Wie entstand der Name der Kunstströmung? Was ist eigentlich der Scherben? Wo kann man Keramik des Art nouveau anschauen oder kaufen? Unser Service zum Sammlerseminar gibt Auskunft
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12.10.2020
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WELTKUNST Nr. 167
Arts du feu: Der Begriff wurde 1897 in Paris durch die „Exposition nationale de la céramique et de tous les arts du feu“ populär. Unter dem Begriff „Les arts du feu“ (Feuerkünste) wurden die Keramikkunst und die Glaskunst zusammengefasst, zuweilen rangierte darunter auch die Emaillierkunst.
Art nouveau: Der Kunsthändler Siegfried Bing verwendete um 1890 erstmals den Begriff für die moderne Kunst und das innovative Kunsthandwerk. Seit 1895 zeigte und verkaufte er die neue Kunst in seiner Pariser Galerie, die er Hôtel de l’Art Nouveau nannte. Bing trug entscheidend zum Erfolg der Kunstströmung wie auch der Wertschätzung japanischer Kunst bei, mit der er ebenfalls handelte. 1904 schloss er die Galerie.
Arts and Crafts Movement: Reformbewegung in Schottland und England. Der Industrialisierung setzten die Künstler und Designer, allen voran William Morris, eine innovative, auf handwerklichen Grundlagen basierende Gestaltung von Gebrauchs- und Kunstgegenständen entgegen. Ihre Blütezeit hatte die Strömung, die auch die USA erfasste, zwischen 1870 und 1920. Mit Arts and Crafts begann das moderne Design.
Barbotine-Glasur: Französisch für Schlickerglasur. Malerische Dekoration der geformten Keramik durch eine relativ dünnflüssige Tonmasse, die sich mit Oxiden in vielen Farbnuancen einfärben lässt. Nach dem ersten Brand wird das Stück meist in einem zweiten Brand mit einer transparenten Glasur versehen, um die Malerei zu schützen.
Émail mat velouté: Durch Eintauchen in ein Säurebad, meist nur wenige Minuten, erhält die glasierte Keramik eine matte, samtartige Oberfläche. Edmond Lachenal perfektionierte diese Veredelung nach dem Brand und erzielte dadurch höchst reizvolle malerische und strukturelle Effekte.
Fayence: Eine Technik, die schon die Ägypter und Perser benutzten und die vom 16. bis 18. Jh. in Europa eine große Blüte erlebte. Im Unterschied zum Steinzeug bleibt der Ton bei der Fayence nach dem Brand (900 bis 1000 Grad) offenporig. Durch das Eintauchen in (meist weiße) Zinnglasur entsteht ein poröser, mehlartiger Grund, der sich bemalen lässt und beim zweiten Brand glasartig verschmilzt. Technisch identisch mit der Fayence, deren Begriff sich von der italienischen Stadt Faenza ableitete, ist die Majolika, mit der man vor allem die keramische Kunst Italiens vom 14. bis 18. Jahrhundert bezeichnet.
Kristallglasur: Begehrte Kunstglasur, bei der Ausscheidungen von Kristallen reizvolle Effekte erzeugen. In den 1880er-Jahren erregten die Porzellanmanufakturen in Sèvres und Kopenhagen Aufsehen mit Kristallglasuren. Alexandre Bigot gelangen sie erstmals auch beim Steinzeug. Nach dem Brand bei hoher Temperatur (ca. 1300 Grad) kommt es beim Abkühlen zu Auskristallisierungen in der Glasur. Die Abkühlungsgeschwindigkeit spielt eine wichtige Rolle, und mit geschickter Brennführung kann man die Größe und die Verteilung der Kristalle beeinflussen.
Lüsterglasur: Von lateinisch lustrare (beleuchten, erhellen). Metallisch schimmernder Überzug. Die irisierende Oberfläche wird erzielt durch den Auftrag von Metallnitrat- oder Chloridlösungen auf die glasierte Keramik und Einbrennung der Schicht bei rund 800 Grad. Um 1900 wurden ebenso die Lüstergläser von Tiffany und Loetz weltberühmt.
Masse: Tonmischung, aus der die Keramiker ihre Objekte formen. Sie kann aus einem Ton oder mehreren Tonarten bestehen, zuweilen werden Kalk, Kieselsäure (Sand) oder andere Substanzen beigesetzt. Mit Wasser aufbereitet, wird die Masse formbar und ergibt beim Brand den Scherben.
Pâte sur Pâte: Französisch für „Masse auf Masse“. Ein Verfahren, das bereits in China verwandt wurde und in der zweiten Hälfte des 19. Jh. in den Porzellanmanufakturen von Sèvres, Berlin und Meissen zur Anwendung kam. Bei der auch Schlickermalerei genannten Methode werden weiße Reliefs in oft mehreren dünnen Lagen auf die Form aufgebracht. Sehr zeitaufwendig, da jede Lage trocknen muss, bevor die nächste kommt.
Sang de bœuf: Dunkelrote Glasur, auch Ochsenblutglasur oder Chinarot genannt. Lange war sie nur von chinesischer und japanischer Keramik bekannt. Um 1880 gelang es zeitgleich den Chemikern Charles Lauth in Sèvres und Hermann Seger bei KPM („Seger-Porzellan“), ochsenblutrote Stücke herzustellen. Bald war das Publikum von den ersten Sang-de-bœuf-Glasuren auf Steinzeug hingerissen. Die kräftige Farbe entsteht durch Kupferoxid in der Glasur, entscheidend ist der Reduktionsbrand, bei dem im Ofen der Sauerstoff kontrolliert entzogen wird.
Scherben: Der Fachbegriff meint in der Keramik-Fachsprache unglasierte Tonwaren aller Art nach dem ersten Brand.
Sèvres: Die staatliche Porzellanmanufaktur, seit 1756 in Sèvres bei Paris, hatte im 19. Jahrhundert eine Reihe von herausragenden Technikern und Chemikern, die für künstlerische Innovationen standen und die modernen, erfolgreichen Farb- und Kristallglasuren entwickelten. Der bedeutende Keramiker Théodore Deck leitete den Betrieb von 1887 bis 1891 und nahm das Steinzeug in die Produktpalette auf. Auf der Weltausstellung von 1900 feierte Sèvres, nicht zuletzt wegen seines hochstehenden technischen Standards der Farb- und Kristall-glasuren, wahre Triumphe.
Steinzeug: Französisch grès. Ton, der sich bei hoher Temperatur (1100 bis 1350 Grad) brennen lässt, so versintert das Objekt, der Scherben wird sehr hart, dicht und wasserundurchlässig. Nicht zu verwechseln mit dem porösen Steingut, dem bevorzugten Werkstoff der effektiven Massen-produktion im Industriezeitalter.
Museen, die sich dem französischen Art nouveau widmen, haben auch unabdingbar die Kunstkeramik der Zeit in ihrem Bestand. So besonders die großen Kunstgewerbemuseen, die ab Mitte des 19. Jahrhunderts überall in Europa entstanden und deren Direktoren auf der Weltausstellung in Paris 1900 ihre Sammlungen auf den neuesten Stand der Zeit brachten. Etwa das Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg, das Berliner Kunstgewerbemuseum oder das Grassimuseum in Leipzig. Aber auch das Kölner Museum für Angewandte Kunst, das Hessische Landesmuseum in Darmstadt oder das Badische Landesmuseum in Karlsruhe haben sehenswerte Sammlungen von Art-nouveau-Keramik. Nicht zu vergessen das Hetjens-Museum in Düsseldorf, das sich als Deutsches Keramikmuseum der weltweiten Geschichte der Töpferkunst widmet. Für Art nouveau ist das Berliner Bröhan-Museum mit einem bedeutenden Keramik-Bestand eine feste Adresse. Ein herrlicher Zugewinn ist die Jugendstilsammlung, die Ferdinand Wolfgang Neess im letzten Jahr dem Museum Wiesbaden schenkte.
Das Mekka für Art nouveau ist natürlich Paris. Im Musée d’Orsay wird das Kunstgewerbe in der Dauerausstellung thematisiert, aber die Keramiker um 1900 werden auch in Sonderausstellungen gezeigt. Bedeutende Sammlungen haben das Musée des Arts Décoratifs und der Petit Palais. Wer von Adrien Dalpayrat begeistert ist, sollte einen Ausflug ins Maison Dalpayrat in der Vorstadt Bourg-la-Reine machen. Und wer die Blütezeit der Manufaktur Sèvres während des Art nouveau nachvollziehen will, eingebettet in eine breite Geschichte der Keramik, der wird ins Musée national de céramique in Sèvres pilgern. Besonders reizvoll ist es, im lothringischen, bis heute eindrucksvoll vom Art nouveau geprägten Nancy das Musée de l’École de Nancy zu besuchen. Immer ein Erlebnis ist das auf Keramik spezialisierte Musée Ariana. In London führt der Weg ins Victoria and Albert Museum, während im New Yorker Metropolitan Museum eine bedeutende Sammlung von der weltweiten und anhaltenden Faszination der französischen Töpferkunst um 1900 zeugt.
Im deutschen Handel ist das Thema leider nur eher zufällig präsent. Man muss ins Ausland schauen. Ein engagierter Kenner ist Robert Zehil in Monaco, der in seiner schönen Galerie eine Fülle sehr guter Stücke zu bieten hat. Oscar Graf, Pariser Spezialist für die angewandte Kunst der frühen Moderne, mit sehr schönen Ständen auf der Tefaf. Er hat eine fulminante Werkgruppe von Taxile Doat im Angebot, aber auch exzellente Einzelstücke etwa von Jean Carriès oder Auguste Delaherche. In Paris lohnt zudem ein Besuch in der Galerie Tourbillon. Spektakuläre Stücke bringt Jason Jacques, der sich ganz der Keramik seit 1900 widmet, jedes Jahr aus New York zur Tefaf mit.
Bei den Auktionshäusern sieht es in Deutschland besser aus. So bietet Quittenbaum in München fast in jeder seiner Jugendstil-Auktionen interessante Art-nouveau-Keramik an. Unter den Kunsthandwerk-Spezialisten sind Dr. Fischer und Schops Turowski auf dem Gebiet aktiv. Doch auch in den generalistischen Häusern wie Lempertz und Van Ham in Köln wird man immer wieder auf sehr gute Werke stoßen. Das Eldorado für dieses französische Gebiet ist und bleibt Paris, wo besonders Artcurial und Millon regelmäßig mit Art-nouveau-Keramik auftrumpfen. Zuverlässig fündig wird man bei Tajan und Binoche & Giquello, doch sollte man auch die kleineren Häuser in der Hauptstadt wie in der Provinz im Blick haben. In den USA beeindruckt David Rago, ansässig in Lambertville (New Jersey), durch sein großes Angebot sehr guter französischer Keramiken.
Der Klassiker ist Richard Borrmanns „Moderne Keramik“ von 1902 (Reprint 2019). Das Buch zeigt die zeitgenössische Rezeption der damals als sensationell empfundenen Kunstgattung. Horst Makus brachte nach jahrzehntelanger Forschung 2015 das ultimative Nachschlagewerk „Französische Kunst-Keramik 1860–1920“ heraus. Einen guten Überblick zur gesamten Zeit gibt „Art Nouveau. Symbolismus und Jugendstil in Frankreich“ (1999). Ein wichtiges Hilfsmittel für Sammler ist Dieter Zühlsdorffs „Keramik-Marken-Lexikon. 1885–1935“ (2. Aufl. 1994).