Feministische Kunst

The Future is Female

Die feministische Avantgarde erlebt eine Renaissance. Damit rückt die Generation der heute 80-Jährigen mit Künstlerinnen wie Etel Adnan, Dorothy Iannone oder Valie Export in den Fokus des Kunstmarkts

Von Sebastian C. Strenger
04.01.2021

Die feministische Avantgarde hat viele Positionen hervorgebracht. Zu allen Zeiten. Doch leider hat das historisch patriarchale Gesellschaftssystem immer schon Künstlerinnen absorbiert. Oft standen sie auch im Schatten ihrer männlichen (Ehe-)Partner: So Françoise Gilot (*1921) neben Picasso, Lee Miller (1907–1977) neben Man Ray, Gerda Taro (1910–1937) neben Robert Capa – et cetera pp. Oder sie bekamen zugunsten ihrer Künstlerkollegen keine öffentliche Ausstellungsfläche für ihr Werk.

Viele gerieten so in Vergessenheit – werden seit geraumer Zeit aber wiederentdeckt. Die Welt ist reif für einen Blick auf die weibliche Sicht der Dinge, auch in der Kunst. Das beweist seit einigen Jahren die deutliche Zunahme institutioneller Überblicksausstellungen: 2015 zum Beispiel in der Hamburger Kunsthalle, 2017/18 im ZKM in Karlsruhe, 2019 im Mumok in Wien und in der Tate Britain. Hinzu kommen kuratierte Ausstellungen in Galerien und auf internationalen Kunstmessen. Viele Kunstsammler greifen hier aus Überzeugung zu, was sich mittelfristig in einem deutlichen Preisanstieg für ausgewählte Positionen niederschlagen wird.

Im Folgenden werden sechs lebende Künstlerinnen in den Fokus gerückt, die bereits ihr Spätwerk in Angriff genommen haben, deren Œuvre also nahezu abgeschlossen ist. Die Auswahl erfolgte zum einen auf Basis kunstgeschichtlicher Bedeutung, zum anderen mit Blick auf das Potenzial für Sammler. Nachhaltigkeit durch einen geregelten Nach- beziehungsweise Vorlass sind hier ebenso wichtig wie die Präsenz in internationalen Sammlungen und Ausstellungen. Gegenwärtig sind die Preise aller vorgestellten Positionen auf dem Auktionsmarkt noch recht moderat. Noch können ambitionierte Sammler also strategisch klug agieren – aber das wird nicht so bleiben.

Etel Adnan (*1925)

Mit ihrer Teilnahme an der Documenta 13 (2012) ist die in Beirut geborene Etel Adnan einem großen Publikum bekannt geworden. Die heute in Frankreich lebende Libanesin ist eine der bedeutendsten Vertreterinnen der arabischen Moderne. Mit philosophischen Essays, Romanen, Gedichten und journalistischen Texten machte sie sich bereits in den Siebzigerjahren international einen Namen und avancierte zur wichtigsten Stimme in der arabischen Literatur. Als Malerin ist sie bereits seit Jahren ein Shootingstar der Szene. Ausstellungen etwa im Salzburger Museum der Moderne, im New Yorker New Museum, im Irish Museum of Modern Art in Dublin oder im Sharjah Art Museum der Vereinigten Arabischen Emirate haben ihre oft farbfrohen Abstraktionen einem Weltpublikum nähergebracht. Nach einer Ausstellung im Zürcher Haus Konstruktiv zeigte das Zentrum Paul Klee in Bern eine umfassende Werkschau. 2019 war sie in der Gruppenausstellung „Luogo e Segni“ im Palazzo Grassi, Venedig, und solo im Aspen Art Museum zu sehen. Adnan wird seit vielen Jahren von der Galerie Lelong aus Paris und Londons White Cube Gallery vertreten. In Deutschland findet man ihre Arbeiten bei der Hamburger Galerie Sfeier-Semler. Kleinformate liegen hier um die 20.000 Euro; auf Auktionen tauchen Adnans Arbeiten bislang selten auf. Und wenn doch, dann mitunter bereits zur Hälfte des Galeriepreises.

Bauermeister Farbrauschserie
Eine Hommage á Gustave Klimt von Mary Bauermeister aus ihrer Farbrauschserie aus 2015. © Museum FLUXUS+/Potsdam, VG Bild-Kunst, Bonn 2020

Mary Bauermeister (*1934)

Die Wahl-Kölnerin gilt als eine der einflussreichsten Vertreterinnen der Fluxus-Bewegung in den Sechzigerjahren. Regelmäßige Gäste in ihrem damaligen Atelier waren unter anderem John Cage, Heinz Mack, Nam June Paik, Ben Patterson und Otto Piene. Denn ihre Ausstellungen, Konzerte mit experimenteller Musik, Performances, Lesungen und Happenings galten als legendär. Die gebürtige Frankfurterin studierte ab Mitte der Fünfzigerjahre bei Max Bill an der Hochschule für Gestaltung in Ulm sowie bei Otto Steiner an der Staatlichen Schule für Kunst und Gestaltung in Saarbrücken. Während ihrer jährlichen Parisaufenthalte unterhielt sie Kontakte zu Künstlern des Nouveau Réalisme wie Niki de Saint Phalle und Jean Tinguely. 1961 lernte sie in einem Kompositionskurs Karlheinz Stockhausen kennen, mit dem sie sieben Jahre lang verheiratet war. 1962 hatte sie ihre erste Einzelschau im Amsterdamer Stedelijk Museum sowie anschließend weitere Ausstellungen in New York. Sie knüpfte Freundschaften mit den Wegbereitern der amerikanischen Pop Art, darunter Robert Rauschenberg und Jasper Johns. Bauermeisters Arbeiten sind erschwinglich: Frühe Schlüsselwerke gibt es in Auktionen bereits unter 30.000 Euro. Ihr zeichnerisches Œuvre ist bislang wenig bekannt. Die auf lange Sicht wohl werthaltigsten Arbeiten schuf sie in ihrem bis in die Siebzigerjahre hineinreichenden Frühwerk.

Valie Export (*1940)

Die 1940 in Linz als Waltraud Lehner geborene Künstlerin lebt heute in Wien. 1967 gab sie sich den Namen Valie Export – künstlerisches Konzept und Logo zugleich. Die Tate Modern und das MoMA sammeln ihre Arbeiten bereits seit vielen Jahren. Sie nahm 1977 an der Documenta 6 sowie 1978 und 1980 an der Venedig-Biennale teil. Mit provokativen öffentlichen Aktionen wie dem „Tapp- und Tastkino“ oder der „Aktionshose Genitalpanik“ sicherte sie sich Ende der Sechzigerjahre einen bedeutenden Platz im kollektiven Gedächtnis – in einer Zeit, in der Frauen neue Wege und Ausdrucksformen suchten und fanden. Heute gilt sie mit ihrer Performancekunst als feministischer Gegenentwurf zum Wiener Aktionismus, was Galeristen früh zu einem Engagement veranlasst hat. Valie Export wird heute durch die Galerie Ropac vertreten; Arbeiten gibt es aber immer auch bei der Wiener Galerie Konzett. Fotos und Zeichnungen bilden den überwiegenden Teil ihres Œuvres. Grafik ist ab 2000 Euro zu haben, alles andere meist erst ab 15.000 Euro.

Dorothy Iannone (*1933)

Vor 15, 20 Jahren war ihr Werk fast schon vergessen – doch dann bescherte die Berlin-Biennale im Jahr 2005 der Pop-Art-Künstlerin einen großen Auftritt, der sie zum Liebling vieler Kuratoren werden ließ. Wie kaum eine andere Position in der Kunst ist ihr frühes Werk gewissermaßen eine erotische Explosion. Die Inspirationen hierfür schöpfte sie viele Jahrzehnte lang aus ihrer Beziehung zu Dieter Roth. 1974 trennten sich die beiden, aber die Begegnung mit dem Künstler wirkt bis heute auf Iannones Œuvre. Iannone ließ sich bereits früh von der Kunst ihrer Mutter Sarah Nicoletti Iannone, später Sarah Pucci, beeinflussen – die beiden wurden zuletzt auch häufiger gemeinsam ausgestellt. Ihrer Freundin Mary Harding widmete Iannone 1977 ein Lied, in dem sie ihre Emotionen für Berlin verarbeitete – die Stadt, in die sie 1976 im Rahmen des DAAD Künstlerprogramms gezogen war und in der sie bis heute lebt. Die Zeile „And Berlin will always need you“ aus dem Song wurde zum Titel ihrer ersten Ausstellung im Berliner Gropius Bau 2019. Ihr Refugium in New York, wo sie in den Sechzigerjahren Kontakte zu vielen berühmten Persönlichkeiten aus Kunst- und Literatur pflegte, hat sie längst aufgegeben. Iannone ist überzeugte Buddhistin – und wann immer der Dalai Lama in Deutschland ist, wohnt er in ihrem Haus. Seit „Peres Project“, Berlin, mit der Künstlerin zu arbeiten begann, erhöhte sich die Taktzahl ihrer Ausstellungen. Über ihre internationale Galerie „Air de Paris“ ist sie zudem auf vielen Messen vertreten. Während ihre typischen Pop-Art-Zeichnungen und -Gemälde 25.000 Euro aufwärts kosten, sind ihre frühen informellen Arbeiten im Auktionshandel mit Zuschlägen bis zu 15.000 Euro noch immer unterbewertet – mitunter sogar Schnäppchen.

Dóra Maurer (*1937)

In Zeiten des Ostblocks begann die Ungarin Dóra Maurer nach ihrem Studium an der Akademie der Bildenden Künste in Budapest vornehmlich mit Konzeptkunst – vorzugsweise unter Verwendung von Fotoserien oder experimentellen Filmen. Seit den Siebzigerjahren entwickelte Maurer in ihrer Malerei dann das System der „Displacements“ – sich überlagernder, ineinander verschachtelter Muster in serieller Folge. Dieses Vorgehen hat sie per se bis heute beibehalten, und so ist es vor allem die Farbpalette, die sich mit den Jahrzehnten verändert hat. Seit der Jahrtausendwende entstehen sogenannte „Overlappings“, in denen rechteckige Formen auf einer Kugeloberfläche zu schweben scheinen. Ihr Spätwerk – das aufgrund der schweren Rheumaerkrankung der Künstlerin auch nicht mehr übermäßig wachsen wird – ist überaus gesucht. White Cube handelte „Overlappings“ zuletzt bei 30.000 Euro. Nachdem die Londoner Galerie über Jahre gezielt vorhandene Maurer-Werke auf internationalen Messen aufgekauft hat, ist der Markt aktuell wie leergefegt. Die Zahl ihrer zum Verkauf stehenden Werke war allerdings seit jeher limitiert, weil die Künstlerin aufgrund von Trennungsschmerzen den Galerien immer schon ungern Arbeiten zur Verfügung stellte. Ihre aktuelle, aufgrund der Corona-Pandemie momentan aber geschlossene Überblicksausstellung in der Tate Modern sollte die Künstlerin kurz vor dem Abschluss ihres Werks vor internationalem Publikum krönen.

Yoko Ono (*1933)

Yoko Ono ist sicherlich die berühmteste unbekannte Künstlerin ihrer Generation. Bekannt ist sie vor allem als die bessere Hälfte von John Lennon. Fachkreisen allerdings ist sie als Mitbegründerin der internationalen Fluxus-Bewegung seit jeher ein Begriff. Denn Yoko Ono konnte Zeit ihres Lebens bedeutende Akzente in der Szene setzen – durch zahlreiche internationale Ausstellungen und Performances in großen Ausstellungshäusern dieser Welt. In Leipzig lief bis Mitte 2019 im Museum der bildenden Künste ihre bisher größte Retrospektive im deutschsprachigen Raum: „Peace is Power“, mit 70 Arbeiten auf 3700 Quadratmetern. Im Handel sind ihre Werke mittlerweile rar geworden. Hauptwerke gab es vor nicht einmal fünf Jahren im europäischen Auktionshandel noch zwischen 15.000 und 25.000 Euro zu kaufen. In Japan werden sie mittlerweile im sechsstelligen Bereich gehandelt, und auch der amerikanische Markt hat preislich stark angezogen. Auch ihre sagenhaften Zeichnungen zum „Franklin Summer“ sind im Handel binnen kurzer Zeit bereits auf 40.000 Euro geklettert. Entspannter sieht es noch bei den Multiples aus: Hier ist die Auswahl größer und ein moderater Einstieg noch möglich.

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