Ein Gespräch mit dem Sammler und Kunsthändler Philipp Konzett über den umstrittenen Wiener Aktionskünstler Otto Muehl und dessen Zeit im Gefängnis
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29.01.2021
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Erschienen in
Kunst und Auktionen Nr. 2
Otto Muehls Biografie (1925–2013) ist komplex und skandalös. Bekannt wurde der vom Wiener Aktionismus der Sechzigerjahre geprägte Künstler zunächst durch seine Happenings. Sein Gesamtwerk umfasst aber viele Disziplinen: auch Fotografie, Film, Malerei, Plastik etc. In die Medien gelangte Muehl darüber hinaus als Begründer einer Kommune: In den Siebzigerjahren in der Wiener Praterstraße ins Leben gerufen, erlebte die sogenannte „Aktionsanalytische Organisation“ (AAO) im burgenländischen Friedrichshof ihre Blütezeit und war zuletzt auf der kanarischen Insel La Gomera angesiedelt. Dem Künstler sind aktuell zwei konzertierte Galerieausstellungen in Wien gewidmet: „Otto Muehl – CHANGE. Bilder der 80er Jahre“ bei Wienerroither & Kohlbacher im Palais Schönborn-Batthyány; und „Otto Muehl – Die Sünden der Väter“ in der Spiegelgasse 21 bei Philipp Konzett. Konzett ist der weltgrößte Sammler für Wiener Aktionismus.
Ich persönlich halte es mit der Devise: Was geht mich das Privatleben eines Künstlers an?! Ich verstehe natürlich die gesellschaftliche Distanz zu Otto Muehl, da er ja unter anderem wegen „Unzucht an Unmündigen“ verurteilt wurde. Aber nach meinem Rechtsverständnis war er gesellschaftlich rehabilitiert, nachdem er nahezu die gesamten sieben Jahre, zu denen er verurteilt wurde, abgesessen hatte. Zudem hat er an seinem 85. Geburtstag in einer schriftlichen Erklärung Reue und Mitgefühl für den lebenslangen Schaden gezeigt, den er angerichtet hatte. Aber sicher: Die Extreme eines schillernden Künstlerlebens – bis hin zum Mord, wie beispielsweise bei Caravaggio der Fall – geben einer Position auch Würze, stoßen gesellschaftliche Diskussionen an und wirken zum Teil polarisierend.
Nicht wirklich. Uns ging es darum, Muehls Werk in einer wichtigen Lebensphase kunsthistorisch zu beleuchten. Wir sind nicht dafür, seine künstlerische Leistung totzuschweigen. Wir strebten auf dem Weg dieser Doppelausstellung vielmehr den Diskurs mit einem Publikum an, das Muehl mit einer offenen, liberalen Geisteshaltung begegnen möchte. Anders also als vor 60 Jahren …
Am 7. Juni 1968 wohnten 500 Zuschauer der Performance „Kunst und Revolution“ von Otto Muehl, Günter Brus, Peter Weibel und Oswald Wiener in einem Hörsaal der Wiener Universität bei. Ein Künstler entblößte und ritzte sich, man urinierte in Gläser, beschmierte sich mit Schmutz und onanierte auf Österreichs Flagge. Während Brus die Nationalhymne sang, las man pornografische Texte vor. Der Frontalangriff auf die bürgerliche Gesellschaft, die damals von Gegenwartskunst ohnehin meist nicht viel hielt, brachte den Künstlern die erwünschte Bekanntheit. Ganz Wien ereiferte sich damals über die sogenannte „Uni-Ferkelei“. Was in den Wohnungen und Ateliers der Künstler begonnen hatte, wurde nun – Ende der Sechzigerjahre – auf die große Bühne gehoben und führte zum öffentlichen Tabubruch. Ganz bewusst suchte der Wiener Aktionismus in seiner heißen Phase von 1962 bis 1970 auch die Konfrontation mit der staatlichen und kirchlichen Autorität. Und der Staat antwortete auf die Uni-Performance mit Gefängnisstrafen für Muehl, Brus und Wiener. Übrigens war dieses Ereignis kunsthistorisch Österreichs einziger Beitrag zur 68er-Bewegung.
Muehl malte und zeichnete schon als Kind. Er half seinem Vater beim Entwerfen von Theaterplakaten, gab Gleichaltrigen Zeichenunterricht und klebte seine Werke immer wieder an sein Fenster. Später sprach er diesbezüglich von seinen „ersten Ausstellungen“. Was mit Aktionsmalerei und Materialbildern begann, mündete kunstgeschichtlich schon sehr früh in die „Zerstörung des Tafelbildes“. Zahlreiche Materialabstraktionen und Strukturstudien folgten. 1991 sollte diese überaus produktive Phase durch Muehls Haftantritt vorerst ein jähes Ende finden.
Nach den ersten Gefängnisbildern – quasi einer „Bestandsaufnahme“ seiner neuen Lebenslage – widmete er sich im Bewusstsein seiner Ohnmacht einer expressiven Malerei mit Affen, Porträts und skeletthaften Figuren, die für ihn eine neue Phase markierte. Nach 14 Monaten im Gefängnis, durfte Muehl dann von DIN-A4 auf größeres Malpapier im Format von 61 mal 86 Zentimetern wechseln. Die Kompositionen legte er fortan auch großzügiger an. Jetzt erschienen Hyänen, Bulldoggen, Raubkatzen und Pferde in seinen Bildern, mit denen er seine neue Situation – umgeben von „Handlangern der Justiz“ – kommentierte.
Anfang 1993 wurde Muehl aus dem Gefangenenhaus Eisenstadt in die Justizanstalt Stein nach Krems an der Donau verlegt. Dort „logierte“ er dann in der Mörderabteilung. Er hatte eine eigene Zelle und konnte während des Tages im Gefängnisatelier malen, zuerst noch mit Ölkreide, dann mit Acrylfarbe auf Karton. Mitgefangene bildeten dort Ikonen nach und benutzten hierzu goldene Folien, die bald auch in Muehls Bilder Einzug hielten. Als die Justizanstalt für das jährliche Fahnenfestival der Stadt bei Muehl drei Fahnen bestellte, kamen die Dinge für ihn endgültig wieder ins Rollen. Er bekam die Möglichkeit, auf Leinwand zu arbeiten. In dieser Zeit ging Muehl täglich zur Arbeit ins Atelier, malte fünf Tage die Woche, hatte sogar einen Assistenten.
Muehl bezog sich immer wieder auf seine Vorbilder und brachte sie zusammen: Hier die Farbe eines van Gogh, verbunden mit Gauguins südlichen Landschaften – Palmen, Stränden, rosa dunstigen Himmeln. Und auch immer mit dabei: die Figur der Frau mit ihren Lockattributen, picassoid geometrisch aufgefasst.
1996 wurde Muehl nach einer Augen- und Prostataoperation in die Justizanstalt Mittersteig nach Wien verlegt. Dort malte er in seiner Zelle, indem er sein Bett zur Malunterlage transformierte. So entstand beispielsweise die „Phettbergserie“, eine Persiflage auf die Jesusgeschichte. In der Hauptrolle: der provokative österreichische Schauspieler, Talkshowmoderator und Autor Hermes Phettberg.
Ab 1997 ließ er Wolfgang Schüssel, den damaligen österreichischen Vizekanzler, in seinen Werken auftreten – durch eine Penisnase zum „schwanzgesteuerten“ Primitivling mit Gamshut und Fliege mutiert. Der ÖVP-Politiker trägt auf Muehls Bildern oft ein blaues Jackett – der Künstler scheint hier bereits die Koalition mit der „blauen“ Rechtspartei FPÖ vorwegzunehmen, die Schüssel als Bundeskanzler ab 2000 einging. Ein „de sade“ betiteltes Gemälde zeigt Schüssel als grinsenden Täter, wie er die Dame „Österreich“ durchbohrt und darin seine Entladung findet. Die Frau nimmt eine Abwehrhaltung ein. Sie zeigt die bekannte „Stopphand“, ein Zeichen, das Muehl in vielen Gefängniswerken eingesetzt hat. Ein Marcel Duchamp-Zitat …
Irgendwann explodierten seine Kompositionen regelrecht: Man fühlt sich erinnert an das Attentat auf das World Trade Center vom 11. September 2001 in New York, das Muehl auch explizit dargestellt hat. In dieser Zeit tauchen auch die ersten Haifischbilder auf – heute sehr gefragte Werke. Wegweisend ist auch „Schwarzkoglers Last Slaughter“: Hier brennt Österreich. Wolfgang Schüssel, damaliger Bundeskanzler, Vertreter der konservativen Österreichischen Volkspartei ÖVP, ist mit seiner typischen kleinen runden Brille zu sehen. Er trägt wieder einen Trachtenhut, diesmal aber eine schwarze Soutane, die ihn mit der katholischen Kirche verbindet. Hierbei bezieht er sich auf einen Fenstersturz.
Österreich schmeißt seine Künstler aus dem Fenster. Man darf nicht vergessen, dass Muehl nach seinem Gefängnisaufenthalt zum Eigenschutz im Exil in Portugal lebte, dass zur selben Zeit in Österreich ein Prozess über zwei Instanzen lief, der die damals laufende Ausstellung seines Bildkomplexes „Apokalypse / Keinen Keks heute“ in der Wiener Secession am Ende verboten hat. Als Reaktion darauf hat Muehl dann auch am Tag, an dem er „Schwarzkoglers Last Slaughter“ signierte, eine Aktion veranstaltet, bei der Wolfgang-Schüssel-Porträts mit Eiern beworfen wurden.
1996 wurde Parkinson bei Muehl festgestellt. Ich sehe die Haifischbilder auch in Zusammenhang mit dieser Diagnose. Meiner Meinung nach war die Bewältigung des Haimotivs mit der Kontrolle über die Fläche verbunden – ein Ausgleich zur dahinschwindenden Selbstkontrolle im Alltag und damit auch eine Kampfansage an die Krankheit, deren Fortschreiten er mithilfe seiner Malerei verlangsamen konnte. Die eingeschränkte Bewegungsfreiheit – die Reduktion seiner physischen Aktivität – kompensierte er letztlich also auf der Bildfläche, Kunst und Leben verbindend.
2001 wurde Muehl in einer bedeutenden Ausstellungen im Pariser Louvre geadelt, mit Kunst von der Rennaissance bis zur Gegenwart. Dort wurde er zum bedeutendsten Künstler seines Jahrhunderts gekürt, wie Michelangelo für die Rennaissance oder Rembrandt für die flämische Malerei des 17. Jahrhunderts. Muehl war ein wichtiger Aktionist. Mit seinem Werk hat er so bedeutende Künstler wie Mike Kelley (1954–2012) und Paul McCarthy (*1945) wesentlich beeinflusst – Künstler, die sich auch später immer wieder auf ihn bezogen. Auch der Erfolg von Franz West (1947–2012) wäre ohne Muehl nicht denkbar gewesen. Martin Kippenberger (1953–1997) hat einmal gesagt: Peinlichkeit hat keine Grenzen. Damit meinte er: Ohne Peinlichkeiten zu erzeugen, würde man der Gesellschaft keinen Spiegel vorhalten können. Wie Muehl kam Kippenberger übrigens lange Zeit nicht in Museen vor …
Die internationalen Ausstellungen haben in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Es ist eine weltweite Aufmerksamkeit entstanden, durch die sich in den vergangenen fünf Jahren unter anderem so bedeutende Sammlungen wie das Museum der Moderne in Wien, das Pariser Centre Pompidou sowie das Getty Center in Los Angeles – das die gesamten Briefe Muehls aufkaufte und öffentlich zugänglich machte – mit dieser Position verstärkt haben. Aber auch Privatsammlungen – François Pinault in Paris, die Glenstone Collection bei Washington, die Spreegold Collection in Berlin oder Hauser & Wirth in St. Gallen – haben Werke Muehls angekauft. Hinzu kommt ein umfassender Research und die unermüdliche Arbeit des Estate unter der Leitung von Hubert Klocker.