Linn Born lässt nicht nur Kunst bei sich einziehen. Seit einigen Jahren veranstaltet die junge Sammlerin in ihrer Wohnung auch Ausstellungen für einen Abend. Die Künstler haben Carte blanche – und ihr volles Vertrauen
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03.11.2020
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Erschienen in
WELTKUNST Nr. 177
Ein Klappstuhl für die letzten Sonnenstrahlen und etwas Grün: Im Herbst, wenn alles zurück ins Haus strebt, leeren sich Schwabings Balkone. Bis auf einen. Er trägt „Peng“ das ganze Jahr über, eine üppige Keramik in der Form eines Pinguins. Schon von Weitem sieht man ihn über die Brüstung im vierten Stock eines Neubaus ragen. Etwas kopflos, dafür ziemlich präsent. Denn „Peng“ nimmt sein Außengehege, das eher ein Austritt ist, komplett für sich ein. Wie gut, dass seine Besitzerin auf einen zweiten, großzügigen Balkon ausweichen kann.
Das klingt nach viel space, doch wirklich groß ist Linn Borns Wohnung nicht. Knapp 70 Quadratmeter verteilen sich auf zwei Räume. Ein kleines Mezzanin komplettiert die Fläche, auf der die Enddreißigerin mit diversen Kunstwerken lebt. „Peng“ wäre, man sieht es sofort, allen hier über den Kopf gewachsen. Selbst „Knockout“ von Susanne Wagner, eine andere mannshohe Keramik in Form eines schwarzen Boxsacks, den die Münchner Künstlerin mit gebrochenen Nasen gespickt hat, wirkt gegen ihn wie eine zarte Stele. Weshalb der sympathische Halbtonner nach draußen musste.
„,Peng‘ habe ich gesehen, da war er noch im Rohzustand“, sagt Born. „Würstel für Würstel“ hat ihn der Künstler Daniel Huss für die Jahresausstellung an der Münchner Akademie aus Ton aufgebaut – und Born schloss ihn bereits im ungebrannten Zustand in ihr Herz. Dabei war völlig unklar, wie er überhaupt in die Wohnung gelangen sollte. Wann immer die Sammlerin die monumentale Plastik und ihre Wohnungstür ausmaß, blieb es bei der Erkenntnis: „Peng“ passt nicht durch. Also stand er erst einmal bei Huss im Atelier, staubte dezent ein. Dann, vor gut drei Jahren, kam die Idee mit dem Balkon. „Irgendwann habe ich beschlossen, ich hole ,Peng‘ jetzt hoch.“ Ein Kranwagen wurde gebucht, die Straße gesperrt, am Ende dauerte die Himmelfahrt zehn Minuten. Von den Kosten für den Transport hätte Linn Born locker in den Urlaub fahren können. „Aber das ist nicht der relevante Punkt.“
Relevanz, Diskurs, Kontext: Solche Worte fallen selten, wenn man mit ihr über zeitgenössische Kunst spricht. Statt auf die trockene Sprache der Kuratoren setzt sie vorbehaltlos auf den eigenen Enthusiasmus. Ihr Zugang ist direkt, die Neugier weiterhin ungestillt. Linn Born hat in München Pharmazie studiert, war ein halbes Jahr im schwedischen Uppsala, zog nach Bremerhaven und wieder nach München zurück. Nach einigen Jahren in der Forschung und im Management ist Born nun seit 2019 als selbstständige Beraterin unterwegs. Erfolgreich, doch lange mit dem leisen Gefühl, da fehlt etwas. Auf der Suche nach einer tieferen Auseinandersetzung mit Themen, die über das tägliche Arbeiten hinausgehen, wurde ihr irgendwann klar: „Ich muss mich mit Kunst auseinandersetzen.“
In Bremerhaven kaufte sie das erste Gemälde: „Die blaue Fahrt“. Figuren auf einem Segelboot, ganz klassisch. Born fuhr damals auch nach Worpswede: „Da fing es an, mit Paula Modersohn-Becker und der Kraft ihrer Bilder.“ Der Weg führte über PIN., die Freunde der Pinakothek der Moderne. Linn Born wurde Mitglied, um zu verstehen, worum es den Künstlern geht. „Ich war sicher, hier gibt es Input und die Informationen, die ich brauche, um zu lernen.“ Der Freundeskreis am Haus der Kunst kam hinzu, auf dem Programm standen Besuche bei Sammlern, von Auktionen oder der Ausstellungen von Akademie-Absolventen. An der Münchner Hochschule knüpfte Born auch erste Kontakte zu Künstlerinnen und Künstlern ihrer Generation. Mit Shinae Kim, die 2015 ihr Studium als Meisterschülerin von Carsten Nicolai abschloss, setzte sie sich intensiv auseinander: „Da ging noch einmal eine andere Welt auf. Shinae hat in Südkorea klassische Malerei studiert und sich dann in München minimalistisch mit dem Raum beschäftigt. Sehr präzise, zurückhaltend und auf den Punkt gebracht.“ Vor allem aber machte ihr die Künstlerin klar, was die figurativen Bilder von Apfelkörben mit ihren aktuellen, abstrakten Linien verbindet: Es geht um die Wahrnehmung eines Objekts in seiner spezifischen Umgebung.
Born kaufte mehrere Arbeiten. Kleine Blätter mit kraftvollen Kreisen. Und sie stellte spontan ihre Wohnung zur Verfügung, als Shinae 2013 eine Möglichkeit suchte, ihre Arbeit außerhalb der Institutionen zu realisieren. Deren Räume seien stets gleich leer und anonym – white cubes eben. Die Koreanerin bekam einen Schlüssel und maß die Räume sukzessive aus. Höhe, Breite, sämtliche Fensterlaibungen. Am Ende stand „ein langer, mäandernder Strich auf einem Plakat, der den Ort in eine Arbeit übersetzt hat“, sagt Linn Born. Und natürlich sollten auch andere das Ergebnis sehen. Es war der Start für ihre unkonventionelle Idee eines Projektraums in den eigenen Wänden. Für Ausstellungen, die im privaten Rahmen entstehen und nur einen Abend lang zu sehen sind. Shinae arrangierte dort ein zweites Projekt mit koreanischen Künstlern. Vor allem aber machte sie Born mit den audiovisuellen Tüftlern Taebok Cho und Jinhee Jung bekannt. „Als ich den Sound der beiden gehört habe, war ich hin und weg. Es war klar, dass ich sie irgendwann einladen würde.“
Bis das Duo, das unter dem Namen „GRAYCODE, jiiiiin“ komplexe akustische Installationen komponiert, tatsächlich von Korea nach Deutschland reiste, dauerte es dann aber ein paar Jahre. 2018 wurde es vom ZKM in Karlsruhe mit dem Giga-Hertz-Produktionspreis ausgezeichnet. Linn Born finanzierte die Flugtickets und bat Teabok und Jinhee zu sich nach München: Die zwei bezogen das bescheidene Mezzanin und bauten ihr Equipment auf. Es gibt Fotos, auf denen sieht man Notebook und Synthesizer auf einem schmalen Tisch. Daneben dient ein „Workshop Chair“, Jerszy Seymours legendärer Entwurf eines Stuhls aus rohen Materialien, als Ablage. „Großartig“ sei die Videoinstallation mit Soundeffekten gewesen, meint die Gastgeberin, „bloß kannte die Künstler niemand hier, und es gab Schwierigkeiten mit dem Verständnis.“ Was aber auch daran liegen mag, dass man zwanzig Minuten minimale und dennoch krachende Beats bei flirrendem Licht erst einmal aushalten muss. Doch Linn Born hat bislang immer Menschen getroffen, die offen für die von ihr geförderte Kunst sind. „Das war der Trigger. Wenn keiner gekommen wäre, hätte ich aufgegeben.“
Seit 2013 also macht sie in ihrer Wohnung Platz für Künstler. Für die Kunst ohnehin, denn parallel zu den oft performativen Abenden wächst die Sammlung immer weiter. In vielen Arbeiten spiegelt sich das Ausstellungsprogramm. Das grüne Gemälde „Diving“ von Bernhard Rappold war ebenso Teil einer Schau wie die Gitarre aus Pappe. Rappold hat sie vor zwei Jahren gebaut und gespielt, während Felix Leon Westner parallel mit Kreide zeichnete – auch auf dem Instrument, das jetzt im Flur hängt. Elke Dreier hielt im Sommer vor zwei Jahren eine „Lecture“. Ihre runden Holzobjekte, auf denen man in Borns Wohnung das eigene Ungleichgewicht ausbalancieren kann, stammen jedoch aus der interaktiven Rauminstallation „Training for the Future“, die 2019 im Münchner Projektraum Z Common Ground zu sehen war. Über der Tür dehnt sich das weiche, 2016 entstandene Latexbild „Concealed Matter(s) 03“ von Anouk Kruithof. Es gibt Arbeiten von Michael Sailstorfer, Isa Melsheimer, der provokanten jungen Fotografin, Bildhauerin und Performerin Sophia Süßmilch oder vom 1973 geborenen Tim Bennett, für den Marmor ebenso selbstverständlich zum künstlerischen Material wird wie Bierdeckel und Gipskartons.
Beide, Ausstellung wie Sammlung, entwickeln sich organisch. Letztere wuchert längst bis in den Keller. „Kunst lebt mit, nimmt sich den Raum“, davon ist Linn Born überzeugt. Bei ihr fließen die Sphären nahtlos ineinander. Über dem Esstisch des Designers Dirk Vander Kooij, der farbige Kunststoffreste miteinander verpresst, hängt die Lampe „STPEE“ von Josep Maynou. Der spanische Künstler hat sie noch am Tag seiner Ausstellungseröffnung im Frühjahr 2019 fertiggestellt – als wilde Mischung gefundener Objekte, die zusammen mit einer Kofferwaage und einer Socke von der Decke baumeln. Ebenfalls von Maynou stammt die „You can right standing lamp“ im Schlafzimmer. Beide funktionieren, sind Gebrauchs- und Kunstobjekt in einem. Ähnlich wie die „Brustschale“ des Designer-Duos BNAG.
Aus den ursprünglich vorgesehenen ein bis zwei Ausstellungen jährlich sind vier oder fünf geworden. Die nächste war schon geplant, scheitert bislang allerdings an Corona. Wann es so weit ist, weiß noch niemand. Und wenn es so weit ist, erfährt es auch nicht jeder. Es gibt kein Mailing, keine öffentliche Einladung auf der Website. Linn Born möchte das nicht als Arroganz verstanden wissen, sondern der Situation geschuldet. Ihre ganze Wohnung wird ja zum Ausstellungsort, und jedes Mal gehen zahllose Besucher durch ihre privaten Räume. Manche haben ihr zu einer Spendenbox geraten. Das Büfett, die Getränke, der ganze Aufwand. Born winkt immer ab: „Mein Ansatz ist ein anderer. Es geht um den Austausch, den ich mir leisten möchte.“ Auch ihr eigenes Engagement hat sie konsequent durchdacht: „Der Trade-off bei Geld ist ein Geschäft ohne emotionale Bindung. Bei mir steht auch niemand in der Schuld, dafür wächst das gegenseitige Vertrauen. Eine Idee, die in dem Moment für den Raum entsteht. Das hat einen unvergleichbaren Wert.“