Sammlerseminar Netsuke

Wissenswertes zu Netsuke

Wer sind Ama oder Tenaga, was ist ein Manjū? Unsere Übersicht erklärt Begriffe der japanischen Netsuke und nennt die wichtigsten Museen, Händler und Bücher

Von Peter Dittmar
28.12.2020
/ Erschienen in WELTKUNST Nr. 175

Von der Ama bis Yakimono – ein kleines Glossar zu Netsuke

Ama: Eine der Frauen, die vor Ise ohne Atemgerät nach Meeresfrüchten tauchen. Als Netsuke meist verliebt mit einem Oktopus dargestellt.

Edo: Der Name von Tokio bis 1868. Die Edo-Zeit genannte Periode begann 1603, als die Tokugawa-Shogune das Herrschaftszentrum von Kyoto in die heutige Hauptstadt verlagerten.

Haiku: Populäre dreizeilige Gedichtform mit 5, 7 und 5 Silben pro Zeile.

Himotoshi: Die beiden Löcher der Netsuke zum Befestigen der Schnur, von denen eines etwas größer ist, um den Knoten aufzunehmen.

Inrō: Am Obi getragenes Kästchen für Siegel, Münzen oder Pillen, oft mit Lackmalerei verziert. Die Kordel, an der das Inrō hängt, wird am Gürtel von einem Netsuke gesichert.

Junishi: Die „zwölf Zweige“ der alten japanischen Zeitrechnung, die auf den chinesischen Kalender zurückgeht. Die zwölf Tierkreis-zeichen – Ratte, Büffel, Tiger, Hase, Drache, Schlange, Pferd, Ziege/Schaf, Affe, Hahn, Hund, Eber/Schwein – sind gängige Standardthemen der Netsuke.

Kagamibuta: Ein Manjū mit einer spiegel-ähnlichen Metallplatte in der Mitte und nur einem Schnurloch.

Katabori: Der am meisten verbreitete Netsuke-Typus: plastisch und vollrund ausgearbeitete Werke.

Kirin: Mythisches Tier mit dem Körper eines Löwen, Kopf eines Drachens, feurigen Gelenken und einem Horn auf dem Kopf. Es tritt sanft auf und schädigt keine Lebewesen.

Manjū: Flaches, rundes und knopfähnliches Netsuke. Der Name ist von Teigtaschen abgeleitet, die mit süßem Bohnenbrei gefüllt sind.

Meiji-Reform: Mit der Inauguration von Kaiser Meiji (1868–1912) einsetzende rigorose Verwestlichung Japans und Stärkung als asiatische Macht.

Men: Netsuke in Form von Masken oder Köpfen, häufig werden dabei Masken des Nō-Theaters verkleinert.

Netsukeshi: So werden in Japan die Netsuke-Schnitzer genannt.

Obi: Stoffgürtel, der den knopflosen Kimono zusammenhält.

Obi-hasami: Auch Sashi-Netsuke, lang gestreckt mit einem hakenförmigen Ende, das hinter den Obi gesteckt wird.

Obon-Zeit: Drei Tage im Juli oder August, in denen man beim „Fest der Seelen“ die Vorfahren ehrt.

Okame: Dralle, junge Frau mit birnen-förmigem Kopf, lebenslustig und stets heiter. Eine Nachfahrin jener Okame, die mit lasziven Tänzen
die Götter zum Lachen brachte und so auch die schmollende Sonnengöttin aus ihrer Höhle lockte.

Okimono: Geschnitzte Skulpturen, meist aus Elfenbein oder Buchsbaumholz. Sie entstanden als größere Vitrinenstücke, als die Netsuke ihre traditionelle Funktion verloren.

Sagemono: Dinge, die am Obi hängen, alle werden mit Netsuke am anderen Ende der Kordel gesichert.

Saishiki: Technik, die auf den berühmten Schnitzer Shuzan zurückgeht: farbig getönte Netsuke aus weichem Hinoki-(Zypressen-)Holz.

Sennin: Unsterbliche Eremiten, die ein asketisches Leben führen und mit Wundertaten in Verbindung gebracht werden.

Shishi: Ein Löwe oder Löwenhund, der oft paarweise als Wächterfigur dient.

Tanuki: Dachsgeist, der sich in einen Menschen oder einen Teekessel verwandeln kann.

Tenaga: „Langarm“, der zusammen mit Ashinaga, dem „Langbein“ die gegenseitige Hilfe verkörpert.

Tengu: Ein tückischer Waldkobold, teils Mensch, teils Vogel, der aus einem Ei geboren wird. Er entführt Frauen und Kinder, straft aber auch die Bösen und hilft den Guten.

Yakimono-Netsuke: Netsuke aus Porzellan oder Ton.

Koller Netsuke
Die überreife Kakifrucht, nur 2,7 cm groß, 19. Jahrhundert, ist ein Meisterwerk aus Buchsbaumholz und wird für 1500 Franken bei Koller angeboten. © Koller

Welche Museen haben die besten Netsuke Sammlungen?

In Museumsvitrinen sind die kleinen Netsuke leider ziemlich rar. Lediglich das 2007 eröffnete Kyoto Seishu Netsuke Art Museum in der alten japanischen Hauptstadt hat sich ganz auf sie spezialisiert und zeigt aus einem Sammlungsbestand von rund 5000 ständig rund 400 klassische und vor allem viele zeitge-nössische Schnitz-werke. Auch das National Museum in Tokio besitzt eine große Sammlung, aber davon ist meist wenig zu sehen. In Deutschland ist es kaum besser, und nicht immer darf man die Netsuke aus dem Depot zu Studienzwecken anschauen. Die führende Adresse ist derzeit das Linden-Museum in Stuttgart, das von den mehr als 800 Netsuke der 1966 geschenkten Sammlung Trumpf regelmäßig etwa 40 bis 50 ausstellt. Im Düsseldorfer Kunstpalast wurde zwar für eine beträchtliche Auswahl aus den 950 Netsuke, die Bruno Werdelmann der Stadt schenkte, ein eigenes Kabinett eingerichtet, nur ist es wegen Umbau bis 2022 geschlossen. Immerhin sind beide Sammlungen vollständig im Internet zu betrachten. Eine gute Netsuke-Auswahl zeigt in der Regel auch das Grassi Museum für Völkerkunde in Leipzig.

Das Rijksmuseum Amsterdam hat einen ansehnlichen Netsuke-Bestand, aber auch hier ist der Onlinekatalog ergiebiger als das Erlebnis vor Ort. Mehr Glück hat man womöglich im Museum Volkenkunde in Leiden. In Wien ist die Netsuke-Sammlung des MAK vor allem digital zu bestaunen, dafür sind im Jüdischen Museum in der Ausstellung „Die Ephrussis. Eine Zeitreise“ bis 4. Oktober die 157 Netsuke zu sehen, die Edmund de Waal dem Haus für zehn Jahre als Leihgabe überlassen hat. Ein besonderes Erlebnis ist das Musée d’Ennery in Paris, das seinen Belle-Époque-Charakter und die Holzvitrinen von damals (darin auch Netsuke) erhalten hat. Einen Besuch wert ist auch die Fondation Baur, Genfs Museum für ostasiatische Kunst, wo ständig eine Auswahl aus dem Bestand von rund tausend Netsuke zu sehen ist. Gut bestückt sind Museen jenseits des Kanals. Das gilt vor allem für das British Museum und das Victoria and Albert Museum in London, aber auch für das Ashmolean Museum in Oxford sowie das Fitzwilliam Museum in Cambridge. Alle vier Sammlungen sind im Internet präsent, wo jeweils markiert wird, was derzeit ausgestellt ist.

Dass in Amerika, wo Netsuke seit Ende des 19. Jahrhunderts gesammelt wurden, das Metropolitan Museum of Art in New York über einen beachtlichen Bestand verfügt, überrascht nicht. Gute Netsuke-Adressen sind zudem das Asian Art Museum in San Francisco mit der Sammlung von Avery Brundage und das Los Angeles County Museum of Art mit der Bushell Collection. Ein unerwarteter Netsuke-Ort ist das South African Jewish Museum in Kapstadt, dem Isaac Kaplan 600 Netsuke überließ, von denen etwa ein Drittel ausgestellt wird.

Welche Händler sind auf dem Gebiet aktiv?

Sotheby’s und Christie’s haben bereits seit Jahren auf Spezialauktionen verzichtet, nur gelegentlich tauchen hier Netsuke auf. Das Feld beherrscht seitdem Bonhams, das mit den Sammlungen Katchen und Szechenyi eine ganze Reihe sechsstelliger Zuschläge realisierte. In Deutschland sind die beiden Kölner Häuser Lempertz, zuletzt mit der Albert-Brockhaus-Auktion, und Van Ham auf dem Feld aktiv, zuweilen auch Nagel in Stuttgart, wo man eigentlich eher auf China spezialisiert ist. In Wien richtet Zacke eigene Netsuke-Auktionen aus, aber auch im Dorotheum kann man immer wieder fündig werden. Ebenso sollte man beobachten, was bei den Asia-tika-Auktionen von Koller in Zürich zum Aufruf kommt. Ansonsten verschließen sich generalistische Häuser dem Thema nicht, wenn es eine entsprechende Einlieferung gibt. So bringt Zeller in Lindau vom 9. bis 11. September die 250 Stücke zählende Netsuke-Sammlung von Katy und Marc Wilwers aus Luxemburg zum Aufruf. Engagierte und sehr kenntnisreiche Kunsthändler, die sich den Netsuke widmen, sind Hans-Martin Schmitz in Köln und Flachsmann in Kronberg. In London sind Rosemary Bandini, Sydney L. Moss und Max Rutherston die renommierten Adressen, während im Ursprungsland der Netsuke nur Sagemonoya in Tokio zu nennen ist.

Welche Bücher bieten eine gute Einführung in das Thema?

Immer noch ein wichtiges Standardwerk ist Albert Brockhaus’ „Netsuke. Versuch einer Geschichte der japanischen Schnitzkunst“ von 1905, mehrfach wieder-aufgelegt. Als Einführung empfehlen sich Frederick Meinertzhagen mit „The Art of the Netsuke Carver“ (1973), Raymond Bushell mit „Collectors’ Netsuke“ (1990) oder George Lazarnicks Bücher über die Signaturen der Netsuke (1974 und 1976). Unverzichtbar für Provenienzen ist „MCI. The Meinertzhagen Card Index on Netsuke“(1986). Aus der stattlichen Anzahl hilfreicher Bestandskataloge seien die Bearbeitungen der Sammlungen Trumpf (2000) und Werdelmann (2005) von Patricia Jirka-Schmitz genannt. Ein lebendiges Forum ist das International Netsuke Society Journal (netsuke.org).

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