Vor 100 Jahren wurden erstmals Frauen an der Kunstakademie zugelassen. Das Buch „I Love Women in Art“ würdigt 100 Künstlerinnen von gestern und heute, die sich innerhalb und außerhalb der Institutionen behauptet haben
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17.06.2020
Ganz schön deutlich, was Isabelle Graw über die Rezeption von Anni Albers zu sagen hat. Dass ihre gewebten Bilder am Bauhaus marginalisiert wurde, ist längst ein Topos. Dass aber Künstler wie Oskar Schlemmer oder Wassily Kandinsky geradezu zwanghaft mit der Abwertung der Kollegin beschäftigt waren, um das eigene dekorative Potenzial zu kaschieren, gehört zu den Aspekten im Buch „I Love Women in Art“, mit denen man sich unbedingt noch einmal beschäftigen möchte. Graws These, die sie am Beispiel von „Ancient Writing“, eine ebenso abstrakte wie ästhetische Webarbeit von 1936, entwickelt: Hätten die Bauhäusler Albers‘ Textilbild als gleichwertige Kunst anerkannt, wäre die Ähnlichkeit unweigerlich sichtbar geworden.
Graw, Professorin für Kunsttheorie, gehört zu jenen hundert Frauen, die ihrerseits für das Buch über hundert Künstlerinnen geschrieben haben. Porträts wäre zu viel gesagt, eher sind es konzentrierte, subjektive Statements darüber, was die Autorinnen an Valie Export (Röder & Dick), Isa Genzken (Susanne Ganzheimer), Eva Hesse (Micaela Kapitzky) oder Hanna Bekker vom Rath (Rebecca Krämer) fasziniert. Lisa Zeitz, Chefredakteurin der Weltkunst, teilt ihre Bewunderung für Barbara Regina Dietzsch, deren Stillleben im 18. Jahrhundert so begehrt waren, dass sie mehrfach fest für europäische Höfe hätte malen können. Dietzsch lehnte ab, über ihre Motive – ob sie lieber frei oder nahe ihrer Familie in Nürnberg bleiben wollte – wird bis heute spekuliert.
Der Zugang fast aller Autorinnen ist persönlich, die Auswahl ziemlich individuell. Schnell ließen sich weitere hundert Künstlerinnen finden, die genauso Teil des Buches sein könnten. Doch schließlich mussten sich die Herausgeberinnen Bianca Kennedy und Janine Mackenroth auf eine Zahl für ihre Publikation einigen – und angesichts der ersten Künstlerin, die vor exakt einem Jahrhundert an der Münchner Kunstakademie zu studieren begann, scheint die Zahl gut gewählt. Das Duo, selbst künstlerisch unterwegs und akademisch ausgebildet, vergisst allerdings nicht zu erwähnen, dass sich Zofia Stryjeńska damals als männlicher Student einschrieb: Als ihr Trick nach einem Jahr auffiel, musste sie die Institution verlassen.
Es dauerte noch einmal zehn Jahre, bis man in München zur Ausbildung von Künstlerinnen bereit war. Ein zeitlicher gap, der sich bis heute auf deren Karrieren auswirkt. Zahlenmäßig mögen Frauen in deutschen Kunstakademien inzwischen zwar überproportional vertreten sein. Nach dem Studium wirkt sich dieses neue Kräfteverhältnis im Kunstbetrieb, in Ausstellungen oder auf Auktionen, trotzdem nicht aus.
„I Love Women In Art“ ist eine lesbare Gegenmaßnahme. „Wir hatten um Anekdoten, Erinnerungen an den ersten Kontakt mit dem Werk und persönliche Geschichten für ein Buch gebeten, das wir gerne selbst in unserem Bücherregal sehen möchten“, sagen Kennedy und Mackenroth. Nun steht es dort und wird hoffentlich viel gelesen.
„I Love Women in Art. 100 Künstlerinnen vorgestellt von Frauen aus Kunst und Kultur“
Bianca Kennedy, Janine Mackenroth (Hrg.) ,212 Seiten, 25 Euro