Die Restitutionsdebatte über die afrikanischen Sammlungen der Museen in Europa hält an. Zwei Bücher unterbreiten ganz unterschiedliche Vorschläge für den Umgang mit Raubkunst
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14.11.2020
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Erschienen in
Kunst und Auktionen Nr. 18
Man muss beim Lesen des Buchs „Unser Raubgut“ im Hinterkopf haben, wie der 60-jährige Autor Moritz Holfelder seine schönen Filmkritiken auf BR2 vorträgt: Mit angenehmer, allerdings distanzierter Stimme. Genauso ist der ruhige Schreibduktus seines Buchs, das jedoch – anders als der Untertitel suggerieren möchte – keine „Streitschrift zur kolonialen Debatte“ ist. Denn dafür fehlt es seinem aufwendig recherchierten Buch über die Restitution traditioneller afrikanischer Objekte an Emotionalität und an überraschenden neuen Einsichten. Holfelder versucht eine offene Haltung zur Rückgabe und erwähnt nicht nur ihre bedingungslosen Verfechter wie Felwine Sarr und Bénédicte Savoy, sondern auch Protagonisten, die die Thematik differenzierter sehen. Allerdings verordnet er sich bereits auf Seite 22 eine Art Schere im Kopf: „Deren (Savoy und Sarr) zweihundertseitiger Restitutionsreport lässt keine Zweifel daran, dass ein großer Teil der afrikanischen Sammlungen in den ethnologischen Museen Europas im Zuge des Kolonialismus gewaltvoll oder durch Übervorteilung von Einheimischen angeeignet wurde“. Damit verallgemeinert er die von Savoy und Sarr angeführten Einzelbeispiele und stellt das damalige Sammeln unter Generalverdacht.
Und wie geht Holfelder dann zum Beispiel mit den komplexen Gedankengängen des Filmemachers Peter Heller um, der erwähnt, man käme mit Generalisierungen nicht weiter? Holfelder lässt sie nicht an sich herankommen, sondern sieht sie eher als Folge der persönlichen Geschichte des Filmemachers und schreibt dazu: „Bis heute kolonialisiert der Geist des Kolonialismus nicht nur die Köpfe der Kolonialisierten“. Dementsprechend zitiert er Flower Manase vom Nationalmuseum von Tansania in Daressalam, die der Meinung ist, es gehe der Restitutionsdebatte eher um Europa und deren Museen – und eben nicht um Afrika: „Wer hat uns eigentlich gefragt, was wir Afrikaner wollen.“ Holfelder gibt auch die Kritik wieder, dass Bénédicte Savoy Afrika gar nicht kenne. Aber: Er leitet daraus eben nichts für sein eigenes Denken ab und bleibt eurozentriert.
Das Buch mündet in „Sieben Vorschläge zum Umgang mit der kolonialen Vergangenheit“ wie etwa: „Es ist an der Zeit sich stärker mit Afrika auseinanderzusetzen“, „Gebt alles, was geraubt wurde, zurück“ und am Ende „Es ist längst fällig, die Idee des gemeinsamen Welterbes umzusetzen. Das bedeutet einen anderen Umgang mit Besitz und Eigentum“. Das ist gut gemeint, aber letztendlich zu wenig konkret, vor allem wenn man bedenkt, wie stark noch heute koloniales Denken in den Köpfen deutscher Entscheidungsträger vorhanden ist. Veranstalter, die für Afrika-Filmtage oder Ausstellungen afrikanische Künstler nach Deutschland einladen möchten und daran scheitern, weil diese von den deutschen Botschaften keine Visa bekommen, können ein Lied davon singen. „Unser Raubgut“ ist eine ehrbare Fleißarbeit, die einen guten Überblick über die Debatte bietet und verdeutlicht, dass das Thema Restitution indigener Objekte seit Jahrzehnten schwelt. Schade, dass es der Autor nicht geschafft hat, sich aus seinem eigenen Korsett zu befreien.
Was Moritz Holfelder in seinem Buch als Untertitel versprach, nämlich eine Streitschrift zu sein, das setzt Karl-Ferdinand Schaedler in „‚Raubkunst‘ Wirklich geraubt?“ um. Der 89-jährige Grand Seigneur der traditionellen afrikanischen Kunst in Deutschland muss keine Befindlichkeiten beachten, nicht um Forschungsgelder buhlen oder an Karriere denken. Damit kann er ungefiltert seiner Sicht Ausdruck verleihen. „Der Fall Afrika und die Mär vom kolonialen Kontext“ lautet der Untertitel des Buchs.
Schaedler geht viele Aspekte anders an, als sie in Leitmedien diskutiert werden. So leugnet er natürlich nicht die negativen Folgen der Kolonialisierung Afrikas durch europäische Staaten. Allerdings bringt er einen weiteren Aspekt in die Diskussion ein: Für ihn ist das koloniale Joch der Unterdrückung keine europäische Erfindung. Vielmehr hätten afrikanische oder arabische Herrscher und Volksgruppen ähnlich der europäischen Mächte schon seit Langem afrikanische Regionen unterjocht und durch den Sklavenhandel Reichtum und Macht vermehrt. In dieser Lesart sind beispielsweise die Kriege zwischen einheimischen Königreichen wie Dahomey mit den Europäern Machtkämpfe von Kolonialmächten. Die damaligen neuen europäischen Kolonien sieht er nur als eine Art „Farbwechsel der Herren“, was vor allem für Völker gelte, die „jahrhundertelang vom Sklavenhandel unterdrückt waren“.
Naturgemäß hat Schaedler, der sich seit den Sechzigerjahren mit Afrika und afrikanischer Kunst befasst und häufig den afrikanischen Kontinent besucht hat, zum Thema Raubkunst eine andere Haltung als beispielsweise Holfelder. Für ihn wurden die meisten Werke auch schon im kolonialen Kontext nicht „geraubt“, sondern zumeist gekauft. Als Beleg hierfür sind in dem Buch Fotos zu sehen, die zeigen, wie Afrikaner Objekte anbieten. Natürlich sei manche Kunst gewalttätig im Zuge von kriegerischen Auseinandersetzungen in den Westen gelangt, dies sei aber Beutekunst und keine Raubkunst.
Zusätzlich weist er darauf hin, dass es bisher recht wenig Nachweise für einen Raub im kolonialen Kontext gäbe. Und er ist der Ansicht, dass viele Masken und Figuren, die in den Westen gelangt sind, Kopien seien oder Stücke, die ihre religiöse Bedeutung bereits eingebüßt hätten – sonst hätte man sie nicht verkauft. Schließlich vermutet er hinter der Rückgabe von Objekten einen eurozentrischen Blick, da in Afrika „das kultische Geschehen der Gegenwart“ zähle und die alten in Europa und USA vorhandenen Werke keine religiöse Bedeutung mehr hätten.
„‚Raubkunst‘ Wirklich geraubt?“ drängt einen dazu, sich noch intensiver mit der Thematik zu befassen und genauer zu hinterfragen, welche Standpunkte es gibt und wie man sich selber dazu positioniert. Viel mehr kann man von einem Buch kaum erwarten! Andererseits bietet Schaedlers bewusst provokatives Buch bis auf die Fotografien recht wenig Beweise dafür, dass damals die Gegenstände tatsächlich überwiegend „fair“ erworben wurden. Hier bleibt abzuwarten, was die von deutschen Stellen versprochene Provenienzforschung in Zukunft zu Tage bringen wird.
Karl-Ferdinand Schaedler: „Raubkunst“ Wirklich geraubt?, Panterra Verlag, 2019
Moritz Holfelder: Unser Raubgut. Eine Streitschrift zur kolonialen Debatte, Ch. Links Verlag, 2019