Die seit über 30 Jahren bestehende Struktur der Kasseler Weltausstellung der Kunst ist reformbedürftig
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14.02.2018
Wie geht es weiter mit der Documenta? Diese Frage treibt derzeit gleichermaßen politisch Verantwortliche wie künstlerisch Bewegte um. Ein Mitte Januar lancierter offener Brief, unterzeichnet von über 130 einflussreichen Persönlichkeiten des Kunstbetriebs, darunter namhafte Museumsdirektoren wie Marion Ackermann oder Künstler wie Wolfgang Tillmans, drückt die Sorge aus, „dass mit den jüngsten Überlegungen und Maßnahmen des Aufsichtsrates der documenta eine international agierende und einflussreiche Kulturinstitution in Deutschland in ihrem Image erheblich beschädigt wird“.
Diese Sorge ist erst einmal eine gute und berechtigte Sache. Denn dass die nach dem Ende der Nazibarbarei entstandene größte Kunstausstellung der Welt längst zu einem unersetzlichen Kulturgut geworden ist, steht außer Frage. Selbst nach einer so umstrittenen Veranstaltung wie der Documenta 14, die mit ihrem maßlosen Anspruch und ihrer lieblosen Präsentation im vorigen Sommer viele Sympathisanten vor den Kopf stieß. Bei den Besuchern sprach sich das schnell herum, der anfängliche Ansturm ebbte im Verlauf der 100 Ausstellungstage zunehmend ab. So wurden die prognostizierten und den Budgetplanungen zugrunde liegenden Eintrittsgelder nicht erwirtschaftet, was zusammen mit den davongaloppierenden Kosten am zweiten Standort Athen ein explosives Gemisch ergab: Kurz vor ihrem Ende war die Documenta komplett pleite und hatte ein Defizit von 5,4 Millionen Euro zu Buche stehen.
Der Geschäftsführerin Annette Kulenkampff blieb nichts anderes übrig, als einen Canossagang zu ihren beiden Gesellschaftern anzutreten, der Stadt Kassel und dem Land Hessen, wohl wissend, dass die Gehälter ihrer Mitarbeiter und ausstehende Rechnungen schon irgendwie bezahlt werden. Schließlich springt in solchen Fällen in Deutschland – egal ob es sich um die Finanzierung einer aus dem Ruder gelaufenen Flughafenbaustelle oder einer schlecht gemanagten Kunstausstellung handelt – zuverlässig der Steuerzahler ein.
Seitdem tobt ein bizarrer Kampf, wer denn nun der Schuldige an diesem finanziellen Desaster sei. Ist es die Politik, die ihre Aufsichtspflichten nur unzureichend wahrgenommen und die Veranstaltung nicht mit genügend Geldmitteln ausgestattet hat? Oder ist es die Geschäftsführerin, die den Überblick über die Kosten verlor und sich gegenüber den erpresserischen Wünschen ihres künstlerischen Leiters Adam Szymczyk nicht durchzusetzen vermochte, der zumindest wohl einmal kurz vor Beginn der Documenta mit seiner Demission drohte.
Dieser Kampf wurde nicht in den dafür zuständigen Gremien ausgetragen, sondern mit Vorliebe auf Zeitungsseiten, in sich rechtfertigenden Interviews oder exklusiven Durchstechereien aus vertraulichen Aufsichtsratssitzungen. Unterhaltsame Fakten kamen da zum Vorschein, etwa permanente Botenflüge mit Bargeld nach Athen oder die Abneigung des Documenta-Leiters gegenüber dem ihm kostenlos zur Verfügung gestellten Dienstwagen von VW. Doch dem großen Ganzen schadete diese Auseinandersetzung erheblich. Auch wurde sie nicht der Tatsache gerecht, dass hier ein vergleichsweise kleines Team unter erheblichen Anstrengungen gleich zwei Riesenausstellungen nahezu parallel auf die Beine stellte.
Mit der Auflösung des Vertrags von Annette Kulenkampff zum 1. Juni 2018 schien dieser Kleinkrieg beendet. Es war eine gesichtswahrende Lösung, die eine vermeintlich Schuldige nicht sofort vom Hof jagte, sondern ihr die Möglichkeit einräumte, an der Aufarbeitung des Schlamassels konstruktiv mitzuwirken. Als Geschäftsführerin trägt sie die Budgetverantwortung, auch wenn sie für die besonderen Umstände des Athenengagements und die geringeren Besucherzahlen persönlich nichts kann.
Der offene Brief der Persönlichkeiten aus dem Kunstbetrieb, verbunden mit einer Petition bei change.org, facht diese Auseinandersetzung nun erneut an. So berechtigt das Anliegen ist, dass aus dem Desaster Lehren gezogen werden müssen, ohne den Kern der Documenta – die künstlerische Freiheit – zu beschädigen, so seltsam wirkt der Brief in der formalen Vermischung von persönlicher Solidarität, Angstmacherei und Politikerdiffamierung. (Immerhin dieselben Politiker, die das finanzielle Leck schnell stopften.) Noch sind – mit Ausnahme der Ablösung Kulenkampffs – überhaupt keine »Maßnahmen« entschieden, gegen die man Sturm laufen könnte. Nur eins ist klar: Die Documenta braucht einen Neuanfang. Ihre seit 30 Jahren bestehende Struktur muss dringend reformiert werden. Zugleich ist es wichtig, dass ihr kulturelles Erbe dauerhaft gesichert wird. Wünschenswert wäre überdies, dass sich der Bund bei einem Ereignis von solch internationaler Strahlkraft noch stärker engagiert. Aber vor allem braucht es Personen, die vertrauens- und verantwortungsvoll eine gemeinsame Vision entwickeln. Doch bis dahin scheint es noch ein langer Weg. Der offene Brief kürzt ihn leider nicht ab.