Russische Avantgarde

Finde den Fehler!

Von der Kunst der russischen Avantgarde gibt es schon seit den 1920er-Jahren besonders viele Fälschungen. Das Kölner Museum Ludwig setzt sich nun in einer ebenso mutigen wie großartigen Schau mit der eigenen Sammlung auseinander 

Von Christiane Meixner
07.10.2020
/ Erschienen in WELTKUNST Nr. 176

Ein Bild im Schwebezustand. Nichts hält die geometrischen Formen, die roten, gelben und schwarzen Rechtecke mehr im Zaum – außer der Wille des Künstlers, sich seinen ­eigenen, allein der Malerei gehorchenden Kosmos zu erschaffen. Die Idee einer gegenstandslosen Komposition ohne jeden Bezug zur äußeren Realität verewigte Kasimir Malewitsch 1916 unter anderem im Gemälde „Supremus Nr. 38“: ein virtuoses Arrangement schwereloser Körper, sichtbar nur für den visionären Maler. Bis er ihm in seinem Werk Gestalt für die Ewigkeit gibt.

Kasimir Malewitsch Museum Ludwig
Ob „Supremus Nr. 38“ (1916) tatsächlich von Kasimir Malewitsch stammt, wurde schon vor zehn Jahren beantwortet – positiv. © Rheinisches Bildarchiv, Köln/Museum Ludwig, Köln

Dieser Tanz der Formen machte Malewitsch zu einem Pionier. Er gilt als Erfinder des Suprematismus und als zentrale Figur der russischen Avantgarde – auch wenn der 1878 in Kiew Geborene im Spätwerk zur gegenständlichen Malerei zurückkehrte. Weil das Interesse an seinen abstrakten Bildern stets größer war als die verfügbare Kunst – Stalin etwa verbannte die Bilder der russischen Moderne nach 1927 aus politischen Gründen in den Giftschrank –, drängten professionelle Fälscher früh in die Lücke und füllten sie mit täuschend echter Ware. Neben Malewitsch traf es die progressiven Künstlerinnen Ljubow Popowa, Alexandra Exter oder Natalja Gontscharowa. Gefälschte Bilder zirkulieren bis heute und werfen für Werke russischer Avantgardisten immer wieder Fragen auf: Woher stammen sie, wie lückenlos ist ihre Provenienz, wie plausibel die Authentizität?

Sichtbar werden solche Zweifel in der aktuellen Ausstellung des Museums Ludwig in Köln. Lange vorbereitet, wissenschaftlich unterfüttert und zugleich publikumsnah untersucht sie die russische Avantgarde. Den Stoff für den Kunstkrimi, in dem die Besucher vor den Werken mit den Vorgehens­weisen wie auch den Resümees der Experten direkt konfrontiert werden, liefern zwei Dutzend prominente Arbeiten aus den Sammlungsbeständen, die das Haus Peter und ­Irene Ludwig verdankt. Ab den späten Siebzigerjahren erwarb das Paar russische Malerei, Skulptur, Zeichnung und Grafik der Avantgarde. 2011 gelangten die Schätze dank einer testamentarischen Verfügung als Schenkung an das Museum Ludwig: 600 Arbeiten, darunter fast 100 Gemälde.

Schon damals gab es bei einzelnen Arbeiten wissenschaftliche Vorbehalte. Die Risiken beim Erwerb von Kunst aus jener revolutionären Epoche sind lange bekannt, Fälschungen werden auch in Museen immer wieder identifiziert; spektakulär zuletzt 2017 in der Kunstsammlung NRW, wo sich Malewitschs „Schwarzes Rechteck, rotes Quadrat“ als ein Gemälde erwies, das mindestens vier Jahrzehnte nach dessen Tod 1935 entstand. Eine private Schenkung im guten Glauben an die Echtheit des Bildes, bis die kunstwissenschaftliche Untersuchung eine andere ­Geschichte erzählte.

Infrarot- und Röntgenbilder, Gewebeproben und Materialanalysen: Inzwischen gibt es zahlreiche Methoden, mit denen sich Wahrheiten ans Licht bringen lassen, die jahrzehntelang unter der Oberfläche der Werke verborgen waren. Mit technischen Mitteln dringen die Experten bis in die Tiefen der Grundierung, vergleichen per Mikro aufnahme den Pinselstrich von Gemälden, die aus derselben künstlerischen Hand stammen sollen, oder nehmen das Titanweiß als Marker, um vorgegebene Datierungen zu überprüfen. In Köln stieß man bereits 2009 eine Projektreihe zur russischen Avantgarde mit dem Ziel an, die Echtheit der Werke aus der Sammlung zu bestimmen. Im Jahr darauf wurden in einer Schau Malewitschs Spitzenwerke „Supremus Nr. 38“ und „Suprematistische Komposition“ von 1915 gezeigt – nach umfangreichen kunsttechnologischen Untersuchungen, die beide zuvor als authentisch verifizierten. Die Gemälderestauratorin des Museums, Petra Mandt, gehörte damals zu den Impulsgeberinnen und hat auch jetzt die Ausstellung zusammen mit der stellvertretenden Museumsdirektorin Rita Kersting kuratiert. Und genau wie 2010 sind wissenschaftliche Expertise sowie Mittel und Resultate der Bildanalysen Teil der Präsentation.

Michail Larionow Museum Ludwig
Unter dem Gemälde „Rayonismus Rot und Blau (Strand)“ von Michail Larionow verbirgt sich ein Porträt seiner Frau. © Röntgen: Art Analysis & Research/Russian Avantgarde Research Project/Museum Ludwig Köln

Diesmal stehen neben Malewitsch  Künstler wie Kliment Redko, Nikolai Suetin, Nina Kogan, El Lissitzky oder Ljubow Popowa im Zentrum. Letztere sollte bis vor Kurzem jene „Malerische Architektonik“ von 1920 aus blauen und braunen Farbscheiben ersonnen haben, die seit über vier Jahrzehnten zur Sammlung Ludwig gehört. Ein weiteres Bild der Serie, in denen die Künstlerin für gewöhnlich gearbeitet hat, kommt für die Dauer der Ausstellung als Leihgabe aus dem Museum Thyssen-Bornemisza in Madrid und ermöglicht den Vergleich. Er demonstriert laut Petra Mandt neben einer „unüblich“ roten Grundierung der Leinwand „deutliche Unterschiede in Farbauftrag und Pinselduktus“. Vor allem aber legt ihrer Ansicht nach die große Ähnlichkeit beider Motive nahe, dass das nachweislich von Popowa gemalte Bild aus Madrid als Vorlage für die Kölner Komposition gedient hat.

Fragwürdig ist aus der Perspektive der Wissenschaftler fast die Hälfte aller Exponate der Schau. Ein herber Verlust für das Museum, das andererseits seine Gemälde von Malewitsch, Nadeschda Udalzowas „Weiblichen Akt“ und eine hinreißende „Schwarz auf Schwarz“-Komposition von Alexander Rodtschenko auf der gesicherten Seite hat. Authentisch sind auch alle 14 in der Sammlung befindlichen Gemälde von Michail ­Larionow und Natalja Gontscharowa, deren faszinierendes Porträt der „Orangenverkäuferin“ 1916 unmittelbar nach einer Spanienreise des Künstlerpaars entstand.

Nadeschda Udalzowa Museum Ludwig
Ihre Souveränität im spontanen Auftrag der Farbe findet sich auch bei Nadeschda Udalzowas „Weiblichem Akt“ (um 1912). © Rheinisches Bildarchiv, Köln/Museum Ludwig, Köln

Geprüft wurden beider Werke im ­Rahmen des internationalen Russian Avantgarde Research Project (RARP), das 2014 gegründet wurde, um mehr Klarheit bei den Zuschreibungen der russischen Moderne zu schaffen. Zu seinen ersten Initiativen gehörten die Recherchen des Kölner Konvoluts in dem auf Materialuntersuchung spezialisierten Zentrum für Art Analysis & Research in London. Die Ergebnisse sind seit Sommer 2018 auf der Website von RARP öffentlich zugänglich und rekonstruieren unter anderem die Historie von Michail Larionows Komposition „Rayonismus Rot und Blau (Strand)“ von 1913. Ein Bild, dessen Röntgenaufnahme ein unvollendetes Porträt unter der abstrakten Komposition aus kristallinen Strukturen zum Vorschein bringt. Der Vergleich mit einem weiteren Gemälde, das Larionow um 1908 von seiner Frau Natalja schuf, legt nahe, dass er das Bild verwarf und übermalte.

Zu gänzlich anderen Ergebnissen gelangt die Kölner Ausstellung in einem nur scheinbar ähnlichen Fall. Lissitzkys Bild „Proun“, das 1993 über eine Pariser Galerie in die Sammlung Ludwig gelangte, verbirgt ebenfalls ein figürliches Motiv unter seiner abstrakten Komposition. Die Verwendung eines Kunstdrucks des Genremalers Ludwig Knaus sowie sichtbare Einstichlöcher, die die Verwendung eines Zirkels für die konstruktiven Bildelemente nahelegen, sind jedoch ähnlich untypisch für den Maler wie der Farbauftrag von „Proun“. Als Vergleich diente „Proun 12E“, seit 1949 im Besitz des Busch-Reisinger Museum in Cambridge, das wie ein Variante wirkt, sukzessive aber die Schwächen seines Pendants offenbart. „Frühere Zuschreibung El Lissitzky“ steht nun im Katalog zur Ausstellung, seinen Status als Original hat „Proun“ eingebüßt.

Ljubow Popowa Museum Ludwig
Ljubow Popowa verschickte 1915 eine Karte mit dem Foto des Reliefs von „Porträt einer Frau“. © Rheinisches Bildarchiv, Köln/Museum Ludwig, Köln

Auch bei anderen Exponaten spricht ­Yilmaz Dziewior, Direktor des Museums Ludwig, von „schwachen Provenienzen“ oder „stilistischen Zweifeln an ihrer Authenti­zität“. Das sind vorsichtige Worte im Rahmen einer langjährigen systematischen ­Unter­suchung mit dem Ziel, „Falschzuschreibungen in der Sammlung des Museums zu identifizieren und kenntlich zu machen“. Doch nicht nur für Museen war es lange tabu, potenzielle Fälschungen offen zu verhandeln, weil sich die Institution damit als verletzlich präsentiert. Auch der internationale Kunsthandel legt ungern seine Schwachstellen offen. So klagte die Galerie Gmurzynska, die zahlreiche Werke an die Sammlung Ludwig vermittelt hat, auf die vorzeitige Herausgabe von Informationen über jene Gemälde, die unter Fälschungsverdacht stehen. Es sei nicht auszuschließen, dass die Ausstellung negative Auswirkungen auf den Ruf der für Kunst der russischen Avantgarde bekannten und renommierten Galerie habe, hieß es.

Dabei ist unklar, wer in der Vergangenheit getäuscht hat und wer selbst getäuscht wurde. Neben der „falschen“ Popowa warten authentische Arbeiten wie ihr Relief „Porträt einer Frau“ auf den Besucher. Eine rare, ebenfalls von der Galerie vermittelte Schönheit, die anhand einer Postkarte identifiziert werden konnte. Die Künstlerin verschickte sie im Oktober 1915 mit dem fotografischen Abbild ihres Reliefs. Eine Postkarte als Zeugin für die Echtheit eines kubofuturistischen Originals: Wer hätte das gedacht?

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