Der Galerist und Kunsthändler Folker Skulima hat seit 1970 die internationale Avantgarde nach West-Berlin gebracht und Meisterwerke der klassischen Moderne an Museen und Sammler in aller Welt vermittelt. Mit achtzig ist er aktiv wie eh und je. Das wichtigste Projekt für ihn ist jetzt seine Kunststiftung
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22.07.2020
Marilyn Monroe lächelt aus der Ecke, etwas eingezwängt von einem großen Bücherregal. Der Siebdruck Andy Warhols, in vielfachen Versionen von ihm ausgeführt und millionenfach reproduziert, erinnert daran, welch spektakuläre Ausstellung in diesen Räumen in der Fasanenstraße Ende April 1970 eröffnet wurde. Für West-Berlin, als ummauerte Inselstadt vom internationalen Kunstgeschehen weit entfernt, war es ein Paukenschlag. Zum ersten Mal war der New Yorker Pop-Künstler, dessen Bedeutung als überragende Epochenfigur damals nur wenige erkennen wollten, mit einer größeren Werkgruppe hier zu sehen. Und für Folker Skulima war es der erste Meilenstein einer langen, ertragreichen Laufbahn als Galerist, Händler, Kurator und Kunstvermittler.
In der Kulturszene des alten West-Berlins kannte ihn jeder, denn er war einer der wenigen, die für Internationalität sorgten, die neue Avantgarde aus New York, Paris oder Brüssel in die Stadt brachten. Sammler gab es nicht allzu viele hier, aber diejenigen, die ernsthafte Kollektionen aufbauten, verdanken Skulima wichtige Werke und Impulse. Überhaupt hat er viel geleistet für die Stadt. Er brachte, ebenfalls 1970, erstmals den belgischen Konzeptvirtousen Marcel Broodthaers und das Duo Gilbert & George nach Berlin. In der Nationalgalerie erinnern wichtige Werke von Alexander Calder, Ellsworth Kelly oder Lucio Fontana an seine Vermittlertätigkeit.
Skulimas Zusammenarbeit mit Daniel Buren – der 1971, als er noch wenig bekannt war, die Galerie und das Haus in der Fasanenstraße mit seinen Streifen markierte – kulminierte 1975 in einer Regatta auf dem Wannsee, natürlich mit gestreiften Segeln. Und 1978 erregte er auch in der Theaterwelt Aufsehen, als er Editionen von Bühnenskulpturen des Regisseurs und Universalkünstlers Robert Wilson in der Galerie zeigte. Ein Drahtstuhl aus der Ausstellung hängt heute noch in Skulimas Wohnung von der Decke.
Es ist ruhiger geworden um den agilen, herzlichen und lebenslustigen Mann, der nichts so sehr liebt wie geistreiche Gespräche über Kunst, Literatur oder Philosophie. Er ist nicht mehr im Brennpunkt wie einst, und viele Jüngere in der Berliner Kunstwelt wissen gar nichts mehr von seiner Bedeutung. Aber hinter den Kulissen ist Skulima, der Ende April achtzig wurde, immer noch höchst aktiv. Regelmäßig pendelt er in sein New Yorker Domizil, durchforstet die Museen und Galerien nach neuen Eindrücken und pflegt seine vielen Kontakte und Freundschaften in Amerika.
Das wichtigste Projekt ist für ihn jetzt die 2018 gegründete Kunststiftung Folker Skulima, die er praktischerweise in einem Belle-Époque-Appartement direkt neben seiner Wohnung ansiedeln konnte. Hier finden Vorträge und Diskussionen zu grundsätzlichen Fragen der Kunst statt. So gab es etwa Veranstaltungen zu Joseph Beuys, Goya oder El Lissitzky. „Ich verstand mich immer als Brückenbauer zwischen den Künstlern und dem Publikum. Das Gespräch über die Kunst, sei sie noch so komplex, ist für mich existenziell.“ Darum geht es ihm in der Stiftung. In diesem Sinn hat er auch einen mit 20.000 Euro dotierten Preis ausgelobt, den im Dezember erstmals der Berliner Jakob Mattner erhielt, ein interdisziplinär agierender Künstler, die die Ideen von Moholy-Nagy und anderen Multimedia-Pionieren auf poetische Weise in die Gegenwart führt.
In seiner Berliner Wohnung und in den Räumen der Stiftung hat Skulima Werke um sich versammelt, die ihm wichtig sind und die er nie verkaufen wollte: Picasso, Man Ray, Schwitters, El Lissitzky, Pollock, Arthur Segal, Dubuffet, Kounellis, Beuys und viele mehr. Oft sind es konzentrierte Kabinettstücke, intime Zeichnungen oder Bildgedichte wie ein Blatt von Picasso aus dem Jahr 1939. Marcel Duchamps Mona-Lisa-Verballhornung ist gleich in zwei Versionen vertreten. „Die Mona Lisa habe ich schon vier Mal verkauft, meist an Museen. Aber diese hier gebe ich trotz vieler Anfragen nicht mehr ab“, erzählt Skulima „Auf manche Werke bin ich immer wieder zurückgekommen. Die Faszination für solche wichtigen Statements hat eben nie nachgelassen.“ Duchamps berühmte Readymade-Box „Boite en valise“ ging sogar in fünf Fassungen durch seine Hände.
Dann führt uns der Hausherr in einen ganz privaten Raum, in dem er die Vergangenheit seiner Familie in Heidelberg memoriert. Liebevoll erzählt er von seiner Mutter Loni Skulima, einer renommierten Reise- und Fotojournalistin (unter anderem in der FAZ), die 2010 mit 98 Jahren starb; wenige Jahre zuvor hatte sie noch einen Roman über das Altern geschrieben. Nach ihrem Tod ließ Skulima die Möbel ihres Wohnzimmers samt aller Bücher nach Berlin bringen und bei sich einbauen. „Ich hatte eine sehr schöne Kindheit in Heidelberg“, betont er. Sein Vater Ewalt war Schriftsteller und führte einen Verlag für Belletristik, Kunst und intellektuellen Themen. Für die Akademie in Darmstadt gab er die Zeitschrift „Das literarische Deutschland“ heraus. „Er war mein bester Freund“, betont Skulima. Die geistig und künstlerisch aufgeschlossene Atmosphäre in der Familie hat bis heute geprägt.
Nach dem Abitur 1958 probierte Skulima sich in Vielem aus. Er studierte Germanistik und Romanistik, spielte als Bassist in einem Heidelberger Jazzkeller oder gründete einen Cineastenclub mit. Als 19-Jähriger beeindruckte er bei einem Auftritt in Mannheim den Avantgarde-Verleger Wieland Herzfelde, Bruder von John Heartfield, so sehr mit seinen Brecht-Songs, dass dieser ihn nach Ost-Berlin abwerben wollte. Doch Skulima blieb lieber im Südwesten, arbeitete als Schauspieler und Filmjournalist und war ständig auf der Suche nach neuen Eindrücken. Im Jahr 1967 zog es ihn nach Barcelona, wo er sich auf das nächste Abenteuer einließ – es sollte ihm den künftigen Weg weisen.
Mit einem befreundeten Architekten erwarb er ein Grundstück in den Hügeln oberhalb von Sitges. In Asturien in Nordspanien bauten sie einen der dort typischen, auf hohen Steinpfeilern aufgeständerten Kornspeicher ab und installierten ihn in den katalanischen Weinbergen. Warum hier nicht ein Galerie auf Zeit eröffnen? Es war 1968, überall rebellierte die Jugend und erkämpfte sich Freiheiten. Skulima zögerte nicht lange, besorgte aus Heidelberg Werke von befreundeten Künstlern, darunter der junge Grafiker und Editeur Klaus Staeck, und ergänzte sie durch Blätter von Spaniern wie Antoni Tàpies oder Josp Guinovart. „Genius loci. Mi casa tu casa“: Mein Haus ist dein Haus, das Motto blieb Skulima immer wichtig.
Tatsächlich schaffte er es, genügend Interessierte aus Sitges hinauf ins Niemansland zu lotsen, Spanier, Franzosen, Italiener Amerikaner und Deutsche. „Eine tolle Lehre, denn ich habe gemerkt, wie schwer es ist, über Kunst zu reden. Man braucht ein grundlegendes Wissen, sonst funktioniert es nicht.“ Am Ende fuhren der Junggalerist und seine Freundin Hilke Thomsen mit einem Plus nach Deutschland zurück.
Das Ziel war West-Berlin. „Ich kannte und mochte die Stadt von den Filmfestspielen“, begründet Skulima seinen damaligen Entschluss. „Ganz bewusst wollte ich nicht ins Rheinland, das war mir zu besetzt.“ Wie es um das Kunstleben in der isolierten Ex-Kapitale bestellt war, hat er schnell erkannt: „Die Stadt war finanziell ausgeblutet. Und das Kunstverständnis hier reichte von next to nothing.“ Da wollte es der Zufall, dass er den jungen Immobilienunternehmer Reinhard Onnasch traf, der am Ku’damm „Deutschlands größte Galerie-Etage“ eröffnen wollte, aber noch keine Werke dafür hatte. „Gib mir eine halbe Million und einen Lieferwagen, dann mache ich es.“
So fuhr Skulima kreuz und quer durch Europa und besorgte Arbeiten von den Expressionisten bis zur Pop-Art, von Max Ernst, Chagall, Schwitters, Baumeister, Fontana und vielen Zeitgenossen. Eine bunte, aber durchweg qualitätvolle Mischung, eine Sensation für West-Berlin. Doch passten der merkantil orientierte Onnasch und Skulima, dem es vor allem um die neuen, oft radikalen Tendenzen von damals ging, nicht zueinander. Nach einem halben Jahr endete das Intermezzo.
Dann kam wieder Katalonien ins Spiel. Ein befreundeter spanischer Künstler erzählte, dass Salvador Dalí eine Anzahl von frühen Werken Warhols besaß, die dieser ihm im Tausch geschenkt hatte. Skulima nahm Kontakt auf und wurde tatsächlich beim Meister in Portlligat vorgelassen. Mit dabei hatte er 30.000 Mark aus eigenen und geliehenen Mitteln. „Alles in kleinen Scheinen, denn ich wusste, wie sehr Dalí das Geld liebte.“ Die Rechnung ging auf, als der junge Deutsche den Handel vorschlug. „No problem“, hieß es nach einer Minute. Danach wurde bei Sonnenuntergang, im Beisein der Künstlermusee und des Ozelots Babou, mit Rosé-Champagner angestoßen.
Zehn Werke brachte Skulima mit nach Berlin, darunter drei Bilder der trauernden Jackie Kennedy oder eine Übereinanderblendung von Elvis und Campbell’s-Suppendose, Ikonen der Pop-Art. Bis April 1970, als er mit Hilke (nun seine Ehefrau) die große Etagenwohnung in der Fasanenstraße einweihte – vorne zwei Räume für die Galerie, hinten der Privatteil –, konnte Skulima noch weitere kapitale Arbeiten Warhols aufbieten, etwa die Siebdruckserie „Ten Marilyns“, einen „Car Crash“ und vor allem eine hinreißendes Porträt von Liz Taylor auf Silberfond. Letztere kostete damals 72.000 Mark; im Mai 2015 erzielte eine ähnliche Fassung bei Christie’s einen Hammerpreis von 25 Millionen Dollar.
Nur die zehn „Marilyns“ wurden für 18.000 Mark verkauft (heute kosten sie mindestens 1,5 Millionen Euro), aber Skulima wusste nun, was er wollte. „Mir war immer wichtig, dass Künstler Utopien in ihrem Schaffen verfolgten oder aufzeigten. Und dass sie die Welt in relevanter Weise reflektierten. Solche Werke zu vermitteln, das ist mein Ziel.“
Danach ging es in rascher Folge weiter: Marcel Broodthaers, der mit seiner Familie auf dem Galerieboden schlief; der Schrift-Konzeptualist Lawrence Weiner, der das Erdachte über die Ausführung stellte; die rohen Assemblagen von Jannis Kounellis; die skriptoralen Weltreflektionen von Cy Twombly. Mit Joseph Beuys verbrachte Skulima 1971 anlässlich eines Symposiums eine Woche in enger Gemeinschaft auf Capri. „Wir hatten einen intensiven Austausch und haben uns danach auch regelmäßig getroffen. In seinem Denken war er der Welt immer ein Stück voraus.“ Beuys hätte gerne eine Ausstellung in der Galerie gehabt, aber da ihn der Berliner Kollege René Block vertrat, kam das für Skulima nicht in Frage.
Seit 1976 war die Galerie in einem Ladengeschäft in der Niebuhrstraße ansässig. Zunehmend wurde der Handel hinter den Kulissen – mit Werken der klassischen Moderne wie der Nachkriegskunst – ein immer wichtigeres Standbein. Skulimas Netzwerk wurde dichter und internationaler, neben der langjährigen Teilnahme an der Art Basel brachte vor allem die Messe in Chicago viele wichtige Kontakte in den USA. Er galt als kenntnisreich, und die Museumsleute wie die Sammler schätzten seine intellektuellen Umgang mit der Kunst. Zudem erwarb er sich den Ruf als jemand, der die offenen wie die geheimen Wünsche erkennen und erfüllen konnte.
Skulima-Werke finden sich in vielen angesehenen Museen. Die im Wortsinn größte Transaktion war Mitte der Achtziger der Verkauf einer neun Meter hohen Stahlskulptur nach Atlanta; heute befindet sich „Grand Crinkly“ im Samsung Museum of Art in Südkorea. Eine besonders gute Beziehung erwuchs zu dem Berliner Ehepaar Ulla und Heiner Pietzsch, deren bedeutende Surrealismus-Sammlung der Nationalgalerie versprochen ist. „Wir lernten Folker Skulima rechtzeitig beim Aufbau unserer Sammlung kennen, und er hat einen wesentlichen Anteil an ihrem Zustandekommen“, sagt Heiner Pietzsch am Telefon. „Viele Kunsthändler boten uns Bilder an, über die sie verfügten. Folker hingegen ging wie ein Spürhund vor und suchte Werke, die genau zu unserer Sammlung passten.“
Im Jahr 1990 gab Skulima mit 50 Jahren die Galerie auf. Dass in diesem Jahr auch die Ehe mit Hilke auseinanderging, wird dazu beigetragen haben. Doch keine Spur von Vorruhestand. Der internationale Handel intensivierte sich, hinzu kamen Kuratorenprojekte wie eine Schau über Künstler in der Paris Bar, seinem zweiten Wohnzimmer, oder eine Werkübersicht des griechischen Bricoleurs Alexis Akrithakis in der Nationalgalerie. Maßgeblich beteiligt war Skulima 2005 an der Ausstellung „Affinities“, die in der Peggy Guggenheim Collection in Venedig Hauptwerke der Pietzsch-Sammlung mit den surrealistischen Schätzen der legendären Mäzenin in Dialog brachten.
Viele solcher Projekte hat Skulima angeregt und begleitet. Zum 80. Geburtstag, den er Ende April wegen Corona kaum feiern konnte, hat er ein Buch über sein Lebenswerk auf den Weg gebracht: „Mi casa tu casa. Folker Skulima – Ein Haus für die Kunst“. Der Soziologe und Autor Franz Maciejewski bettet darin sein Wirken in charaktervoller, facettenreicher Weise in die Geschichte der Kunstwelt ein. Blickt Skulima selbst zurück, sagt er gern: „Es war ein Leben, das aus einem Traum entstand und zu einem Traumleben wurde.“ Der Traum, der alles auslöste, war die jugendliche Fantasie, in einem Weinberg bei Sitges eine Galerie zu eröffnen. Dass es ein Traumleben wurde, liegt an der Kunst selbst und an den zahllosen Begegnungen mit Menschen, die sie bewegten und von denen er unerschöpflich erzählen kann.
Und es geht immer weiter. Seit einigen Jahren verfolgt und fördert Skulima den Künstler Konstantino Dregos. Der in Berlin lebende Athener, Jahrgang 1977, erzählt ausführlich von ihrem Verhältnis. „Wir lernten uns ganz zufällig kennen und ich kannte ihn nicht. Einer seiner ersten Sätze war: ,Weißt du, die Sprache schützt uns vor etwas, was wir nicht verstehen können.‘ Daraus entwickelte sich ein intensives philosophisches Gespräch, das bis heute andauert.“ Der Austausch dehnte sich bald auf Dregos‘ Kunst aus. „Es gibt niemand, der so kritisch und so streng ist. Manchmal ist es bitter.“ Es ist aber konstruktive Kritik, die sich aus der Begeisterung für die zeichenhaften, zuweilen auch skriptoralen Bilder speist und in zahlreichen Ankäufen mündete. Und dann sagt Dregos noch so einen Satz: „Folker ist jemand, der sehr leicht in mystische Wissen einsteigt. Und da sind die Künstler ja daheim.“ Da ist es wieder: Das Haus für die Kunst.
Franz Maciejewski: „Mi casa tu cas. Folker Skulima – Ein Haus für die Kunst“, Edition Braus, Berlin 2020, 24,95 Euro