstoffe. Sogenannte Fladerpapiere ahmten die Holzmaserung von Ahorn nach.
Jede Region setzte andere Schwerpunkte. So waren im Osten Deutschlands und in Skandinavien die Herrnhuter Kleisterpapiere gefragt. In Frankreich favorisierte man die Dominotierpapiere in Modeldrucktechnik. Prinzipiell unterscheiden sich Druck- und Tunkverfahren und als Materialien Farben und Blattmetallfolien. Die industrielle Fertigung ab 1840 brachte den vorübergehenden Niedergang des Buntpapiers, das jedoch mit der Reformbewegung des Kunsthandwerks im Jugendstil und in der Arts-and-Crafts-Bewegung einen neuen Höhepunkt erlebte. Auch heute gibt es Papierkünstler, die sich den aufwendigen handwerklichen Techniken widmen.
Johann Heinrich Tischbeins Frau hält Buntpapier in den Händen, 1762 (Foto: Museumslandschaft Hessen-Kassel)