Der Künstler Andreas Greiner arbeitet an der Grenze zur Naturwissenschaft. 2016 wurde er mit dem Gasag-Kunstpreis ausgezeichnet, diesen Sommer verbrachte er sechs Wochen als Artist in Residence auf der Insel Vilm. Für uns schrieb er auf, wie der Ort seine Arbeit beeinflusst hat.
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24.11.2017
Mit dem Forschungsprojekt „Neue Ansichten!“ will das Umweltbundesamt den Austausch zwischen Kunstpraxis, Kulturpolitik, Wissenschaft und Nachhaltigkeitspolitik fördern: In diesem Jahr wurden Aufenthaltsstipendien an Künstler verschiedener Metiers vergeben, die auf der Insel Vilm in der Ostsee neue Arbeiten entwickeln konnten. Neben dem Musikduo Kombüse, der Schriftstellerin Sabine Scho und der Bildhauerin Nadine Baldow war auch der Künstler Andreas Greiner vor Ort. Wie ihn die Natur auf Vilm inspirierte, hat er für uns aufgeschrieben.
Gemeinsam mit Martin Schneider plane ich eine Arbeit, die gerade noch im Entstehen begriffen ist. Hier zeigen wir nun erste Ergebnisse – das finale Resultat wird allerdings erst nächstes Jahr zu sehen sein. Die nun entstandenen Bilder haben noch nicht die Auflösung und Qualität, die wir schlussendlich anstreben, zeigen aber den momentanen Status quo des Projektes, so dass man die Grundgedanken unseres Ansatzes verstehen kann.
Wir experimentieren hier mit sogenannter künstlicher Intelligenz und versuchen ihr eine Vorstellung von „unberührter Natur“ zu vermitteln. Zum Zeitpunkt des Stipendiums auf der Insel Vilm habe ich ein Archiv mit mehreren 1000 Bildern für einen sogenannten Neuronalen Algorithmus begonnen. Man sagt, der Urwald auf Vilm sei ein unberührter Wald. Er ist für den Menschen nicht zugänglich. Ich werde das Archiv nächstes Frühjahr vielleicht auf eine Million Bilder erweitern. Martin Schneider arbeitet währenddessen an und mit dem Algorithmus.
Aus den vielen tausenden Bildern ordnet das Program die visuellen Informationen nach Mustern, die es daraus erkennt. Nach mehreren Durchläufen, sogenannten Epochen des Trainings und Lernens erscheint die Vorstellung, Interpretation oder auch Abstraktion des Programms von den Naturaufnahmen immer genauer und es wird im Stande sein, selbst Bilder von Natur zu synthetisieren.
Bei den gezeigten Bildern ist der Algorithmus grundsätzlich angelegt – wir haben versucht, das Programm in mehreren Durchläufen und mit unterschiedlichen Grundeinstellungen lernen zu lassen. Zusätzlich bekam es die Aufgabe, Aufnahmen des Hamburger Bahnhofs in seine Vorstellung von Natur zu übersetzen. Man sieht unterschiedliche Ergebnisse und Aufnahmen von mir, wie ich den Wald dokumentiere.
Die geplante Arbeit Jungle Memory ist also eine fortlaufende Kollaboration. Vorstellen muss man sich das Ganze so: In einem Ausstellungsraum werden die Besucher von einer Drohne begrüßt, die in einer Vitrine schwebt. Sie filmt den Eingangsbereich und die Gäste, verarbeitet laufend diese visuellen Informationen und fixiert gleichermaßen den Blick jeder Person, die ihr gegenübertritt.
Die Bilder aus der Drohnenkamera werden von einem neuronalen Algorithmus umgewandelt, der von einer Datenbank mit Naturbildern gespeist wird: Motive von Wäldern, Pflanzen, Bäumen – Eindrücken unberührter Natur auf der Insel Vilm. Das Programm erkennt diese erlernten Muster in den Videoaufnahmen des White Cubes und verzerrt sie Bild für Bild. So entwickelt sich auf dem Bildschirm die Halluzination einer künstlich generierten Naturerfahrung, die von einer denkenden Maschine erzeugt wird, nicht durch einen empfindsamen Menschen.
Die Arbeit basiert auf einer Zusammenarbeit von J. P. Balthasar Müller und mir, realisiert wurde sie in diesem Frühjahr in Tokyo unter dem Titel Dragonfly.
Neue Ansichten! Kunst – Kultur – Wissenschaft – Nachhaltigkeitspolitik im Dialog