Vom Schwarzwald zum Schwarzen Meer: Der Maler Robert Seidel, Gewinner des diesjährigen BP Travel Award der National Portrait Gallery in London, reist die Donau entlang. Am Ende stehen zehn Porträts aus zehn verschiedenen Ländern. Ein Reisetagebuch, Teil 3
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26.09.2018
18. September
Nach unseren überschaubaren, sportlichen Leistungen der letzten Tage, ziehen wir das Tempo merklich an. Von Donji Milanovac, über Kladovo nach Negotin, bis kurz vor die bulgarische Grenze. 130 km,1300 Höhenmeter. Wir passieren die engste Stelle des Donaudurchbruchs, sehen das grob gehauene Felsenbild Decebalus Rex und essen Mittag in Kladovo. … wir treffen Lajos, er findet mein Projekt gut und lädt uns auf ein Getränk ein. Lajos ist cool, sieht ein bisschen aus wie ein Mod und arbeitet in Schweden als Koch, er kann schwedisch und serbisch, wir englisch und deutsch, trotzdem philosophieren wir eine ganze Bierlänge über Gott und die Welt. `The serbian kitchen stays in serbia´ … und wirklich, die serbische Küche ist wenig raffiniert, unser Mittagsteller bestand aus einer Riesenbulette mit etwas geriebenem Käse und rohen Zwiebeln. Lajos ist Soziallist, er findet im Fußball steckt zu viel Geld. Am Abend empfängt Roter Stern Belgrad den SSC Neapel, ich tippe 1:0 für Belgrad, Jalos tippt 0:2 … am Ende steht ein maues 0:0.
Von Franziska Junge, einer befreundeten Grafikerin, habe ich für diese Reise eine Postkarte setzen lassen. Das Portrait von „David“ auf der Front, hinten einen kurzen Text über das Projekt auf Englisch, samt Website und Link zur National Portrait Gallery. Diese übergebe ich dem Portraitierten zur Erläuterung. Der untere, abtrennbare Teil der Karte, wird zur späteren Kontaktaufnahme mit dessen Kontaktdaten und dem Entstehungsort versehen.
Immer weniger Menschen sprechen/verstehen Englisch, umso weiter wir nach Osten kommen. Die Karte funktioniert nur noch selten als Werkzeug, obwohl ich den Text mittlerweile auch auf serbisch, bulgarisch und rumänisch übersetzt habe.
Unter anderen aus diesem Grund entscheiden wir uns, die Reiseroute leicht ab zu wandeln und in den nächsten Tagen einen Abstecher nach Siebenburgen zu machen. Eine ehemals deutsche Enklave in Rumänien, Weltkulturerbe, Empfehlung von Freunden und Heimat von ca. 8000 Bären.
19. September
Frühstück in Serbien, Mittag in Bulgarien, Abendessen in Rumänien.
Julius weckt mich mit der Neuigkeit, 12 30 Uhr würde ein Zug von Vidim nach Croiavo und von da weiter nach Sibiu/Hermannstadt fahren. Top. Es ist 8 Uhr Morgens. Frühstück, Aus checken, 60 km nach Vidim, dazwischen der Serbisch/Bulgarische Grenzübergang … 2 knackige Anstiege und ein Zeitzonenwechsel von einer Stunde … wir verpassen den Zug knapp, ich bin frustriert. Mittag.
Nach der Stärkung entscheiden wir uns, die 100 km nach Craiova mit dem Rad und Morgen den Rest mit dem Zug zu fahren. Der Bulgarisch/Rumänische Grenzübergang wird massiv von LKWs frequentiert und die ersten 30 km im Rumänien sind purer Wahnsinn. Die Autos rasen an uns vorbei, hupen, es gibt keine Seitenstreifen. Neben uns ein umgekippter LKW. Die Alternativrouten entpuppen sich als staubige, bucklige Feldwege, ohne Streckengewinn, viele Menschen sitzen vor ihren Häusern, Kinder flitzen über die Straßen, laute, rasselnde Musik, noch immer 70 km und schon 17 30 Uhr … ich schau mich um, sehe keinen Ausweg und brauch einen Moment für mich.
Ich sehe Nikolas und spreche ihn an. Nikolas ist Anfang 50 und kann ein bisschen Deutsch. Mit seinem kleinen Transporter liefert er Lebensmittel aus, ich biete ihm 20 Euro, wenn er uns Richtung Craiova mit nimmt. Es stellt sich heraus, das Nikola 20 Jahre in Österreich als Maurer gearbeitet hat und in Craiova wohnt. Wir legen die Räder in den Transporter und ab. Es wird ein wilder Ritt. Ich frage Nikola, ob es hier viel Unfälle auf den Straßen gibt? Sicher!
20. September
Wir stehen 6 Uhr auf, frühstücken kurz und nehmen die Bahn nach Sibiu/Hermannstadt. Kommen gegen Mittag an und besuchen die Innenstadt. Wir fühlen uns wie in Greifswald oder einer anderen mittelgroßen, mittelmäßigen Stadt in Deutschland. Wir sind im Herzen Rumäniens, das ist kurios. Wir haben uns das anders vorgestellt und sind etwas enttäuscht.
21. September
Julius springt aus dem Bett und stellt sich den Karpaten. Ich frühstücke in Ruhe und versuche im Anschluss meine Rückreise zu organisieren. Ich will/muß Ende des Monats wieder zurück in Leipzig sein, Julius hat noch etwas Zeit und wird wohl einen homöopatischeren Heimweg über Griechenland und Italien wählen. Ich verbringe den halben Tag auf unserem Zimmer mit der Suche nach einer Lösung, telefoniere mit einer österreichischen Fluglinie, einer tschechischen Zuggesellschaft und einem rumänischen Busunternehmen. Sehr unbefriedigend, letztendlich entscheide ich mich für eine Direktverbindung Constanta – Wien mit dem Bus.
Danach schwing ich mich aufs Rad und umfahre Hermannstadt auf der Suche nach Motiven, aber ich werd nicht warm mit der Gegend, kann nirgendwo andocken, ein Tag zum abhacken.
22.September
Ich nehme den Zug nach Constanta über Bukarest, Julius bleibt noch ein paar Tage in den Bergen. Der Zug hat kein Fahrradabteil, aber einen ungenutzten Speisewagen und einen grummeligen Schaffner, der mir erlaubt, mein Rad hinterm Tresen ab zu legen. Ich bezahle in Keksen.
Auf dem Bahnhof Bukarest Nord spricht mich Florin an. Er ist Rumäne, der lange in Frankfurt a. Main gelebt und gearbeitet und sich nun auf deutsche Radtouristen und ihre Befindlichkeiten spezialisiert hat. Er bietet mir an, den Preis für mein Rad als Rumäne zu verhandeln. Ich gebe Florin 30 Lei, dem Schaffner 20 Lei, dafür bekomme ich einen festen Händedruck und die Erlaubnis, mein Rad mit ans Schwarze Meer zu nehmen.
Constanta ist wie eine alter Pappkarton, angestoßen und fleckig.
23. September
Schnell weg. Ich radel nach Eforie Nord, laufe am leeren Strand, suche Muscheln und Steine bis es langsam dämmert. Rosa, blaue Luft, schwarze Hunde, Möwengeschrei. Ich höre den Soundtrack vom Gundermann und nehme langsam Abschied von der Reise. Ich denke an meine Familie und freu mich auf zu Hause.