Kunstwissen

Buchtipp: Königliche Porzellankunst

Das lange erwartete Standardwerk zur Königlichen Porzellanmanufaktur Berlin im 20. Jahrhundert ist endlich erschienen: ein auch im wörtlichen Sinne gewichtiges Werk in drei großformatigen Bänden von nahezu neun Kilo Gewicht

Von Josef König
10.08.2020

Nach über einem Jahrzehnt umfangreicher Forschungsarbeit und einer folgenden sorgfältigen wissenschaftlichen Bearbeitung legt der Autor diese Geschichte der modernen KPM vor, den Zeitraum 1918 bis 1988 bewußt gewählt, in dem die „königliche“ – nach dem Ende der Monarchie -, sich in eine „staatliche“ Porzellan- Manufaktur umbenannt hatte. Mit der Rückbenennung 1988 mag die Hoffnung verknüpft gewesen sein, im Abglanz des traditionellen Namens auch wirtschaftliche Erfolge einfahren zu können, eine Hoffnung, die sich allerdings nicht erfüllte.

Porzellankunst mit zeitgenössischer Relevanz

In den frühen Jahren der hier behandelten Berliner Porzellangeschichte erwiesen sich die beiden Direktoren Nicola Moufang und Günther von Pechmann aufgeschlossen gegenüber zeitgenössischen Tendenzen in der Porzellankunst, wobei sie sich durchaus der großen wirtschaftlichen Bedeutung bewußt waren, die die traditionelle Produktion wie die der großen friderizianischen Service für die Manufaktur hatte. Eine Reihe von jungen avantgardistischen Entwerfern, Malern und Bildhauern prägte das Bild einer modernen weltstädtischen Porzellanmanufaktur. Die Zusammenarbeit mit der Kunstgewerbeschule Burg Giebichenstein Ende der zwanziger Jahre wurde sowohl in künstlerischer Hinsicht als auch finanziell ein Erfolg.

Salatservice
Salatservice "Urbino, Schwarz/Weiß“, Entwurf Trude Petri 1953 (© Tim D. Gronert / Heiko Adrian, Berlin)

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in den frühen kreativen Aufbruchsjahren der jungen Bundesrepublik konnte die Manufaktur in Berlin und ihrem kriegsbedingten Ausweichquartier Selb auf viele Vorkriegsentwürfe ihrer geschätzten Entwerfer wie Petri, Schütz, Friedlaender und Gollwitzer, zurückgreifen und diese erfolgreich neu vermarkten, in originärer, aber auch in weiter entwickelter Gestalt.
Die Malerinnen Luise-Charlotte Koch und Sigrid von Unruh, zurück aus Selb, prägen für Jahre den Stil der KPM Porzellane, junge Entwerfer wie Hubert Griemet oder Fritz Griebel arbeiten an neuen Serviceformen in zeittypischem Design.

Weit mehr als ein Bestandskatalog

Ausgangspunkt und Grundlage des vorliegenden Opus Magnum, sein eigentliches Herzstück, ist eine in Jahrzehnten mit großer Kennerschaft, viel Spürsinn und Leidenschaft zusammengetragene Familiensammlung. Deren Doyen ist Ulrich Gronert. Seit 1968 mit eigenem Geschäft in Berlin, zählt er seit vielen Jahren zu den bedeutenden Kunsthändlern der Stadt, führend im Verbandswesen, ausgewiesener Experte schwedischen Glases und dänischen Silbers, großer Liebhaber und Experte sezessionistischer Malerei und Berliner Porzellans. Als letzterer hat er nicht nur selbst wesentlich zu dieser Sammlung des modernen Porzellans beigetragen, sondern auch viele Freunde und Kunden für dieses Sammelgebiet aufgeschlossen und begeistert.
Seine Sammlung umfaßt mehr als 2000 Objekte, alle Service des behandelten Zeitraums, vollständige Werkgruppen aller führenden Künstler und Entwerfer, singuläre Werke von Künstlern wie Richard Seewald. Cesar Klein und Gerhard Marcks.

Tim D. Gronert, Autor von
Tim D. Gronert, Autor von "Porzellan der KPM Berlin 1918 - 1988" und Geschäftsführer von Gronert Kunsthandel

Was nun in Buchform vorliegt, darf man als Glücksfall begrüßen: Es hätte „nur“ der Bestandskatalog eines Sammlers, einer Sammlung werden können. Der liegt nun vor, nicht so genannt, doch mustergültig in seiner Art; der Autor hat ihn jedoch erweitert zu einer umfänglichen Kulturgeschichte von sieben Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts mit Berlin und seiner Porzellan-Manufaktur KPM im Mittelpunkt.

Am Beginn des Werkes steht eine fünfzigseitige mit Archivfotos illustrierte Geschichte der staatlichen Porzellan-Manufaktur, die in den beiden folgenden Bänden auf vielfältige Weise im Zusammenhang mit signifikanten Objekten der Sammlung weiter ausgeführt und ergänzt wird.

Es folgen zwei Seiten „Glossar“, auf denen die wichtigsten Marken aufgeführt werden, die in der Manufaktur im behandelten Zeitraum verwendet wurden und die in den systematischen Beschreibungen der einzelnen Objekte im Katalogteil erscheinen. Die wissenschaftliche Bedeutung der exakten Markenerfassung und – nennung für Sammler oder Kunsthistoriker ist nicht zu leugnen und wegen der exakten Identifizierung zu begrüßen, zumal sie zum ersten Mal umfassend erfolgt. Unter Fotos mit umfangreichen Servicen führt die Nennung aller Zeichen und Nummern eines jeden Teiles gelegentlich zu merkwürdigen großen Buchstabenblöcken.

Mokkaservice „Stambul“, Entwurf Wolf Karnagel 1967/68 (© Tim D. Gronert/Heiko Adrian, Berlin)
Mokkaservice „Stambul“, Entwurf Wolf Karnagel 1967/68 (© Tim D. Gronert/Heiko Adrian, Berlin)

Auf zwei Bände verteilt, 1918-1943 und 1944-1988, wird die Geschichte der KPM dargestellt anhand der Gegenstände der Sammlung in chronologischer Folge im Bild mit jeweiliger systematischer sachlicher Beschreibung. Dazwischen breitet der Autor die Ergebnisse seiner über ein Jahrzehnt währenden intensiven Forschungsarbeit und deren wissenschaftliche Ausarbeitung aus. In erster Linie sind dies unmittelbar auf das abgebildete Objekt bezogene Kommentare. Weitergehende Ausführungen zu historischen, politischen oder kulturellen Ereignissen oder die Betrachtung kunsthistorischer Strömungen, die für das Objekt von Bedeutung sind, kommen hinzu. Ein Mörike-Gedicht kann ebenso wie eine Meldung zur Reichsautobahn oder die Nachricht über die Spendenbereitschaft der Amerikaner für die Freiheitsglocke in Berlin zur kulturhistorischen Einordnung des Porzellanobjektes beitragen.
Aufmerksam diesen wissenschaftlichen Katalog der zweitausend Porzellane durchschauend, könnte man zu dem Schluß kommen, eine veritable Dissertation vor sich zu haben, noch dazu eine in sehr gelungener typographischer Gestaltung.

Große Schale auf Fuß „Weinernte
Große Schale auf Fuß „Weinernte", Dekor Richard Seewald 1927 (© Tim D. Gronert/Heiko Adrian, Berlin)

Meisterhafte Aufnahmen der Porzellankunstwerke

Alle Objekte der Sammlung wurden für die Publikation neu vom Fotografen Heiko Adrian zusammen mit dem Autor aufgenommen. Meisterhafte Fotos sind dabei in monatelanger vertrauensvoller Zusammenarbeit entstanden. Auf Fotos mit mehreren Objekten nebeneinander, Vasen zum Beispiel, können ihre Schatten eine kaum merkliche Bewegung, ein Schwanken suggerieren. Schatten versetzen die Porzellane und damit die ganze Seite in eine sanfte Bewegung.
Eine weitere Vertrautheit bekennt der Autor im Fachverstand des grafischen Gestalters Martin Bosch gefunden zu haben, was zu einer fruchtbaren Zusammenarbeit geführt habe.
Die vielen Seiten des Katalogteils präsentieren sich dem Betrachter nicht in einem einheitlichen grafischen Bild. Fotos sind in verschiedenen Formaten und Größen wiedergegeben, kleinere und mittlere Formate dominieren, nur selten streben sie in die Größe. Die Platzierung von Fotos und Textblöcken auf den Seiten ändert sich, auch Schriftarten variieren, manchmal nur in kaum merklicher Art.
Jedes Objektfoto hat seine zugehörige systematische Objektbeschreibung in immer gleicher schmaler Schriftart und gleichen Inhalts. Abbildungen von historischen KPM-Werbeaufnahmen und Künstler Entwurfszeichnungen illustrieren den Katalog über die Objektfotos hinaus.

Tim D. Gronert, Porzellan der KPM Berlin 1918 - 1988, gebunden, drei Bände, im Schuber (© Deutscher Kunstverlag)
Tim D. Gronerts drei Prachtbände "Porzellan der KPM Berlin 1918 - 1988" sind ein ein neues Standardwerk zur Berliner Porzellankunst (© Deutscher Kunstverlag)

Ehre wem Ehre gebührt: Auch unbekanntere Künstler finden in diesem Werk Repräsentation

Der dritte fast 500 Seiten starke Band enthält die Biographien von 65 Künstlern, die für die KPM tätig waren. Auch hier hat der Autor umfangreiche Forschungsarbeiten durchgeführt, mit besonderem Augenmerk auf weniger prominente und erforschte Mitarbeiter der KPM, so dass auch deren Lebenswege und künstlerisches Schaffen heute neben denen der Bekannten und Anerkannten in wünschenswertem Umfang bekannt geworden sind. Dies gilt für Menschen der „verlorenen Generation“ wie für die junge Generation nach dem Zweiten Weltkrieg. Persönliche Gespräche, die der Autor mit noch lebenden Künstlerpersönlichkeiten oder deren Angehörigen geführt hat, haben wesentlich zu dieser Kenntniserweiterung beigetragen.

Nachdem es zum Berliner Porzellan der Moderne bisher nur ein ambitioniertes, aber unzureichendes und fehlerhaftes Kompendium von 1988 gab, liegt nun dieses prächtige dreibändige Nachschlagewerk vor, das das in der Geschichte des Kunstgewerbes so wichtige und interessante Thema fundiert wissenschaftlich bearbeitet und beschreibt, umfassend im Bild sichtbar macht und in ästhetisch äußerst gelungener Buchform präsentiert. Empfehlenswert für Museumsleute und Kunsthistoriker, ist es für Sammler, Kunsthändler und Auktionatoren unentbehrlich. Der Sammler und Liebhaber modernen Porzellans, der in diesem Werk blättert, liest und vielleicht Anregungen für seine eigene Sammlung sucht … und findet, wird schon bald sich fragen, wann und wo er wohl diesen wunderbaren Sammlungsstücken, die er oft zum ersten Mal erblickt hat, persönlich gegenübertreten kann.

Service

BUCHTIPP

Tim D. Gronert, Porzellan der KPM Berlin 1918 – 1988, 1.400 Seiten, ca. 2.000 meist farbige Abbildungen, 30 x 24 cm, gebunden, drei Bände, im Schuber

Deutscher Kunstverlag

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