Projektraum, Off-Space oder Verein? In Dresden zählt nicht die Bezeichnung, sondern das Programm. Zu Besuch an drei unabhängigen Kunstorten
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07.08.2019
Wo einst Pianos für das sächsische Königshaus entstanden, betreiben Julia Langhammer und Thomas Schmelzer heute Pylon – einen Ort für Kunst im Zeitalter der Digitalisierung. Was vage klingt, bietet Raum für Videos, Vier-Kanal-Sound-Installationen, Virtual-Reality und auch klassische Skulpturen. „Bei uns muss nicht alles ein Stromkabel haben“, erklärt Langhammer und lacht. „Es geht darum, die Vielfalt dieser jungen Disziplin zu präsentieren und zu zeigen, wie kritisch und selbstverständlich mit neuen Medien gearbeitet wird.“
Kennengelernt hat sich das Paar an der Dresdner Hochschule für Bildende Künste, wo sie aktuell bei Carsten Nicolai studieren. Ihr Wunsch, einen Raum zu eröffnen, entstand aus einem Mangel: „Die Kunst, die uns interessiert, war in Dresden unterrepräsentiert. Diese Lücke wollten wir schließen.“ Wie kommt es, dass eine Stadt mit einer so renommierten Kunstakademie keine größere freie Szene vorweisen kann? Es würden zwar gerade spannende Projekte eröffnen, meint Langhammer, aber die Suche nach Räumen sei nicht einfach. Auch die Europawahl, bei der die AfD in Sachsen als stärkste Kraft hervorging, wirft ihre Schatten voraus: „Die Förderung von sozialen und kulturellen Projekten wird so noch schwieriger“, meint Schmelzer. „Gleichzeitig stellt sich die Frage, ob genug Leute in Dresden bleiben, mit denen man die eigene Vision teilen kann?“
Vorerst geben sie der Stadt aber noch eine Chance. Mit ihrem Gespür für aufwendige Präsentationen und außergewöhnliche Positionen zieht das Duo mittlerweile Publikum aus Berlin, Leipzig und Prag nach Dresden. Auch von institutioneller Seite ist das Interesse groß: Museen übernehmen ihre Konzepte oder fragen sie als Kuratoren an. „Dabei begreifen wir uns in erster Linie als Künstler.“ Vermutlich funktioniert Pylon so gut, weil sie sich in die Aussteller hineinversetzen können und ihnen Freiräume geben. 200 Quadratmeter im Wallgäßchen 2 bilden dabei nur die physischen vier Wände, ihre Website fungiert als erweiterter Ausstellungsraum. „Viele Leute fragen uns, ob Pylon eine Galerie oder ein Off-Space ist. Für uns ist das zweitrangig – wichtig ist, was stattfindet.“
Diesen Anspruch teilen sie mit Rasmus Roos Lindquist, Maximilian Stühlen und Josefine Schulz, den Betreibern von Schimmel Projects, die ebenfalls an der HfBK studieren. In einer ehemaligen Autovermietung in der Großenhainer Straße 61–63 richtete Lindquist die Plattform mit seinem Kommilitonen Philipp Putzer ein. Angetreten sind sie 2017 mit einem klaren Ziel: „Der recht konservativ geprägten Kunst- und Kulturszene Dresdens mit jungen, internationalen Positionen etwas entgegenzustellen.“ Dafür laden sie Künstler aus anderen Städten ein und organisieren Schauen von Dresdnern im Ausland. Für die Ausstellung der Dänin Stine Deja schaufelten sie sechs Tonnen Kies in den Raum und ließen so ihre Videoarbeiten noch postapokalyptischer wirken.
Raumbezogene Ausstellungen erwarten einen auch in der Galerie Ursula Walter am Neustädter Markt 10. Wobei der Name gleich doppelt irreführend ist: Denn eine Galeristin namens Ursula Walter trifft man hier nicht. Initiiert wurde der Raum von einer Gruppe von Künstlern um Patricia Westerholz, Andreas Kempe, Gunnar Borbe und Thomas Fißler. Sie begreifen sich trotz der Bezeichnung Galerie als nicht kommerziell – alle Einnahmen fließen in einen Förderverein, der die Ausstellungen finanziert. Gewidmet ist der Ort der ehemaligen Nachbarin von Westerholz und Kempe, die dem Paar ein kleines Erbe vermachte und damit den Grundstein für den Raum legte. „Was als Kurzzeitprojekt gedacht war, läuft nun seit mehr als fünf Jahren“, erzählt Westerholz. Von Papierarbeiten bis zu Performances reicht das Programm, das von den Kernmitgliedern kuratiert wird. Auch wenn nicht mehr alle Betreiber in Dresden wohnen, liegt ihnen das Viertel am Herzen.
„Wir haben uns nie als aktivistische Galerie begriffen, eher versucht, durch unsere Arbeit zur Entstehung eines Mikroklimas beizutragen, das Bewegungen wie Pegida entgegenwirkt“, erklärt Gunnar Borbe. Mit neuen Nachbarn wie dem Projektraum Stephanie Kelly und der Galerie Gebr. Lehmann ist aus der Ladenzeile, wo Plattenbauten auf den Goldenen Reiter treffen, eine Kunstmeile geworden, die das Miteinander im Blick hat. Das geschieht bei Ursula Walter durch Kunstaktionen, die in den öffentlichen Raum ausgreifen, und die Beteiligung an einer Bürgerinitiative, die das Ensemble am Neustädter Markt erhalten will. Wo Galerien sonst als Vorreiter der Gentrifizierung gelten, schließen sich hier Kreative und Anwohner für bezahlbaren Wohnraum und Denkmalschutz zusammen. „Wir begreifen uns als Ort für viele“, sagt Westerholz. Für ihr Engagement ist der Verein Ursula Walter nun offiziell gewürdigt worden – mit dem Förderpreis der Stadt Dresden.
PYLON-Lab
Wallgässchen 2
01079 Dresden
https://pylon-hub.com/hub
Schimmel Projects – Art Centre Dresden
Großenhainer Straße 61-63
01127 Dresden
http://www.schimmelprojects.com
Galerie Ursula Walter
Neustädter Markt 10
01097 Dresden
http://www.galerieursulawalter.de
Weltkunst Nr. 159/2019