Schon in der Antike waren Scherzgläser für besonders fröhliche Trinkgelage gefragt. Motivvielfalt und Spezialeffekte machen die Glasgefäße zu spannenden Sammelobjekten
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20.09.2019
Nicht nur der Alkoholkonsum war bei unseren Altvorderen immens, auch eigenartige Sitten, die allenthalben gepflegt wurden, nötigen dem heutigen Trinker Respekt ab. In zweierlei Hinsicht, denn die Vielfalt an Scherzgläsern ist berauschend. So heißt es in einem Traktat von 1589: „Uns Teutschen kann man die Trinkgeschirr nicht allein nicht groß genug, sondern auch nicht schön und seltsam genug machen. Man trinkt aus Affen und Pfaffen, Mönchen …“
Die wohl derbsten Ausformungen waren seit der Antike die Phallusgläser. Über sie wetterte Pfarrer Johannes Mathesius 1562 in seiner Predigtsammlung: „Etliche geben auch den glesern schendliche Gestalt, darüber auch der fromme und erbare Heide Plinius schon zu seiner Zeit sehnlich geklagt.“ Im sinnenfreudigen Barock soll der russische Zar Peter der Große daraus getrunken haben.
Werfen wir in unseren Breiten einen Blick zurück: An Rhein und Mosel wurde schon zu Zeiten der Römer Wein angebaut. Und in Trier, Worms oder Köln sind für das erste nachchristliche Jahrhundert eigene Glasproduktionen nachgewiesen. Dort entstanden Becher, Flaschen und Kannen in Form von Hörnern, Trauben, Muscheln, Fischen, Affen- oder besonders markanten Menschenköpfen mit afrikanischen Zügen, einer Hakennase oder Warzen. Dank der damals erfundenen Glasmacherpfeife war die zähflüssige Glasmasse nach Belieben dünnwandig formbar. Zu den technisch anspruchsvollsten Scherzgläsern gehören die Rüsselbecher. In Fortführung spätrömischer Tradition waren sie bei Glasmachern der Merowinger um 500 besonders beliebt.
In ihrem unteren Wandungsbereich haben sie meist zwei Reihen langer, hohler Nuppen, die wie Egel am Gefäß sitzen. Hinreißende Beispiele sind etwa im Museum Kolumba in Köln zu bewundern. Das Tückische ist: Man kann die Rüsselbecher nicht einfach leeren. Denn beim Trinken läuft Flüssigkeit in die hohlen Rüssel, und beim Absetzen kehrt sie wieder zurück. Gut gefüllt, wurden ungeübte Trinker zur Belustigung der Anwesenden nass. Wie verbreitet Rüssel- und ähnliche Becher in jenen gar nicht so dunklen Zeiten vom 6. bis ins 8. Jahrhundert waren, belegen Grabfunde von Dalmatien über das Rheinland und Belgien bis nach England oder Skandinavien.
Mit der nächsten Welle fantasievoller Scherzgefäße als Beleg der Trinkfreudigkeit nördlich der Alpen kam im Spätmittelalter der Kuttrolf oder Angster in Mode. Auch er hatte schon ähnliche Vorläufer in der Antike. So leiten sich die Namen vom lateinischen gutta (Tropfen) beziehungsweise angustus (eng) ab. Unser Pfarrer Mathesius beschreibt sie anschaulich als „ein geschirr, das unten weit und oben eng ist … die da kuttern, kluckern oder wie ein Storch schnattern, wenn man drauß trincket“. So ergeht es einem auch beim „Goglo“, der aus einer Reihe übereinander angeordneter, nach oben kleiner werdender Hohlkugeln besteht.
Seit dem 16. Jahrhundert haben sich Unmengen an Scherzgläsern erhalten. Sie können freihändig von Hand oder in der Form geblasen sein. Zu den häufigsten, bis Mitte des 19. Jahrhunderts beliebten Exemplaren gehören die sogenannten Schnapshunde. Neben weiterem Getier wie Vögeln und Fischen waren Schiffe, Windmühlen, Stiefel, Pistolen, Jagdhörner und Trompeten im trinkfreudigen Einsatz.
Zu den Musikinstrumenten gehören auch der Dudelsack oder geigenförmige Scherzgläser. Sie stammen meist aus Glashütten mit einfachem handwerklichen Niveau, haben selten stilistische Ausprägungen und sind deshalb schwer zu lokalisieren und datieren. In fast allen Museen mit angewandter Kunst haben sie überdauert: ob in Basel, Coburg, Eisenach, Frankfurt, Kassel, Köln, Hannover, Lüneburg oder München. Sie können aus einfachem entfärbten Waldglas oder farbig sein, wobei blaues Glas recht beliebt war. Oft sind sie zusätzlich mit Glasfaden-Auflagen, gekniffenen Füßen und/oder Schnauzen dekoriert.
Eine bedeutende Rolle kam Scherzgläsern innerhalb der Zünfte zu. Diese bedienten sich für ihre feuchtfröhlichen rituellen Trinkbräuche auch entsprechender Gefäße. Bei den Schuhmachern waren gläserne Stiefel verbreitet. Die Basler Gärtnerzunft trank vom 17. bis 19. Jahrhundert bevorzugt aus dreizackigen Glasgabeln. Das war doppelt schwierig, weil der Wein ungleichmäßig aus den Zinken lief und die Gabeln – als typische Sturzbecher ohne Fuß zum Abstellen – in einem Zug zu leeren waren. Hinzu kommt, dass viele Willkommgefäße mindestens einen Liter fassen und ohne absetzen ausgetrunken werden mussten. Einerlei ob der Willkommenstrunk auf fürstlichen Schlössern, bei Zünften oder in geselligen Studentenrunden gepflegt wurde – austrinken war Pflicht! Damit nicht genug: Das Trinkbuch von 1567 in Schloss Ambras vermerkt, dass das Scheitern des Zunftbruders mit Nachschenken bestraft wurde. Man verschluckt sich beinahe beim Lesen von Antje Scherners heroischem Selbstversuch, den sie im Beitrag „Scherzgefäße. Zur Wechselwirkung von Gestaltung, Handhabung und Trinkregeln in der frühen Neuzeit“ in Thomas Pöppers 2015 erschienenem Buch „Dinge im Kontext“ in Wort und Bild schildert: Man beachte die unbequeme Trinkhaltung mit weit in den Nacken gelegtem Kopf, die es kaum ermöglicht, in einem Atemzug zu trinken. Dann doch lieber genussvoll schlückchenweise aus einem eleganten Glas.