Vor 150 Jahren wurde der wegweisende Architekt und Designer Josef Hoffmann geboren. Das Wiener Museum für angewandte Kunst bereitet dazu eine große Ausstellung vor – mit neuen Forschungen, die ein komplexeres Bild des Universalisten zeichnen, als wir es bisher kannten
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04.12.2020
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Erschienen in
Weltkunst Nr. 179
Wie viel Platz man hier hatte, um Kleider zu probieren! Wie man sich drehen und wenden konnte, um von allen Seiten zu prüfen, ob das weit wallende Kleid oder das kleine Schwarze passte! Der Besuch im Modesalon der Schwestern Flöge, Mariahilfer Straße 1b, 1070 Wien, muss ein großartiges Erlebnis gewesen sein.
Einen Eindruck davon bekommt, wer im Wiener Leopold Museum die Dauerausstellung „Wien 1900“ besucht. Dort zeigt ein Foto, als Tapete aufgezogen, den Salon in Lebensgröße: Die Wand des Geschäftslokals ist streng gegliedert durch Streifen, zwei gegenüberliegende Spiegel vergrößern den Raum, ein elegant geschwungener Stuhl lädt zum Verweilen ein, von der Decke hängt eine Lampe, bestehend aus einem Zylinder und einer Kugel. Es ist eines der vielen Beispiele für die Gestaltungswut des Josef Hoffmann, hier verwirklicht in kongenialer Zusammenarbeit mit Koloman Moser.
Josef Hoffmann, 1870 im mährischen Brtnice geboren, gestaltete die Dinge vom Scheitel bis zur Sohle. Keine Bauaufgabe war ihm dafür zu groß, kein Gebrauchsgegenstand zu klein. Als treibende Kraft in Design und Architektur prägte er – gemeinsam mit Gustav Klimt, Oskar Kokoschka, Egon Schiele, Koloman Moser sowie vielen anderen Kreativen wie auch der Modemacherin Emilie Flöge – den Look der Wiener Moderne, jener Epoche, für die Wien heute so bekannt ist und die, zumindest in Nicht-Pandemie-Zeiten, Jahr um Jahr Millionen internationaler Gäste anzieht.
Am 15. Dezember jährt sich Josef Hoffmanns Geburtstag zum 150. Mal. Das Wiener Museum für angewandte Kunst (MAK) wollte ursprünglich in diesem Monat eine Ausstellung über ihn eröffnen, verschob sie aber aufgrund von Covid-19. Das Haus besitzt weitläufige Bestände aus Hoffmanns Händen, von denen es einen beträchtlichen Teil in der Dauerausstellung präsentiert. Hier kann man sich einen guten Überblick verschaffen über sein Œuvre, der Bogen spannt sich von einem frühen Atelierschrank im „Brettlstil“ über eine spektakuläre Vase, die an eine Rakete erinnert, eine Menge an Behältnissen aus Metallgitter, eine opulente Halskette aus Gold und Elfenbein, zahllose Gläser, Schalen und Dosen bis, zum Schluss, einem opulenten Sessel aus Hoffmanns „Boudoir d’une grande vedette“, einer ganzen Zimmereinrichtung, die das MAK nun anlässlich der Ausstellung rekonstruierte.
Für die Schau nächstes Jahr, deren Katalog eine eindrückliche Sammlung an Aufsätzen mit neuen Forschungserkenntnissen bietet, weiteten die Kuratoren Matthias Boeckl, Rainald Franz und Christian Witt-Dörring den Blick auf Hoffmann. „Die Ausstellungen, die bisher in Österreich über Hoffmann zu sehen waren, beleuchteten zumeist Spezialbereiche. Eine große monografische Schau, die Hoffmann in seinen Rollen als Kunstgewerbler und Architekt zeigt, gab es noch nicht“, sagt der langjährige MAK-Kustode Rainald Franz. Kollege Boeckl erzählt: „Die bisher gewohnte Rezeption von Josef Hoffmann endet 1910, da ist seine geometrische Phase vorbei. Dabei hat Hoffmann lebenslang obsessiv gezeichnet und entworfen. In den 1910er-Jahren beginnt er, die Klassik neu zu interpretieren.“
Um Hoffmann näherzukommen, muss man zunächst seine Anfänge beleuchten. Die Wiener Secession sagte sich – parallel zu ähnlichen Tendenzen in anderen europäischen Städten – los von den unzeitgemäßen Formen des Historismus. „Der Zeit ihre Kunst, der Kunst ihre Freiheit“, so das Zitat des Kunstkritikers Ludwig Hevesi, das an der Fassade des Secessionsgebäudes prangt. Man wollte einen eigenständigen, modernen Stil finden und die Einheit der Künste feiern. Einen Höhepunkt fand diese Idee in der „Beethoven-Ausstellung“ 1902: Damals stellte die Secession eine Beethoven-Statue Max Klingers aus. Berühmter allerdings wurde der Beethoven-Fries Klimts sowie die gesamte Gestaltung des Raums, die nicht nur durch Wandmalereien des Bühnenbildners Alfred Roller, sondern auch durch die Aufführung eines Bläserarrangements von Gustav Mahler ergänzt wurde. Ein weiteres Highlight war Hoffmanns „Supraporten-Relief“, das aus länglichen kubischen Elementen besteht und manchen sogar als Vorformulierung der Abstraktion gilt; eine Rekonstruktion ist im Leopold Museum zu besichtigen.
Hoffmann stammte aus einer wohlhabenden Familie – im Geburtshaus in Brtnice sind heute jährlich wechselnde Ausstellungen zu sehen. An der Wiener Akademie der bildenden Künste studierte er Architektur, zuerst beim Ringstraßenarchitekten Carl von Hasenauer, später beim weitaus moderneren Otto Wagner. Gemeinsam mit Koloman Moser und dem Industriellen Fritz Waerndorfer gründete er 1903 die Wiener Werkstätte. Das Unternehmen, bestehend aus spezialisierten Handwerksbetrieben, entstand – auch – aus einer Unzufriedenheit heraus. In seiner „Selbstbiografie“ schreibt Hoffmann: „Der Versuch, unsere Ideen von den bestehenden Firmen verwirklichen zu lassen, musste am Mangel an mitfühlenden Arbeitskräften scheitern. Die handwerkliche Arbeit hat den fabriksmäßigen Betrieben Platz machen müssen.“ Noch heute bestechen die Objekte der Wiener Werkstätte – egal, ob es sich um Hoffmanns Kettenanhänger handelt, um Vasen, um minuziös gearbeitete Gläser oder um ein Porzellangeschirr, das überzogen ist von spielerischen Dekorationen. Zu einem der Höhepunkte zählt das Cabaret Fledermaus in Wien, entstanden unter Hoffmanns Federführung: Ein Schachbrettboden trägt Sitzgruppen mit den bekannten „Fledermaus-Stühlen“, die Kacheln wurden von Kollegen und Kolleginnen der Wiener Werkstätte entworfen – der reinste Farbenrausch. Kurator und Hoffmann-Experte Witt-Dörring schreibt im Katalog: „Es ist ein Kampf gegen den schlechten Geschmack und minderwertige Ausführung, gegen die Vorherrschaft der maschinellen Produktion und das Diktat des Handels bezüglich der verfügbaren Produktpalette.“
Hoffmanns frühe Wiener-Werkstätte-Entwürfe sind von Geometrie geprägt, häufig strukturieren Umrahmungen und Linienornamente Wände oder Möbel. In Entwürfen wie der verstellbaren „Sitzmaschine“ sind die konstruktiven Elemente hervorgehoben. Andere, wie der Kubus-Sessel, addieren geometrische Formen. Zu den architektonischen Hauptwerken Hoffmanns aus diesen Jahren zählen das Sanatorium Westend in Purkersdorf bei Wien sowie das Palais Stoclet in Brüssel. Derartige Bauaufgaben konnte nur eine sehr reiche Käuferschicht finanzieren; auch kleiner dimensionierte Aufträge der Wiener Werkstätte hatten eine zahlungskräftige Klientel. Witt-Dörring spricht von „einem selbstbewussten Großbürgertum“. Das „ästhetische Konzept der Wiener Werkstätte“ ermöglichte es diesem, „in der Öffentlichkeit als eigenständige kulturtragende Gesellschaftsschicht wahrgenommen zu werden“.
Die Wiener Werkstätte, ein Programm für die Elite? Ganz so war das nicht intendiert. „Sehr bald wollte man die Produkte der Wiener Werkstätte auch breiteren Bevölkerungsschichten zugänglich machen“, sagt Rainald Franz. Hoffmann sei bei Weitem kein Entwerfer für die „Happy Few“ gewesen, ergänzt Kollege Boeckl. Tatsächlich ist heute wenig bekannt, dass Hoffmann ab den 1920er-Jahren auch im sozialen Wohnbau tätig war. „Hoffmann steht für die umfassende Ästhetisierung sämtlicher Lebensbereiche, weil er der Meinung war, dass Schönheit Sinn und Identifikation stiftet. Diese Überzeugung zog er in allen Sparten und Gebieten konsequent durch, auch bei den sozialen Bauaufgaben“, sagt Boeckl. Das „Rote Wien“ der 1920er-Jahre legte den Grundstein für den sozialen Wohnbau, der die Stadt bis heute vor wahnwitzigen Preisen für Mietwohnungen schützt. Wer einen Hoffmann-Bau erleben will, muss nur den Klose-Hof, den Winarsky-Hof oder den Wohnbau Laxenburger Straße besuchen. Im tschechischen Vrbno Pod Pradědem plante Hoffmann im Auftrag des Textilfabrikanten Kuno Grohmann eine Arbeitersiedlung, die bis heute existiert.
Hoffmanns Bedeutung blieb keineswegs auf Österreich beschränkt. „1926 war Hoffmann in der Jury des internationalen Wettbewerbs für den Völkerbundpalast in Genf. 1930 stellte er in Monza auf der Triennale neben Le Corbusier und Mies van der Rohe aus. Das zeigt, wie einflussreich er auch international war“, so Boeckl. „In Österreich hat diesen Grad an internationaler Vernetzung erst Hans Hollein ab den 1960er-Jahren wieder erreicht.“ In der Festschrift anlässlich Hoffmanns 60. Geburtstags überbrachten Stars wie Walter Gropius und Le Corbusier ihre Gratulationen, Letzterer war so begeistert vom Cabaret Fledermaus, dass er selbst Skizzen davon anfertigte.
Der neue Blick, den das Kuratorentrio auf den Tausendsassa der Wiener Moderne warf, betrifft auch Lebensabschnitte, die sich als zweischneidig darstellen und detailliert untersucht werden. So der Österreich-Pavillon auf der Biennale Venedig, den Hoffmann und sein Kollege Robert Kramreiter während der Zeit des autoritären Ständestaats entwarfen. Wo stand Hoffmann politisch? Im Katalog fasst die Historikerin Elisabeth Boeckl-Klamper seine Rolle so zusammen: „Obwohl er sich Zeit seines Lebens nie im Sinne einer Parteipolitik geäußert oder betätigt hatte, war er gegenüber den politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen keineswegs blind oder gar naiv. Vielmehr trachtete er, politische Konstellationen zu nutzen, wenn ihm diese für die Umsetzung seiner künstlerischen Vorstellungen dienlich erschienen beziehungsweise sie Aufträge versprachen.“ Mit überschaubarem Erfolg. Rainald Franz sagt: „Hoffmann hatte die Kreativität und gestalterische Kapazität, um für den Ständestaat Signalwirkung zu entfalten. Allerdings war er als Protestant für den katholischen Staat wenig passend. Nur für den Pavillon in Venedig durfte er als international bekannter Architekt als ›Aushängeschild‹ dienen.“
Im Nationalsozialismus scheute er ebenfalls nicht den Kontakt zu potenziellen Auftraggebern des Regimes. Boeckl-Klamper: „Hoffmann hatte augenscheinlich keine Vorbehalte, sich zügig in den Dienst der neuen nationalsozialistischen Machthaber zu stellen. Im Juni 1938, wenige Monate nach dem Anschluss Österreichs an Hitlerdeutschland, schreibt er, dass er froh wäre, sich ›für die große Sache auch noch einmal im Leben in künstlerischer Art […] betätigen‹ zu können.“ Tatsächlich erhielt er einige lukrative Aufträge – darunter den Umbau der deutschen Botschaft in Wien zu einem Offizierskasino sowie die Umgestaltung der Innenräume des Palais Lobkowitz. Dazu hatte ihm aber nicht Parteitreue verholfen, sondern sein Netzwerk aus früheren Zeiten.
Dass die neuen Machthaber nicht nur antisemitisch, sondern auch gegen jede moderne Formensprache vorgingen, fiel Hoffmann laut Boeckl-Klamper bald auf. Doch offenbar hoffte er naiv, dass diese Einstellungen wieder verschwinden würden. Sie hinderten ihn auch nicht daran, Ehrenvorsitzender des „Wiener Kunsthandwerksvereins“ zu werden, der jüdische Mitglieder ausschloss und in einem Gebäude residierte, dessen jüdische Vorbesitzerin zum Verkauf gezwungen worden war. Boeckl-Klamper: „Um seine Ziele zu erreichen, akzeptierte Hoffmann nicht nur die kulturkonservative Kunstpolitik des Regimes und die Zwangsmitgliedschaft in der ›Reichskammer der bildenden Künste‹, sondern ignorierte auch, dass Menschen verhaftet und ihrer Ämter enthoben wurden sowie ein nicht unbeträchtlicher Teil seiner eigenen früheren Auftraggeber fliehen musste.“ Andererseits musste das NS-Regime einen Künstler wie Hoffmann geradezu ablehnen – erstens war er Proponent einer modernen Kunst, die nationalsozialistischen Vorstellungen völlig zuwiderlief, zweitens Auftragnehmer des jüdischen Bürgertums. Ein Anhänger der Ideologie war Hoffmann laut Boeckl-Klamper wohl nicht.
Nach 1945 entwarf er nur noch wenig; ein später Gemeindebau kann kaum noch anschließen an frühere Gestaltungen. 1956 starb er, im Alter von 86 Jahren. So wichtig seine umfassenden Raumgestaltungen sind, kann man öffentlich kaum je einen Blick darauf werfen. Das Sanatorium Purkersdorf, nach wie vor in Betrieb, lässt sich von der Straße aus besichtigen, ebenso wie das Palais Stoclet. Rainald Franz empfiehlt: „Man kann Hoffmann als Fassadengestalter in der Wiener Innenstadt sehen, beim Büro der Staatsdruckerei auf der Seilerstätte, beim Geschäft Altmann und Kühne, und natürlich bei seinen Villen auf der Hohen Warte und den Villen Skywa-Primavesi und Knips: Da kann man gut nachvollziehen, wie sich seine Architektur entwickelt.“ Zumindest damit – und der Besichtigung von MAK und Leopold Museum – kann man sich die Zeit bis Dezember 2021, wenn dann die große Schau eröffnet, vertreiben.
„Josef Hoffmann. Fortschritt durch Schönheit“
MAK – Museum für angewandte Kunst, Wien
15. Dezember 2021 bis 19. Juni 2022