Kunstwissen

Der Boom kommt erst im Herbst

Die Staatliche Kunsthalle Karlsruhe bleibt noch bis Pfingsten geschlossen. Die Direktorin Pia Müller-Tamm spricht über Erfahrungen während des Lockdowns, über die Zeit danach und mögliche Folgen der Coronakrise für die Museen

Von Weltkunst Redaktion
08.05.2020

Vor welche Herausforderungen hat Sie die Schließung Ihres Hauses gestellt?

Die Kunsthalle Karlsruhe versteht sich schon lange als ein Museum, das vielfältige Zugänge eröffnet – für diverse Zielgruppen, analog und digital. Wenn aber das Museum seine Pforten schließt, so muss es auf sein stärkstes Potenzial verzichten: das ganz und gar unverwechselbare Zusammenspiel von Originalwerken mit spezifischen Räumen und mit Menschen, die das gleiche Interesse teilen. Die Herausforderung lautet, das Museum als Institution dennoch lebendig zu halten und Angebote zu entwickeln, die die Menschen in der jetzt gebotenen Vereinzelung erreichen und ihr Leben bereichern.

Was waren die dringendsten Probleme?

Zunächst waren wir sehr dankbar, dass unsere große Baldung-Grien-Ausstellung unmittelbar vor Beginn der Krise zu Ende ging. Viele andere Häuser mussten aufwendige Schauen, die gerade eröffnet wurden, schließen und arbeiten nun an Verlängerungen der Laufzeit. In der Kunsthalle haben wir zwei Ausstellungen, die eigentlich im April und Mai beginnen sollten, ins nächste Jahr 2021: „Inventing Nature. Pflanzen in der Kunst“ und „Iss mich! Obst und Gemüse“ in der Jungen Kunsthalle. Beides sind Projekte, die einen langen Vorlauf haben und ihre Besucherinnen und Besucher nicht nur virtuell, sondern auch mit einem dichten Begleitprogramm erreichen sollen. Außerdem wollten wir das Ansteckungsrisiko für alle Beteiligten während der Aufbauzeit vermeiden.

Was waren die schmerzlichsten Entscheidungen, die Sie treffen mussten?

Wir haben uns entschieden, die Katalogproduktion für „Inventing Nature“ zu stoppen, denn mit der Verschiebung um ein Jahr ändert sich auch der Kontext der Ausstellung. Es macht einen Unterschied, ob das Buch zu diesem umweltsensiblen Thema während oder nach der Corona-Pandemie erscheint. Das war bitter für alle, die unter Hochdruck an der Fertigstellung gearbeitet hatten. Und was den Betrieb der Kunsthalle betrifft, so haben wir Notfallpläne erarbeitet, die die gesundheitliche Sicherheit und das Funktionieren des Museums im Ausnahmezustand gewährleisten. Das hat auch personelle Konsequenzen, gerade für freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die schmerzhaft, aber leider unvermeidbar sind.

Hat die Corona-Krise bei Ihnen im Haus ungeahnte Kräfte freigesetzt?

Die Krise hat „geahnte“, uns sehr wohl bekannte Kräfte weiter mobilisiert. Dies gilt vor allem für die Kommunikationsabteilung. Wir sehen den Shutdown als kleine Auszeit vor der großen, mehrjährigen Schließzeit, die uns aufgrund der Sanierung unseres Hauptgebäudes ab 2021 bevorsteht. Daher denken wir schon seit geraumer Zeit verstärkt über die Möglichkeiten nach, wie die Außenkontakte im digitalen Raum ausgebaut und intensiviert werden können. Wir verfolgen mit Interesse, dass die Kunstwelt die Situation unmittelbar nutzt, um sich auf der neuen Konkurrenzplattform des Digitalen zu zeigen – mit mehr oder weniger überzeugenden Resultaten.

Ihre Prognose: Wie wird sich die Coronakrise auf die Kunstwelt auswirken?

Alles deutet darauf hin, dass die Corona-Pandemie eine nachhaltige Erschütterung für das Leben der Menschen darstellen wird. Dies hat globale Dimensionen, wird aber vermutlich vor allem die Konsumgesellschaften in Ost und West zu veränderten Lebens- und Mobilitätsformen veranlassen. Europa als Kulturraum könnte gestärkt aus diesem Prozess hervorgehen. Für die Museen und die anderen Kultureinrichtungen mache ich mir weniger Sorgen. Ich gehe davon aus, dass der zeitweilige Entzug bzw. die Verlagerung in den digitalen Raum zu einem gesteigerten Begehren nach analogen Begegnungen führen wird. Dass uns durch die Krise also gleichsam von außen neuer Sinn zuwächst. In der uns verordneten Reflexionsphase sollten wir uns aber auch darauf einstellen, dass unsere Besucherinnen und Besucher danach nicht mehr die gleichen sind, dass sie sich möglicherweise in der Krise verändert haben.

Wann kann die Karlsruher Kunsthalle wiedereröffnen?

Anders als die meisten Museen in der Region werden wir erst am 29. Mai, also unmittelbar vor Pfingsten eröffnen. Die Gründe dafür liegen nicht in der Pandemie, sondern in baulichen Vorbereitungsmaßnahmen, die in diesem Monat mit Blick auf die Sanierung unseres Hauptgebäudes durchgeführt werden müssen. Diese Untersuchungen sind mit einer sehr hohen Lärmbelästigung verbunden. Das wollten wir unseren Besuchern, die sich nach der Museumspause auf das sinnliche Erleben der Bilder und Räume freuen, nicht zumuten.

Wie bereiten Sie sich auf die Wiedereröffnung vor?

Neben den jetzt üblichen Hygienemaßnahmen arbeiten wir daran, die Galerien unter den veränderten Bedingungen der Pandemie soweit vertretbar zugänglich zu machen. Wir hoffen darauf, das unsere Besucherinnen und Besucher Verständnis dafür haben, die angekündigte Ausstellung „Inventing Nature“ jetzt noch nicht sehen zu können, dass das Vermittlungs- und Veranstaltungsangebot extrem eingeschränkt sein wird, dass einige Bereiche möglicherweise nicht zugänglich gemacht werden können. Aber wir im Museum sind Meister der Improvisation, das heißt, wir arbeiten auch an coronakompatiblen neuen Formaten.

Mit welchem Besucheraufkommen rechnen Sie? Auch in Karlsruhe spielen ja Kunstreisende eine Rolle. Sie wird es wohl vorerst kaum geben.

Wir liegen zwar günstig auf der Route in Richtung Frankreich und in die Schweiz, aber eine echte Touristenstadt ist Karlsruhe nicht. Dennoch spüren wir, dass die Menschen ihre Museen vermissen, so wie wir auch unsere Besucher vermissen. Realistischerweise gehen wir in den heißen Sommermonaten von wenigen Besuchern aus, spätestens unser Herbst-Winter-Ausstellung zu François Boucher wird wieder verlässlich gut besucht sein – wenn uns die Entwicklung der Pandemie hier keinen Strich durch die Rechnung macht.

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