Valie Export

„Anarchismus war für mich interessant“

Valie Export ist eine Pionierin der Medienkunst und der konzeptuellen Fotografie, ihre feministischen Performances sind legendär. Ein Gespräch über Berührungen in Zeiten der Pandemie, weibliche Machtpositionen und die Idee zu ihrem Künstlernamen

Von Sebastian C. Strenger
07.12.2020
/ Erschienen in Kunst und Auktionen Nr. 20

„Fragmente einer Berührung“ heißt deine aktuelle Ausstellung in der Kunsthalle Baden-Baden. Sie ist im Zuge des allgemeinen Lockdowns gerade geschlossen, läuft aber noch bis 28. Februar. Ein treffendes Thema in Zeiten der Pandemie. Wie empfindest du die gegenwärtige Situation?

Unser Verhalten ändert sich gerade komplett – im Grunde die gesamte Identitätswelt. Durch das Maskentragen ist ja auch das Gesicht ein Stück weit verlorengegangen. Man erkennt die Menschen zwar gerade noch so, dennoch bleiben sie weitgehend anonym.

Ist das vergleichbar mit dem Burkatragen?

Ja, das Muster ist ähnlich – nur sind bei Corona-Masken die Kopfform, die Haare, die Augen noch immer gut erkennbar. Doch auch das formale Tragen einer Maske stört oder zerstört jede äußerliche Identitätserkennung. Auch die Mimik ist weg. Wie wird es beispielsweise wahrgenommen, wenn jemand lächelnd mit einer anderen Person spricht? Eben: gar nicht! Ein sehr trauriges Kapitel, denn das Virus ist da und wir müssen uns schützen.

Deine Installation „Heads-Apheresis“ in der Baden-Badener Schau nimmt dieses Thema auf …

Ich mache diese gesichtslosen Köpfe bereits seit längerer Zeit, nur stelle ich sie immer wieder neu zusammen. In einer Foto / Film-Arbeit sind dann auch deformierte Köpfe von Ermordeten zu sehen, Fotos von Mordopfern aus den Asservaten einer US-Polizeidienststelle. Letztlich ist auch diesen Menschen durch Gewalteinwirkung ihre Persönlichkeit genommen worden.

Deinen Film in der Ausstellung nennst du: „Tote Menschen schreien nicht“ …

Es handelt sich hier natürlich um eine Metapher. Denn auch Menschen, die man so erniedrigt oder desavouiert hat, dass sie nicht mehr lebendig sein KÖNNEN, schreien nicht mehr. Es geht hier um Menschen, deren Identität, deren Zugehörigkeit, deren Trägersystem man getötet hat. Es geht also nicht um den realen Tod, sondern um das, was man verloren hat und nicht mehr wiederbekommen kann.

Wenn du stirbst und die Deutungshoheit über dein Werk abtreten musst: Könnte das deine Identität über den Tod hinaus verändern?

Das kann natürlich sein. Missbrauch gab es immer wieder in der Geschichte. Das Totschweigen von Künstlerinnen gehört dazu. Aber auch das Totschweigen von Künstlern. Überhaupt das Totschweigen von Menschen, die nicht in der Öffentlichkeit aufgetreten sind, aber trotzdem Großes geleistet haben. Und dann auch das Totschweigen kultureller Formationen – der Uiguren in China beispielsweise, die in Lagern inhaftiert sind. Sie werden ignoriert und umgepolt – und dadurch verschwindet gleichzeitig ihre kulturelle Identität. Man will sie mundtot machen, wie man so sagt.

Valie Export Selbstinszenierung „Aktionshose : Genitalpanik“ 1969
VALIE EXPORT (* 1940) in der Selbstinszenierung „Aktionshose : Genitalpanik“, 1969 © VALIE EXPORT, Bildrecht Wien, 2020, Foto: Peter Hassmann

Das erinnert mich daran, dass ich in einer Schublade meines Elternhauses einmal die kleine rote Mao-Bibel meines Vaters gefunden habe. Die Begeisterung für das China der sogenannten Kulturrevolution war während der Sechzigerjahre auch in Deutschland groß. Wie hast du das wahrgenommen?

Ich habe diese Euphorie damals wahrgenommen, aber nicht mitgetragen. Für mich war das ein anderes Extrem in einem anderen Ausdruck – also das andere Gleiche. Im Fall der Uiguren geht es darum, Einheits-Chinesen zu formen – und das hat mich abgestoßen. Das erinnert mich auch an Religion …

Wie meinst du das?

An Religion in einem Umfeld, wie ich es aus meiner Kindheit kenne. Denn die Religion macht es genauso. Sie ist totalitär. Alle Religionen machen das so, solange sie politische Funktion haben.

Bei welchen gesellschaftlichen Ideen hast du dich als Verbündete im Geiste gesehen?

In den Sechzigerjahren war Anarchismus großgeschrieben – und der war für mich schon interessant. Für mich war wichtig, nicht nur die Regeln der Gesellschaft kennenzulernen, sondern auch zu wissen: Wer macht die Regeln! Und dabei bin ich dann darauf gekommen, dass es im Kommunismus, Maoismus oder in der katholischen Religion, mit der ich aufgewachsen bin, immer um das Bekennen von Schuld geht, immer um das Versprechen einer Besserung. Und als Kind hat man durch die Beichte noch viel mehr Schuld auf sich genommen – denn welche Sünden hatte man denn überhaupt!?! Letztlich hat man also immer etwas hinzugedichtet, um dem Priester das zu sagen, was er hören wollte. Und er wollte ja was hören …

Was war das für dich?

Gehirnwäsche!

Zurück zum Anarchismus: Im Mai 1970 hat sich die „Rote Armee Fraktion“ gegründet. Interessierte dich an der RAF der philosophische Anarchismus – oder ging es dir da doch auch um mehr?

Primär war es der philosophische Anarchismus. Ich hatte mir die ganzen Schriften besorgt und durchgelesen und sie waren sehr aufschlussreich. Wenn ich die Texte aber heute lese, frage ich mich doch, mit welcher Naivität man da vorgegangen ist. Entführungen als Antwort auf den Kapitalismus habe ich im Gefolge der damaligen Debatten noch verstanden, aber mit den Bombendrohungen war es dann aus und vorbei. Da ist die RAF für mich nicht mehr infrage gekommen. Aber es war eben auch ein sehr spannender Moment damals, wenn man die sozialen und hierarchischen Umstände der Zeit betrachtet.

Valie Export Galerie Thaddaeus Ropac
VALIE EXPORT in der Ausstellung „The 1980 Venice Biennale Works” in der Galerie Thaddaeus Ropac, London, 2019 © Courtesy the artist and Galerie Thaddaeus Ropac, London Paris Salzburg, Foto: Ben Westoby

Diese Zeit war nicht nur politisch, sondern auch künstlerisch „geladen“. Warst du damals bei den Wiener Aktionisten dabei?

Nein, ich war nie dabei. Als ich nach Wien gekommen bin, war der Aktionismus eigentlich fast schon vorüber. Aber ich habe die Künstler natürlich gekannt und in Kaffeehäusern getroffen. Später waren einige von ihnen dann im Exil in West-Berlin. Auch ich war damals in West-Berlin und habe dort bei Freunden gewohnt. Einmal wollten wir einen Ausflug nach Ost-Berlin machen. Mit meinem Auto sind wir dann los und ich hatte nicht daran gedacht, ein für den Müll bestimmtes Wiener Telefonbuch vor meiner Fahrt zu entsorgen. Die ostdeutschen Grenzer wollten wissen, warum ich das dabei habe. Ich habe daraufhin gesagt, dass ich es ihnen gerne schenken kann, dass wir es auch gemeinsam wegwerfen können – daraufhin haben sie dann den ganzen Wagen auseinandergenommen. Danach mussten wir wieder zurück in den Westen – und nachdem ich das Telefonbuch dort entsorgt hatte, durften wir wieder einreisen. Schikane!

Gab es künstlerischen Austausch?

Wir haben natürlich Künstlerfreunde in Berlin getroffen, etwa die Filmemacherin Helke Sander. Auch Beuys und Kiefer kannte ich. Mit Kiefer stand ich dann auch später immer wieder in Verbindung, nachdem wir 1980 auf der Biennale in Venedig unsere jeweiligen Pavillons bespielt hatten – er den deutschen, ich den österreichischen. Marcel Odenbach kannte ich von der Kölner Medienhochschule, Rosemarie Trockel natürlich, auch Al Hansen. Daniel Spoerri kannte ich aus München. Alles in allem war diese Zeit geprägt von einem starken Austausch unter Künstlern.

War Fluxus ein Thema für dich?

Ich habe damals ein Video über den internationalen Aktionismus gemacht. Dafür habe ich natürlich auch die Fluxus-Leute besucht. Aber eben auch die US-amerikanischen Künstler der Bewegung – in den Achtzigerjahren stand ich lange im Austausch mit Charlotte Moorman.

Waren denn die verschiedenen Kunstrichtungen – Spoerri beispielsweise als Vertreter des Nouveau Réalisme – für dich auch eine Inspirationsquelle? 

Eher weniger. Aber als ich mit Georg Baselitz, Rebecca Horn, Ulrike Rosenbach und anderen damals an der Hochschule der Künste in Berlin tätig war, hat mich der Austausch im kleinen Kreis schon sehr beeinflusst – oder auch der mit Dorothy Iannone, die sehr schöne Arbeiten gemacht hat und die ich später dann zu einer Ausstellung eingeladen habe.

Du hast dein Werk von Beginn an sehr radikal entwickelt. Dafür hast du soeben den 7. Kunstpreis „Dada, Fluxus und die Folgen“ des Museums am Ostwall in Dortmund erhalten, wo deine Ausstellung „Valie Export. Irritation des Blicks“ nach dem Lockdown wieder anläuft. Zu sehen ist hier auch deine Arbeit „Aktionshose: Genitalpanik“ von 1969 …

Also: Ich hatte eine im Schritt ausgeschnittene Hose und habe die Vorführung „Genitalpanik“ in einem Programmkino gemacht. Das Kino war dunkel und nur die Leinwand beleuchtet. Und dann habe ich dem Publikum gesagt: „Was Sie hier sonst auf der Leinwand sehen, sehen Sie jetzt auf der Bühne.“ Und dann bin ich mit dieser ausgeschnittenen Hose durch die Kinoreihen gegangen. Und das war natürlich schon auch sehr nah – und viele sind daraufhin rausgegangen. Aus dieser Aktion ist dann die Idee entstanden, „Aktionshose: Genitalpanik“ als Fotoserie zu machen.

Was hat dir dabei zum Erfolg verholfen? 

In den Sechzigern – und bis in die Achtzigerjahre hinein – war die beginnende Medienkunst mit ihrer Idee des „Expanded Cinema“ eine Nische für Künstlerinnen. Und die Idee für „Aktionshose: Genitalpanik“ kam eben – wie übrigens auch das TAPP- und TASTKINO – aus meiner Beschäftigung mit „Expanded Cinema“.

Wie hast du das konzeptuell umgesetzt?

Für die Fotoserie hatte ich ein Maschinengewehr in der Hand, um die Machtposition noch weiter zu verstärken. Das weiblich genitale Bild sollte durch eine männliche Geste verstärkt werden. Natürlich gibt es auch Frauen, die in den Krieg ziehen, dennoch sind es bis heute überwiegend Männer.

Und wo hattest du das Maschinengewehr her? So etwas hat man ja nicht einfach zu Hause rumstehen …

Das hatte ich mir ausgeliehen. Es kam von einem Bekannten, der ein Waffennarr war.

Und was hat es mit deinem berühmten Tattoo auf sich?

Body-Sign kam damals aus dem US-amerikanischen Raum, wo Body-Art durch Fluxus und Happening bereits viel präsenter war. Und ich wollte die Tätowierung eines Strumpfbandes auf meinem Oberschenkel tragen, verstanden als Kunstwerk, das so lange lebt wie ich.

Es gibt eine Installation von dir, die lautet: „Gibt es etwas, das nicht durch ein Bild / Zeichen ausgedrückt werden kann?“ Wie wäre denn deine Antwort darauf?

Ich weiß es nicht! Alles was ich kenne, hat ein Zeichen und ein Bild. Für mich bleibt es eine Frage …

Und in der Gefühlswelt?

Dort sind es eben auch Bilder – nur: innere Bilder.

Ach ja, da wäre noch eine Sache: Du bist als Waltraud Lehner geboren worden und dann …

Eine Packung „Smart Export“-Zigaretten lieferte die Idee zu meinem Künstlernamen und den Namen habe ich mir dann später als Markennamen schützen lassen. Er ist der Brand meiner Kunst.

Und wo befindet sich diese wahrscheinlich teuerste Zigarettenschachtel der Welt heute?

In der ständigen Sammlung des New Yorker Museum of Modern Art. Die Pforten sind dort nach einer sechsmonatigen Schließung übrigens wieder geöffnet …

Vielen Dank für das Gespräch!

Service

AUSSTELLUNG

„VALIE EXPORT. Fragmente einer Berührung“

Staatliche Kunsthalle Baden-Baden

31.10.2020 bis 28.2.2021

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