Kunstwissen

Simon de Pury: Im Auge des Sturms

Sein Charisma als Auktionator ist so legendär wie seine Private Sales: Simon de Pury stand Jahrzehnte im Zentrum des internationalen Kunstmarkts. Ein Gespräch über Onlineauktionen, die Krise und die Rolling Stones

Von Simone Sondermann
14.08.2020

Monsieur de Pury, im September wäre das 50. Jubiläum der Art Basel gewesen, Sie haben eine enge Verbindung zu dieser Messe. Was bedeutet es für die Kunstwelt, dass sie abgesagt wurde?

Ich habe alle 49 Art Basels besucht, außerdem sämtliche Ableger in Hongkong und Miami. An den Start der ersten Kunstmesse in Basel kann ich mich sehr lebhaft erinnern. Das war damals ein neues und sehr innovatives Konzept. Die Messe in Köln gab es schon, aber in Basel gab es vorher nur sogenannte Mustermessen für Waschmaschinen oder Ähnliches. Ich bin ja in Basel aufgewachsen, und es war wirklich eine Revolution, in diesem eher kommerziell geprägten Umfeld Kunst zu verkaufen. The rest ist history. Die Art Basel ist die Messe für Kunst überhaupt. Mittlerweile gibt es so viele Kunstmessen, dass man gar nicht mehr alle besuchen könnte, auch wenn man das berufsmäßig tut. Durch die Coronakrise hat da jetzt eine gewisse Beruhigung stattgefunden. Für die erfolgreichen Künstler sind die Messen zu einem richtigen Problem geworden, die waren in permanentem Druck, Werke dafür zu schaffen und die Nachfrage des Marktes zu befriedigen. Aus der Perspektive der Künstler ist es nicht nur schlecht, dass es jetzt eine Phase der vorläufigen Beruhigung gibt. Das Problem ist allerdings nicht durch die Art Basel entstanden, sondern durch die vielen zusätzlichen Messen, die dazugekommen sind.

Sie meinen, die Zwangspause durch Corona hat auch etwas Gutes?

Ja, durchaus. Dieser Betrieb war einfach immer hektischer geworden, das war ja eine immer stärker werdende Intensivierung. Das heißt nicht, dass man die Art Basel in diesem Jahr nicht vermissen wird. Alle Händler haben ihre qualitativ besten Stücke stets für die Art Basel zurückgehalten. Es war immer ein Erlebnis, diese Messe zu besuchen. Hinzu kamen die vielen tollen Begleitausstellungen in den Museen. Die drei oder vier Tage, die man in Basel verbracht hat, waren ein kulturelles Highlight des Jahres.

Wie geht es weiter mit den Kunstmessen? Wandern die großen Messen komplett in Onlineshowrooms ab?

Was die langfristigen Folgen von Corona für Veranstaltungen mit großem Publikum angeht, ist es noch zu früh für eine wirkliche Einschätzung. Ganz ohne den physischen Kontakt mit den Kunstwerken geht es nicht. Selbstverständlich kann man Kunst in den Onlineshowrooms digital so vermitteln, dass sie auf einem iPhone oder iPad gut aussieht. Dennoch bleibt der physische Kontakt nötig, gerade in den sehr hohen Preiskategorien. Selbst ein Profi macht immer wieder die Erfahrung, dass etwas auf dem Handy toll aussieht, aber dann in der Wirklichkeit eine Enttäuschung ist. Und auch umgekehrt: Ich habe es oft erlebt, dass etwas früher im Katalog und heute auf dem Handy nicht so gut wirkt, aber wenn man es dann real sieht, viel, viel besser ist. Deshalb muss die Möglichkeit der physischen Inspektion erhalten bleiben, aber die Frage ist, wie man das bei limitiertem Zugang zu Veranstaltungen durchführt. Die langen Schlangen am Eröffnungstag vor 11 Uhr, wenn sich die Leute richtig reindrücken, um so schnell wie möglich drin zu sein, so sollte man es in Zeiten von Corona wohl nicht mehr machen. Vielleicht muss man auch für die Messen Zeitfenstertickets einführen, um den Besucher-Flow zu steuern.

Heißt das, dass die Kunstwelt noch exklusiver wird? Dass nur noch ein sehr kleiner Kreis von Käufern und Kunstinteressierten angesprochen wird?

Auf den Hauptmessen war es auch vor Corona bereits so, dass die wichtigsten Stücke schon verkauft waren, bevor die Türen geöffnet wurden. Es war eine Illusion, zu denken, dass man in den Startlöchern einen Vorteil hat. Denn auch wenn es einem gelang, sehr schnell in die Halle zu kommen, sagten einem die Galeristen, nein, nein, das ist schon verkauft. Denn die Galeristen wollen auswählen, an wen sie verkaufen. Das ist auch der Unterschied zwischen dem Auktionsmarkt und den Messen beziehungsweise Galerien. Das Schöne an einer Auktion ist: Wer auch immer am meisten bietet, bekommt das Objekt. Außerdem ist der Kauf bei einer Auktion nicht an Konditionen gebunden. Eine Galerie verlangt sehr oft von ihren Käufern, dass sie es innerhalb einer bestimmten Zeit, das geht bis zu zehn Jahren, nicht weiterverkaufen. Ich bin immer verblüfft, dass die Sammler das alles akzeptieren. Wenn Sie für etwas viel Geld ausgeben, sollten Sie auch frei darüber verfügen können. Die Galeristen wollen verhindern, dass mit dem Werk spekuliert wird, aber da ist viel Heuchelei im Spiel. Wenn der Markt transparent ist, ist es im Endeffekt besser für alle.

Simon de Pury Porträt Im Auge des Sturms
Der Auktionator Simon de Pury hat ein Auge fürs Geschäft © Barnabas Imre

Auktionen sind demokratischer als Galerieverkäufe, selbst im hochpreisigen Bereich?

Als Sammler auf einer Auktion können Sie ein spezifisches Objekt haben – sofern Sie die anderen Bieter übertreffen. Bei Galerien habe ich unglaubliche Situationen erlebt, wenn ein Künstler red hot ist. Wenn es zum Beispiel 35 Werke in einer Ausstellung gibt und 200 Interessenten, dann bestimmt der Galerist: Das verkaufe ich dem und das dem. Selbst wenn Sie vom Händler als Käufer auserkoren werden, haben Sie dann nicht die Wahl, welches Werk Sie kaufen. Sie kriegen nicht das, was Sie wollten, sondern das, was der Galerist bestimmt. Viele Sammler kaufen das dann nur, um sich gegenüber dem Händler in eine gute Position zu bringen. Das funktioniert natürlich nur bei Künstlern, bei denen die Nachfrage groß ist.

Ihre charismatische Performance am Auktionspult ist legendär. Was halten Sie von Onlineauktionen? Was bedeutet es, wenn das Live-Erlebnis wegfällt?

Ich glaube, für die Auktionshäuser ist es weit weniger schwierig, sich an die neue Lage anzupassen, als für die Messen. Die großen Auktionen liefen ja bereits vor Corona so, dass die wichtigsten Werke an Leute gingen, die an einem Telefon oder Computer saßen. Den Saal füllten Professionelle, also Galeristen oder Kunstberater. Natürlich waren auch Sammler darunter, aber es war eigentlich mehr wie ein Studiopublikum bei einer Fernsehshow, eine Art Stimmungsmacher. Es schafft Atmosphäre, wenn der Saal prall gefüllt ist und es Standing Ovations gibt. Aber letztendlich ist das nicht nötig. Das heißt, der Auktionator kann das genauso gut vor einem Bildschirm durchführen, auf dem er die Gebote sieht. Ich glaube, die Technologie wird sich rasant entwickeln, damit man die ganze Dramatik der Auktion immer besser rüberbringen kann, die Aufregung. Ein Problem ist das allerdings für Charity-Auktionen, von den ich viele mache, etwa für Amfar, die Prince Albert II of Monaco Foundation, die Elton John AIDS Foundation oder die Leonardo DiCaprio Foundation. Im vergangenen Jahr habe ich 36 Charity-Auktionen gemacht. Das sind Galas, wo Menschen zusammenkommen und Spaß haben, hier ist die Stimmung im Saal deutlich wichtiger. Viele wurden abgesagt, und die Charity-Organisationen müssen jetzt schauen, wie sie diesen Verlust ausgleichen.

Die Rolle des Auktionators ändert sich bei Onlineversteigerungen also gar nicht?

Sie haben natürlich nicht mehr den direkten Augenkontakt mit dem Bieter, der vor Ihnen sitzt. Sie gucken in eine Kamera oder auf einen Bildschirm. Aber Sie können genau sehen, wer bietet und von wo jemand bietet. Ein guter Auktionator muss sich dieser Situation anpassen. Jede Auktion ist anders, jeder Ort ist anders. Eine Versteigerung in London hat eine ganz andere Stimmung als eine in New York, genauso wie eine Juwelenversteigerung eine ganz andere Atmosphäre hat als eine Bücherauktion. Ein Auktionator muss sich immer auf die jeweilige Wellenlänge einschwingen.

Wie wird sich die Krise auf die Auktionshäuser und die Preisentwicklung am Kunstmarkt auswirken? Wird es dieses Jahr noch Rekorde geben?

Am Anfang des Lockdowns gab es einen völligen Stillstand, und zwar aus zwei Gründen: Die Objekte selbst konnten nicht mehr bewegt werden, alle Depots waren ja geschlossen, also konnte man auch kein Kunstwerk mehr von London nach New York schicken. Das ist jetzt wieder anders, die Lagerhäuser sind wieder offen. Das zweite Problem war: Als Besitzer eines Top-Objekt sind Sie nur bereit, es zu verkaufen, wenn Sie auch glauben, dass Sie ein sehr gutes Resultat erzielen können. Die Frage ist: Wann werden wieder Spitzenobjekte angeboten? Bei der Krise in den 1990er-Jahren hat es sehr lange gedauert, bis der Markt sich wieder erholt hat, bei der Krise 2008 ging das erheblich schneller. Kürzlich gab es eine private Transaktion eines Werks von Basquiat, bei der der genaue Preis nicht kommuniziert wurde. Bei Bloomberg stand, es wären mehr als 100 Millionen Dollar gewesen, Insider sagen, es wäre noch deutlich mehr. Tatsache ist: Ein großes Meisterwerk von Basquiat hat sich sehr gut verkauft. Und was an der Spitze der Pyramide geschieht, hat Auswirkungen auf den ganzen Markt. Es erweckt Vertrauen. Die kommenden Auktionen könnten von daher sehr gut laufen, auch weil insgesamt weniger Werke auf dem Markt sind.

Im Jahr 2015 haben Sie für einen Private Sale eine Provision von 10 Millionen Dollar erhalten. Es war eine Verabredung per Handschlag, deren Gültigkeit Sie vor Gericht erstritten haben. Verändert sich das Geschäft, wenn man sich nicht mehr persönlich trifft geschweige denn die Hand gibt?

Ich glaube nicht. Einen potenziellen Verkauf kann man auch am Telefon oder per Videocall besprechen und mit einem mündlichen Handschlag besiegeln. Danach gibt es wie üblich einen Vertrag, und das Geschäft ist durchgeführt.

Simon de Pury Newlands House Gallery Helmut Newton
Simon de Purys Ausstellung "Helmut Newton 100" in der Newlands House Gallery ist noch bis zum 30. August zu sehen (© Elizabeth Zeschin)

In der Kunstszene spielt Instagram mittlerweile eine wichtige Rolle. Sie sind dort auch aktiv und haben mehr als 200000 Follower. Warum machen Sie das?

Der Kurator Hans Ulrich Obrist hat mich damals auf Instagram aufmerksam gemacht. Wir waren sehr frühe aktive Instagrammer. Schon in der sehr mobilen Vor-Corona-Zeit konnte niemand überall gleichzeitig sein. Der große Vorteil von Instagram ist, dass man, wenn man etwa selbst nicht zur Biennale von Venedig fahren kann, mitbekommt, was dort ausgestellt ist. Früher hat man dafür vor allem Kunstmagazine gelesen, aber die haben natürlich immer eine enorme Zeitverzögerung. Die hat man heute in den sozialen Medien nicht mehr. Und man kann den Künstlern und Galerien selbst folgen. In unserer Zeit der verkürzten Aufmerksamkeitsspanne ist das ideal, weil es rein visuell funktioniert, man muss noch nicht mal mehr lesen. Aber das Beste daran ist, dass es den Künstlern selbst die Möglichkeit gibt, Aufmerksamkeit für ihre Arbeit zu erzeugen. Das ging früher nur vermittelt über Akteure am Kunstmarkt. Durch Instagram hat sich der Kunstmarkt total verändert, und das ist für mich eine sehr positive Entwicklung.

Sie haben kürzlich eine Galerie eröffnet, in der Kleinstadt Petworth, knapp eine Stunde von London entfernt. Wie kam es dazu?

Ich habe zwei Projekte kurz vor Corona begonnen. Das eine ist Newlands House, ein georgianisches Anwesen des 18. Jahrhunderts. Es wirkt wie ein Privathaus. Als ich vor zwei Jahren das erste Mal in Petworth war, war ich begeistert vom Charme des Ortes und der Landschaft. Durch Corona bin ich von der Idee eines Kulturzentrums dort noch mehr überzeugt, weil ich glaube, dass viele Leute diese intimere Art, Kunst zu erleben, jetzt schätzen. Die erste Ausstellung ist zu Helmut Newton, er wäre 2020 hundert Jahre alt geworden. Wir zeigen 100 Werke und machen eine Art Miniretrospektive.

Und das andere Projekt?

Das ist eine Kooperation mit Asprey, einer der ältesten englischen Luxusmarken. Die Firma hat acht wunderschöne Räume im Herzen Londons an der New Bond Street. Auch sie sehen nicht aus wie typische Galerieoder Museumsräume, sondern wirken wie ein private home. Die erste Ausstellung war mit dem chilenischen Maler Guillermo Lorca, den ich auf Instagram kennengelernt habe. Seine Werke sind ganz anders als das, was sonst in zeitgenössischen Galerien gezeigt wird, ich fand sie anfangs geradezu verstörend.

Sind diese Projekte ein Rückzug nach Jahren in einer sich schnell drehenden Kunstwelt?

Ist das Ihre Form von Ruhestand? Nein, ich hoffe, dass der Rückzug erst mit dem Tod kommt und nicht vorher. Aber klar, ich war sicher ein Beschleuniger und bin jetzt ein wenig ein Entschleuniger geworden durch diese Projekte. Mein Leben lang war ich eigentlich nie länger als zwei, drei Tage am selben Ort. Jetzt sehe ich, wie vorteilhaft es ist, nicht immer unterwegs zu sein. Das heißt aber nicht, inaktiv zu sein, Inaktivität ist das Ende von allem.

Guillermo Lorca Asprey London
Bizarr und altmeisterlich: "Make me blue" (2019) des chilenischen Malers Guillermo Lorca präsentierte Simon de Pury in den Räumen von Asprey in London (© Courtesy the artist and Asprey, London)

Kann Kunst uns in der Krise helfen?

Ich fürchte, dass wir immer noch am Anfang der Krise sind und die verheerenden Konsequenzen des Stillstands andauern. Man braucht Kunst nicht zum Überleben. Dennoch zirkulierte in der strikten Phase des Lockdowns sehr viel, was mit Kunst zu tun hatte. Seien es Konzerte, Kunstfilme im Netz oder die Look-alike-Spiele, wo Leute berühmte Bilder nachgestellt haben. Kunst gibt einem den Glauben an eine bessere Welt, sie gibt einem Mut und hebt den Geist. Es ist faszinierend, dass in einer echten Krise das Verlangen nach Kunst nicht nur bestehen bleibt, sondern sich noch verstärkt.

Man nannte Sie den „Mick Jagger der Kunstauktionen“, Sie sind auch ein Amateur-DJ. Mögen Sie die Rolling Stones überhaupt?

Ich liebe die Rolling Stones! Den Spitznamen, den Sie zitieren, hat der Journalist und Andy-Warhol-Vertraute Bob Colacello vor zig Jahren erfunden. Ich habe die Rolling Stones als Teenager in den Sechzigerjahren leider nicht gesehen, aber dafür in allen Jahrzehnten danach, jedes Mal waren sie besser. Ich hoffe, noch am Leben zu sein, wenn Mick Jagger in seinen Neunzigern sein wird, dann werden die Rolling Stones live noch großartiger. Deshalb hat mir dieser Vergleich sehr geschmeichelt.

Was ist Ihr Lieblingssong?

„Start Me Up“. Einmal, als die Rolling Stones im Shea Stadium in New York auftraten, leitete ich vorher bei Sotheby’s die Auktion der Comtesse du Boisrouvray. Die dauerte lange, weil sie so toll und erfolgreich war. Ich wurde immer nervöser, den Anfang des Konzerts zu verpassen. Als ich mich auf den Weg machte und endlich, endlich im Shea Stadium ankam, lief ich zu meinem reservierten Platz. Genau in dem Moment fing das Konzert an, und sie spielten „Start Me Up“. Das war unglaublich.

Service

DIESER BEITRAG ERSCHIEN IN

Weltkunst Nr. 174/2020

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