Holger Liebs befragt monatlich berühmte Werke auf ihren aktuellen Gehalt. Diesmal: „Das Eismeer“ von Caspar David Friedrich
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20.12.2017
Eines der bekanntesten Gemälde der Kunstgeschichte wird neu mit Bedeutung aufgeladen. Diese Eisberge verschwinden. Haben sie noch wie damals die Kraft, ein Schiff zu zermalmen? Als Caspar David Friedrich 1823/24 „Das Eismeer“ malte, das heute in der Hamburger Kunsthalle hängt, imaginierte er die Natur als erhaben bedrohlich. Die zerstörerischen Eisberge in unwirtlicher Ödnis sollten den Menschen an seine Ohnmacht gemahnen – „Gescheiterte Hoffnung“ wurde das Bild deshalb auch genannt. Es spiegelte Friedrichs eigene Lage. Sein Erfolg begann zu verblassen, im Biedermeier hatten Landschaften eher lieblich auszusehen als abstrakte Gedanken zu versinnbildlichen; eine Zeit der Restauration brach an.
Seltsam, wie der Widerschein dieser Zeit bis in die Gegenwart leuchtet. Unter ähnlich restaurativen, neokonservativen Vorzeichen scheinen heute die Hoffnungen der Klimaforscher, das dramatische Abschmelzen der Polkappen zumindest bremsen zu können, begraben zu werden. So bekommt Friedrichs Bild eine neue, apokalyptische Doppelbedeutung, es strahlt kalt sowohl in die Zukunft als auch in die Vergangenheit. Einerseits bietet es den Wetterbericht des Untergangs: Die Menschen sind fort, zurück bleiben ein paar Holztrümmer, die Reste der Zivilisation, und ansonsten die Eiswüste. Andererseits ist das Gemälde ein sentimentales Zeugnis der Vergangenheit: Diese Eisberge, wie romantisierend auch immer gemalt, hat es mal gegeben. Ist aber auch schon lange her.
Holger Liebs ist Verleger bei Hatje Cantz und befragt für die WELTKUNST berühmte Werke auf ihren aktuellen Gehalt.