Ein neues digitales Werkverzeichnis macht sämtliche Gemälde von Max Beckmann zugänglich. Zeitgenössische Künstler wie Neo Rauch oder Armin Boehm haben uns erklärt, was sie an den Werken des Malers fasziniert
Von
20.01.2021
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Erschienen in
Weltkunst Nr. 179
Vier Jahre lang generierten die Kunsthistorikerin Anja Tiedemann und ihr Team über 11.000 Datensätze zu 843 Bildern. Mit der Freischaltung des digitalen Werkverzeichnisses am 15. Januar durch die Hamburger Kunsthalle ist jetzt ein Meilenstein in der Rezeption Max Beckmanns erreicht: Jeder kann nach Belieben unter der Adresse beckmann-gemaelde.org sämtliche Gemälde des Künstlers betrachten und über Links zusätzliche Informationen zu den Werken einholen. So öffnet sich der Kosmos Beckmann dem 21. Jahrhundert.
Ohnehin ist der Maler scheinbar gerade in aller Munde. Aktuell sind seine Werke im Städel Museum in der Ausstellung „Städels Beckmann, Beckmanns Städel. Die Jahre in Frankfurt“ zu sehen. Und auch die zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstler beschäftigt er. Wir haben uns von einigen erzählen lassen, was sie an seinen Werken spannend finden.
„Sein Schaffen wirkt deshalb so überwältigend, weil er der Nachtseite der menschlichen Existenz, der Sphäre des Traumes ein Vordringen tief in das Alltagsgeschehen hinein ermöglichte. Das, woran unser analytisches Besteck abgleitet, überführt in grandiose Malerei! Aktuell nicht zeitgemäß, aber alles überdauernd!“
„Etwas ‚Neues‘ kann nur aus einem wesentlichen Begreifen der Tradition, aus dem Gewesenen heraus entstehen. Mir ist das also nah. So sehe ich auch Beckmann immer wieder an. So ein Bild wie ‚Abfahrt‘ von 1932, dieses große Triptychon, wo von Mythen-Gestalten dieses Kind ans andere Ufer gebracht wird, mit sehr klarer Komposition gemalt, fast religiös, das hat mich zutiefst berührt. Vor einigen Jahren war ich in Paris im Centre Pompidou und habe die große Beckmann-Ausstellung gesehen. Ich stand vor diesem Bild und dieser Art, wie es gemacht ist, das war eine große Erschütterung. Ich weiß nicht, was es ist. Aber es ist das, was ich Macht oder Magie einer Malerei nenne.“
„Mein aktuelles Interesse an der Kunst von Max Beckmann hat mich auf das Thema des Lochs gebracht. Es ist ja bekannt, dass er 1915 einen Nervenzusammenbruch erlitt, während er als freiwilliger Sanitäter im Ersten Weltkrieg diente. Er war ein eifriger Briefeschreiber, doch nun hörte seine Korrespondenz abrupt auf. Diese anhaltende, gähnende Leere ist ein Spiegel des schwarzen Lochs, in das er versank. Mit diesem biografischen Detail im Hinterkopf findet man Löcher ab dieser Zeit überall in seinem Werk. Löcher, in die er misstrauisch hineinschaut, wie auf dem berühmten Selbstporträt mit Horn von 1938. Löcher in den Hörnern und Flöten, in offenen Flaschen, Grammofonen, runden Spiegeln, umgedrehten Hüten und in schwarzen, leeren Augen.
Und schauen Sie auf sein letztes Triptychon ‚Argonauten‘. Das sitzende Modell mit Schwert wendet sich von uns ab. Wir sehen ihr Gesicht nicht, aber ihr schwarzes Haar ist so eng zusammengeknotet, dass es wie ein Wurmloch erscheint, das uns aufsaugen könnte – fast schon eine Vorwegnahme von Kim Novaks Haar in Hitchcocks Meisterwerk ‚Vertigo‘. Über eine symbolische Artikulation des Traumas hinaus perforieren diese Löcher suggestiv die Oberflächen und erlauben ihnen auf seltsame Weise zu atmen, während sie uns auffordern, in die Tiefe der Bilder einzutauchen und die Dinge von der anderen Seite zu sehen.“
„Nur wenige Künstler haben mich inspiriert, aber Max Beckmann gehört dazu. Vor allem seine starken Konturen haben meine Kunst in den Achtzigerjahren beeinflusst.“
„Nachdem ich darüber nachgedacht habe, was ich zu Beckmann aus meiner Perspektive sagen könnte, fiel mir jedoch spontan nichts Explizites dazu ein, was von besonderem Interesse für den Leser sein könnte. Seine Biografie ist sehr interessant und fordert jede Menge Respekt ab, und seine allegorisch-expressionistischen Bilder haben durch ihre ganz spezielle Malerei eine große Wirkung und Anziehungskraft.“
„Die Zirkus- und Varieté-Bilder von Beckmann mag ich heute ganz besonders. Es sind Chroniken seiner Zeit, die mich selbst unter anderem zu meinen verwirrenden Gesellschaftsporträts inspiriert haben. Die chancenlosen kriminellen Außenseitertypen des Pariser Rotlichtmilieus im ‚Apachentanz‘, die grotesk geschminkten Seiltänzer und nicht zuletzt die Selbstbildnisse als Clown sind symbolische Randfiguren einer kriselnden Gesellschaft. Womöglich ahnte er, dass sich die freie und spielerische Gesellschaft der Weimarer Republik bald in ein totalitäres, mörderisches Kollektiv verwandeln würde, das auch ihn als angesagten Künstler zur Randfigur machen würde?
Beckmann war gewissermaßen mittendrin und doch nie ganz dabei. Kunstbewegungen lehnte er ab, die Berliner Secession verließ er, wie die Kubisten wollte er nicht malen, wie Matisse auch nicht. Und nach der Emigration in die USA wollte er auf keinen Fall der Abstraktion angehören. Er wollte eben lieber vieles NICHT sein. Obwohl man in seiner Zeit sehr gerne irgendwelchen ‚Bewegungen‘ und ‚Richtungen‘ angehörte.
Vielleicht mag ich diese Außenseiterbilder deshalb, weil es heute so verführerisch einfach geworden ist, sich selber ein Stück weit aufzulösen, indem man sich einer bestimmten Haltung oder sonst irgendeiner Zugehörigkeit anschließt. Ich bevorzuge in der Kunst eher das Solitäre, das Fluide, das Spielerische, die Geschmeidigkeit des Intellektes, der vage bleiben will. Und sicherlich hat Beckmann in einer Zeit gelebt in der es retrospektiv klug und friedlich war, NICHT dazuzugehören.“
„Einer der bedeutsamsten Maler des schreckvollen 20. Jahrhunderts: mystifizierend, kraftmeiernd – nur keine Auflösung –, stets seine Mittäter suchend, sonst ist alles sinnlos. Figurenfreiheit und Figurenzwang, Raumschachtelung und Raumfaltung. SPÄTGOTIK = Beckmann.“
„Max Beckmann war immer wichtig für mich. Die Kühnheit seiner Visionen und deren Umsetzung ist in der Kunst des 20. Jahrhunderts fast unübertroffen. Ich habe mir alles in seinem Werk genau angeschaut und bin von seinen Zeichnungen und Druckgrafiken genauso beeinflusst wie von seiner Malerei. Ich habe gehört, dass er eine Palette nur für seine schwarzen Farben hatte, das finde ich faszinierend. Schwarz ist die Farbe, die ich am meisten mit Beckmann assoziiere.“
„Ist jedes Bild bei Beckmann
ein Universum,
ein eigener Urknall,
der die schönste Schöpfungsgeschichte
immer wieder erzählt,
schafft er eine Parallelwelt,
die,
wenn man sie liebt,
schöner ist als die reale,
die uns umgibt,
liebt Beckmann
den Schöpfungsgedanken
und hilft so,
dem lieben Gott
die Welt neu zu erschaffen,
zwingt ihn,
Gott,
noch einmal über seine Schöpfung
nachzudenken.“
(aus: „Zwei Kerzen leuchten.
Für Max Beckmann“, 2006)
Städel Museum, Frankfurt am Main
„Städels Beckmann, Beckmanns Städel. Die Jahre in Frankfurt“
Verlängert bis 29. August 2021