Mit seiner spontanen, intuitiven und blitzschnellen Malerei prägte K. O. Götz das Informel in Deutschland. Bis zum Schluss ging er noch ins Atelier. Nun ist K.O. Götz im Alter von 103 Jahren gestorben.
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21.08.2017
Bis zum Schluss hat ihn die Energie nicht verlassen. Auch mit 103 Lebensjahren stand K.O. Götz noch gelegentlich im Atelier, um neue Gouachen anzufertigen, wie Vertraute des Malers im Frühjahr zu seinem Geburtstag berichteten. Vor acht Jahren demonstrierte er mir bei einem Atelierbesuch, wie er vor – oder in seinem Fall besser gesagt: über der Leinwand agierte. Schon damals hatte ihn die Sehkraft fast völlig verlassen. Den Pinsel in der einen Hand, den Rakel in der anderen, gelangte er mit sagenhaft schnellen, fast parallel geführten Armschwüngen zur Komposition. Das fertige Bild hatte er bereits vor der Ausführung in seinem Kopf gemalt, die Bewegungen in jahrzehntelangen Wiederholungen immer weiter perfektioniert. In seiner Malweise erinnerte K.O. Götz an einen japanischen Zen-Meister, was glaube ich schon einiges über seine Kunst verrät.
In vielerlei Hinsicht war Götz ein Maler des 20. Jahrhunderts: Geboren wird er noch im Kaiserreich, am 22. Februar 1914 als Sohn eines Prokuristen in Aachen. Gegen den Widerstand des Vaters beginnt er zu malen, halbabstrakte Bilder. Dann kommen die Nationalsozialisten an die Macht, die ihn 1935 mit einem Malverbot belegen. Er arbeitet heimlich weiter. Und ebenso klandestin widmet er sich seiner Jazz-Leidenschaft – Otto Dix und Götz hören zusammen in Dresden verbotene Platten, die Götz über die Grenze bei Aachen geschmuggelt hat. Kurz vor Kriegsende, da ist er noch beim Militärdienst in Norwegen, fallen Bomben auf Dresden. Im Inferno wird auch fast das gesamte Frühwerk von K.O. Götz vernichtet.
Das Gefühl der Befreiung nach dem Zusammenbruch des faschistischen Deutschlands kann man sich für diesen Künstler gar nicht groß genug vorstellen. Als erster und einziger deutscher Maler wird er Mitglied der internationalen Künstlergruppe CoBrA. Neben seinen Kollegen stellt er 1949 im Amsterdamer Stedelijk Museum aus, dessen damaliger Direktor Willem Sandberg als Widerstandskämpfer im Krieg aktiv gewesen war. Götz wird so, zumindest ästhetisch, durchaus aber auch symbolhaft, zum Botschafter einer neuen abstrakten, freien Kunst aus Deutschland, welche die dunkle Vergangenheit überwindet. Die Energie der Amerikaner durchpulst seine Bilder, als er 1950 in Paris die Werke von Jackson Pollock und Willem de Kooning sieht.
Eine Offenbarung war die Retrospektive, die 2013 zu seinem 100. Geburtstag in der Neuen Nationalgalerie in Berlin stattfand. Ludwig Mies van der Rohes Glaspavillon bildete den perfekten Rahmen für Götz‘ Großformate, deren Farbspiele, Schwünge und Strudel nie Monotonie oder gar Langeweile aufkommen ließen und stattdessen einen visuellen Sog erzeugten, den heute kein junger Maler mehr erreicht. Es war vielleicht die beste Ausstellung in der Nationalgalerie in den letzten zehn Jahren, und das hat viel mit der Kunst von K.O. Götz zu tun – mit ihrer Spontaneität und ihrem Freiheitsdrang und mit dem Wunsch ihrer Schöpfers, im Rausch der Geschwindigkeit das verklemmte Denken zugunsten des ästhetischen Geniestreichs auszuschalten.
Nicht nur als einer der wichtigsten Vertreter des Informel in Deutschland hat der Documenta- und Biennale-Teilnehmer K.O. Götz die Kunstgeschichte mitgeschrieben. Er war zwischen 1959 und 1979 auch als Professor der Kunstakademie Düsseldorf und dabei als Lehrer von Künstlern wie Sigmar Polke und Gerhard Richter prägend. An letzteren hat er die Technik übergeben, mit dem Rakel in der noch frischen Farbe zu arbeiten und so ein abstraktes Bild zu gestalten. Als Lehrer sei er tolerant gewesen, hat die Künstlerin Rissa einmal erzählt, die bei ihm studierte und die er in den Sechzigerjahren in zweiter Ehe heiratete. Sie assistierte ihm im letzten Jahrzehnt auch beim Malprozess. Am Samstag ist K.O. Götz in seinem Haus in Niederbreitbach-Wolfenacker (Westerwald) gestorben.