Als „kleine Schwester der Bildhauerei“ steht die Medaillenkunst oft im Schatten der Kunstgeschichte. Doch für Sammler hält das Medium tiefe Einblicke in die Vergangenheit und unendliche Möglichkeiten parat – für jeden Geldbeutel
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27.01.2021
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WELTKUNST Nr. 179
Die meisten Medaillen tragen auf der Vorderseite ein Porträt. Das haben sie mit Münzen gemein, aber jeder Numismatiker kann im Schlaf aufsagen, was der Unterschied zwischen Münzen und Medaillen ist. Münzen sind Zahlungsmittel – Medaillen sind zwar ebenfalls meist aus Metall und rund, doch es sind Kunstwerke. Während Münzen klein und flach sind, damit man sie als Währung stapeln oder im Portemonnaie tragen kann, variieren Medaillen im Umfang. Sie können so klein wie ein Stecknadelkopf oder so groß wie ein Suppenteller sein, mit Reliefs von bis zu mehreren Zentimeter Tiefe. Das Material ist zwar meist Metall, doch gibt es auch Medaillen aus Stein, Holz, Elfenbein oder Porzellan. Naturgemäß wurden Medaillen in kleineren Auflagen hergestellt als Münzen.
Anders als die jahrtausendealten, auf der ganzen Welt verbreiteten Traditionen der Malerei und Bildhauerei ist die Medaille ein Medium, das erst mit der Renaissance in Europa geboren wurde und sich hier als Kunst entwickelt und verbreitet hat. Warum ausgerechnet in Europa? Auch deshalb, weil Medaillen den Kult des Individuums feiern.
Die miniaturhafte Gestalt von Medaillen wie auch Münzen bedingt, dass die Freude am Sammeln einen sehr privaten Charakter hat. Große Stücke sind vielleicht in Vitrinen ausgestellt oder an der Wand angebracht, doch typischerweise liegen Medaillen in flachen Schubladen eigens angefertigter Münzschränke oder -kästchen. Sie sind ein Faszinosum an sich und haben Höchstleistungen des Tischlerhandwerks motiviert. Das Aufziehen der Schubladen, das vorsichtige Herausnehmen der Medaille – Achtung, am besten fasst man sie nur am Rand an, um ihren Glanz oder die Patina nicht zu beeinträchtigen –, das Spüren ihres Gewichts, der Blick aus nächster Nähe auf kleinste Details, die Vertiefung in die Physiognomien, Inschriften, Symbolik, Wappen, ihre Geschichte, diese intimen Momente machen das Sammlerglück aus. Das wird Johann Wolfgang von Goethe ebenso verspürt haben wie Helmut Kohl, der ebenfalls ein leidenschaftlicher Medaillensammler war.
Das Wort „Medaille“ hat eine Reise vom lateinischen metallum über das italienische medaglia bis zum französischen médaille hinter sich, bevor es um 1600 im Deutschen gebräuchlich wurde. Zuvor war hierzulande die Bezeichnung „Conterfettmüntzen“ üblich, und Medailleure nannten sich „Conterfetter“, was die Nähe zur Porträtkunst unterstreicht. Auch heute noch werden die Wörter Schau- oder Denkmünzen synonym für Medaillen verwendet.
Zwar gab es schon in der römischen Kaiserzeit münzähnliche Stücke, die nicht als Währung dienten, doch die eigentliche Entstehung der Medaille fällt in die Zeit der Renaissance in Italien. Nach ersten Beispielen aus Padua 1390 brachte der berühmte Künstler Antonio Pisano, genannt Pisanello, in den 1440er-Jahren den Durchbruch für dieses genuine Renaissancemedium. Zu diesen frühen Medaillen gehört das Stück auf Cecilia Gonzaga von 1447. Auf der Vorderseite ist die junge Adlige im Profil zu sehen, während das Revers die Personifikation der Unschuld in einer mondbeschienenen Berglandschaft zeigt, bewacht von einem Einhorn. Daneben steht auf einem Pfeiler die stolze Signatur „Opus Pisani Pictoris“. Nur selten kommen berühmte Stücke wie dieses zur Auktion. Ein alter Guss kam vor zehn Jahren bei Baldwin in London zur Auktion und erzielte 55.000 Pfund. Ein weiteres frühes Exemplar befindet sich in der Samuel L. Kress Collection in der National Gallery in Washington, einer der weltweit bedeutendsten Medaillensammlungen.
Pisanello formte die Modelle für seine Medaillen für jede Seite einzeln aus Wachs. Bei dieser Technik werden die Wachsmodelle in Formsand gedrückt, sodass die beiden Seiten zusammen die Gussform ergeben. Durch Eingießen der heißen, flüssigen Bronze – seltener auch anderer Metalle – verflüssigt sich das Wachs. Die feinen Konturen werden nach dem Guss teilweise nachziseliert. Nach dem Prinzip der verlorenen Form gibt es auf diese Weise lediglich ein Original. Nachgüsse haben meistens eine minimal andere Größe, denn beim Verfertigen eines weiteren Abdrucks von der bestehenden Bronzemedaille ist die nächste Generation etwas kleiner, da sich die Bronze beim Erkalten zusammenzieht.
Pisanello signierte 24 Medaillen, und noch einmal halb so viele sind ihm mit Sicherheit zuzuschreiben. Die neue Kunstform begeisterte die Fürsten der Renaissance, die sich so ihren Nachruhm sichern konnten – im Vergleich mit Standbildern relativ günstig – und ihr Bildnis in großer Zahl verbreiten konnten. Ja, in diesen unruhigen Zeiten, so schreibt der Numismatiker Tyll Kroha, war diesen „tragbaren Denkmälern“ eine längere Lebensdauer beschieden als mancher Statue. Neben Pisanello zählen Matteo de’ Pasti, Niccolò Fiorentino und Sperandio um die Mitte des 15. Jahrhunderts zu den gefragten Medailleuren. Letzteren schätzte Goethe, der ein großer Liebhaber der Renaissancemedaille war, sogar mehr als alle anderen.
Galeazzo Mondella (1467–1529), genannt Moderno, schuf um 1500 eine große, einseitige Bronzemedaille von 106 Millimeter Durchmesser, die den Fall des Phaeton zeigt. Meisterhaft komponiert er die prallen Pferdeleiber in das runde Format und lässt den nackten, übermütigen Lenker des Sonnenwagens dramatisch kopfüber in den Tod stürzen. Das Londoner Auktionshaus Morton & Eden versteigerte das Stück im November. Es kletterte weit über die Schätzung von 5000 bis 7000 Pfund hinaus und wurde erst bei 40.000 Pfund zugeschlagen.
In Italien fiel die Technik des Medaillengusses im Lauf des 16. Jahrhunderts langsam aus der Mode. Doch der Übergang zu den Prägungen verlief fließend. Viele Medailleure haben im Cinquecento Stücke geprägt und andere gegossen. Für die Prägemedaillen dieser Zeit musste das Relief negativ in die eisernen Stempel geschnitten werden, was schwieriger als die Formung eines positiven Modells war. Mitunter wirken Kompositionen auf Medaillen des Cinquecento dadurch etwas steifer. In Deutschland trieb die Numismatik im 16. Jahrhundert mit rund 4000 verschiedenen Schaumünzen eine reiche Blüte. Zu den wichtigsten deutschen Medailleuren zählen Hans Krafft, Hans Schwarz, Friedrich Hagenauer, Christoph Weiditz und Hans Reinhart.
Sich mit Produkten auf zukünftige Ereignisse zu beziehen ist immer riskant. Das trifft nicht nur auf Zeitungen zu, die frühzeitig Wahlergebnisse verkünden, oder T-Shirts, die, bevor das letzte Tor gefallen ist, vermeintliche Weltmeisterschaften feiern, sondern auch auf Medaillen. Eine der prominentesten Schaumünzen der deutschen Renaissance ist ein solcher Fall. Schon bei der Kaiserkrönung des jungen Karl V. 1520 in Aachen wurde festgelegt, dass der erste Reichstag im nächsten Jahr in Nürnberg stattfinden sollte. Aus diesem Anlass ließ die Stadt nicht nur die Wände des Rathaussaals von Albrecht Dürer neu gestalten, sondern sie gab auch eine Medaille in Auftrag, die dem Kaiser in 100 silbernen Exemplaren überreicht werden sollte. Dürer entwarf die Medaille, und der Medailleur Hans Krafft d. Ä. schuf die Stempel dazu: Auf der Vorderseite ist Karl V. in vollem Ornat mit Kaiserkrone und dem Orden vom Goldenen Vlies an der Kette abgebildet, umringt von 14 gekrönten Wappen der zur spanischen Krone gehörenden Länder – in Fragen der Heraldik beriet sicher Willibald Pirckheimer seinen Freund Dürer. Krafft hatte ein Verfahren entwickelt, das Guss und Prägung verband. Damit der erforderliche Prägedruck nicht allzu hoch sein musste, goss er die Schrötlinge zuerst, und überprägte sie anschließend mithilfe von Pressen oder Schrauben. 167 Exemplare hatte er auf diese Weise schon fertiggestellt, als in Nürnberg die Pest ausbrach und der Reichstag nach Worms verlegt wurde. Bis auf wenige Stücke wurden alle wieder eingeschmolzen. Bei Künker kam eine dieser seltenen Silbermedaillen letztes Jahr zur Auktion und erzielte 260 000 Euro.
Eine der teuersten Medaillen aller Zeiten versteigerte das Schweizer Auktionshaus Numismatica Genevensis SA im Herbst 2019 für 800.000 Franken. Jacopo Nizzola (um 1515–1589) nannte sich nach seinem Geburtsort rund 20 Kilometer außerhalb von Mailand Jacopo da Trezzo. Er lernte das Gravieren, Bildhauerei und Architektur und arbeitete in Mailand, bis er an den Hof der Medici nach Florenz gerufen wurde, wo er auch Medaillen schuf. Sein Meisterwerk entstand im Dienst Philipps II.: die Goldmedaille auf Maria I. Tudor (Die Blutige), Königin von England und Irland. Auf der Brust der Fünfzehnjährigen ist wohl der berühmte Perlenanhänger dargestellt, den Philipp ihr 1554 zur Hochzeit schenkte. Das Bildnis erinnert an das Gemälde von Antonis Mor, das Vorbild für Jacopo da Trezzo gewesen sein könnte – vielleicht hatten die beiden Künstler aber auch gemeinsam die Ehre einer Porträtsitzung mit der Königin.
Auf der Medaillenrückseite werden all die Qualitäten gefeiert, die man sich von der Aussöhnung mit Rom erhoffte. Die thronende Personifikation des Friedens hält in einer Hand Palm- und Olivenzweige, in der anderen eine Fackel, mit der sie Kriegsgerät anzündet. Der Würfel zu ihren Füßen ist ein Symbol für Stabilität, die Waage steht für Gerechtigkeit. Über den Bittstellern auf der linken Seite regnet es noch, während die Sonne schon ihre warmen Strahlen in ihre Richtung ausstreckt. (Reality Check: Ihre unerbittliche Verfolgung der Protestanten brachte der Königin bald den Namen „Bloody Mary“ ein.) Nur ein einziges weiteres Exemplar der Medaille in Gold ist bekannt, es gehört dem British Museum in London. Der Bargello in Florenz besitzt ein Exemplar in Silber.
Im Lauf der Zeit wird die Medaille immer vielseitiger, was ihre Anlässe betrifft: Es gibt Gepräge auf Freundschaften, Hochzeiten, Taufen und Jubiläen, auf Hungersnöte, Wallfahrten, Kriegszüge und Friedensverträge. Zu Krönungen waren winzige, sogenannte Auswurfmedaillen beliebt, die in Menschenmengen geworfen wurden. Es gab Medaillen auf die Einweihung von Bauwerken, Brücken, Kanälen, Straßen oder Bergwerken. Auf einer besonders schönen Silbermedaille, die bei Gorny & Mosch 23.000 Euro eingespielt hat, zeigt Martin Heinrich Omeis den Bau des Aquädukts zur Wasserversorgung der St.-Anna-Grube unter Johann Georg II. von Sachsen 1690. Alexander VII. feierte Berninis Bau der Kolonnaden von St. Peter mit verschiedenen Prägungen. Die Ankunft eines Nashorns in Nürnberg 1748 war ebenso medaillenwürdig wie der Aufstieg von Blanchards Heißluftballon in Frankfurt 1785. Die Einführung von Impfungen wurde mit Medaillen verewigt, und Napoleon ließ Medaillen auf seine Eroberungen und Truppenbewegungen prägen, etwa den Einmarsch in Berlin, sowie auf Beutezüge, darunter eigens ein Stück auf die Ankunft der Venus Medici im Louvre. Nach dem Vorbild der Histoire Métallique des Sonnenkönigs ließ Napoleon seine zivilen und militärischen Erfolge unter der Leitung von Dominique-Vivant Denon in einer ganzen Suite von Medaillen verewigen. Auf der einen Seite dienten numismatische Erzeugnisse der Staatspropaganda, auf der anderen der Kritik an denselben Herrschern: Auf Spottmedaillen kann der Humor drastische Formen annehmen.
Im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts nimmt die Produktion, auch durch neue technische Möglichkeiten, rasant zu. Dank eines Verkleinerungsverfahrens können Künstlerinnen und Künstler ihre Modelle in größerem Maßstab anfertigen. Bald kam kaum ein Schützenfest ohne Medaille aus. Es ist ein Eldorado für Sammler: Auch schon für zweistellige Eurobeträge lassen sich ästhetisch ansprechende Stücke erwerben, wie kürzlich, um nur ein Beispiel von Tausenden zu nennen, bei der Westfälischen Auktionsgesellschaft die bronzene Preismedaille der Bezirkstierschau für Vorpommern, Rügen und Stralsund vom Mai 1925, auf deren Vorderseite in schönster Eintracht ein Hahn und eine Henne verewigt sind.
Nicht jede Medaille ist rund – besonders im 20. Jahrhundert verlassen Medaillen gern diese Grundform und nehmen jede Gestalt an, die nur ungefähr in einen Handteller passt. Im Barock wurde das Oval als Form für Medaillen populär. Manche dieser Bildnisse dienten sogenannten Gnadenpfennigen, Vorläufern der Verdienstorden, die Herrscher zum Beispiel als Auszeichnung an verdiente Alliierte übergaben. Ein solches Kleinod mit dem Porträt des Schwedenkönigs Gustav II. Adolfs wurde anlässlich seines Sieges über die kaiserlichen Truppen bei Breitenfeld (heute Stadtteil von Leipzig) 1631 geprägt und erzielte bei Künker 110.000 Euro. Es ist ein Unikum: Drei Goldketten befestigen das emaillierte, mit Blüten und einer Perle umkränzte Bildnis, an einem kunstvoll eingefassten Amethyst. Es handelt sich, laut Künker, um eines der prachtvollsten Kleinode, das jemals im Markt angeboten wurde und gehörte einst dem Großherzog von Oldenburg.
Die Rückseiten von Medaillen der Renaissance, des Barocks und des Klassizismus können herrlich verrätselt sein. Ihre Entschlüsselung trägt zum Spaß am Sammeln bei. Am 24. November versteigert AMS in Stuttgart eine unsignierte Silbermedaille von 1717, die zum Reformationsjubiläum geprägt wurde und auf 1500 Euro geschätzt ist. „Äußerst seltenes Prachtexemplar mit feiner Patina, fast Stempelglanz“, lautet die Zustandsbeschreibung im Katalog. Auf der Vorderseite ist das Brustbild des Herzogs und Kurfürsten Friedrich III. des Weisen im Harnisch mit Drahthaube zu sehen – hier vertieft sich die Kunst des 18. in die Mode des 16. Jahrhunderts. Auf der Rückseite ist der Traum abgebildet, den er in der Nacht vom 31. Oktober 1517 gehabt haben soll.
Um die Details zu sehen, lohnt es sich, die Medaille unter die Lupe zu nehmen: Links schreibt ein Mönch, gemeint ist Luther, mit einer sehr langen Feder auf die Tür der Schlosskirche. Die Feder ist so lang, dass sie bis nach Rom reicht und dort einem Löwen durchs Ohr sticht und dem Papst die Tiara vom Kopf stößt. Die Feder stammt von einer 100-jährigen Gans, deren Stärke nicht einmal dadurch hätte genommen werden können, dass man sie gebraten hätte, wie hier im Vordergrund dargestellt ist – all das auf einer Fläche von 44,5 Millimeter Umfang!
Für den 21. November, kurz nach Redaktionsschluss, hat das Zürcher Auktionshaus Nomos die Versteigerung eines ganz besonderen Stückes von 1783 angekündigt, das vor allem in den USA Sammler elektrisieren müsste und daher mit einer Schätzung von mindestens 100.000 Franken im Katalog steht. Es ist die erste amerikanische Medaille überhaupt, in Auftrag gegeben von keinem Geringeren als Benjamin Franklin, der damals amerikanischer Botschafter in Frankreich war und sich für die französische Unterstützung im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg bedankt. Auf der Vorderseite ist die Personifikation der Freiheit mit flatterndem Haar dargestellt. Auf der Rückseite sieht man Herkules als starkes Superbaby beim Erwürgen von zwei Schlangen – er symbolisiert die jungen Vereinigten Staaten –, während Minerva ihn beschützt. Die Göttin steht für Frankreich, wie die Lilien auf ihrem Schild verraten, und wehrt die angreifende Löwin ab, Symbol für Britannien. Darüber der lateinische Spruch „Dem mutigen Kind halfen die Götter.“
Wer den numismatischen Markt beobachtet, wird bemerken, dass russische Münzen immer wieder Preise in erstaunlicher Höhe erklimmen – 2019 war ein Lot von drei Platinmünzen des Jahres 1839 aus dem russischen Kaiserreich bei Künker einem russischen Sammler 750.000 Euro wert. Nicht nur Münzen, auch russische Medaillen erfreuen sich vor allem in ihrer Heimat großer Beliebtheit. Die Goldmedaille zu 48 Dukaten zeigt das Porträt des Zaren Alexander I. mit der Jahresangabe 1814, dem Jahr des Einzugs der Alliierten in Paris, auf der Rückseite ein Altar mit den russischen Reichsinsignien Krone, Zepter und Reichsapfel auf einem Kissen und erzielte, ebenfalls bei Künker, 175.000 Euro. Das Stück ist schon deshalb besonders außergewöhnlich, weil die Zarin Maria Feodorowna, die Mutter Alexanders I., sich hier selbst als Medailleurin betätigt hat. Sie hat in kleinen Buchstaben unter der Bodenlinie des Altars ihren Namen signiert.
Geboren als Sophia Dorothea Augusta Luisa von Württemberg, war die Regentin den Künsten sehr zugetan, malte Aquarelle, widmete sich der Musik, der Literatur und dem Gartenbau, entwarf Gemmen und andere Schmuckstücke und schnitt und gravierte selbst Edelsteine und Medaillenstempel. Gelernt hat sie die Medaillenkunst von Carl von Leberecht, der seit 1776 als Medailleur am russischen Münzhof tätig war, und es ist bekannt, dass sie sich später in Pawlowsk eine Werkstatt einrichtete. Der Auktionskatalog erwähnt auch, dass sie 1818 in Anwesenheit des preußischen Königs Friedrich Wilhelm III. zum ordentlichen und Ehrenmitglied der Preußischen Akademie der Künste ernannt wurde. Ihr Aufnahmestück: die Medaille, die sie für ihren Sohn anlässlich seines Einzugs in Paris geschaffen hatte. Kurz vor ihrem Tod 1828 erlebte sie noch mit, dass Naglers Neues allgemeines Künstler-Lexikon ihr einen Eintrag widmete.
Die Medaille sei, schreibt Tyll Kroha, ein konservatives Kunstobjekt: „Ihr Sinn ist es, Denkmal zu sein, Abbild und Sinnbild realer Dinge.“ Deshalb tut sich die Medaillenkunst im Kanon der zeitgenössischen Kunst heute schwer, aber es gibt sie nach wie vor: Marcel Duchamp goss mit Blei einen Abflussstöpsel für seine Dusche in Cadaqués und kreierte später daraus ein medaillenähnliches Multiple in Gold, Silber, Bronze und Stahl.
Der Bedarf an traditionellen Bildnismedaillen besteht auch im 20. und 21. Jahrhundert noch, man denke an Albert de Jaeger oder Giacomo Manzù. Johannes Grützke gestaltete im Jahr 2006 die James-Simon-Medaille, die alle zwei Jahre an Personen verliehen wird, die sich sozial oder kulturell in Deutschland engagieren. Die meisten Medaillenliebhaber stecken ihrem Gebiet auf die ein oder andere Art Grenzen. Naheliegend sind geografische Grenzen: Sie konzentrieren sich zum Beispiel je nach Vorliebe nur auf badische Stücke oder solche aus Frankfurt am Main. Andere richten ihre Sammlung nach historischen Ereignissen aus, etwa der Reformation oder dem Dreißigjährigen Krieg, nach historischen Persönlichkeiten wie Katharina der Großen oder ganzen Dynastien wie den Habsburgern.
Auch Künstler können eine Sammlung definieren. Es ist leider ein aussichtsloses Unterfangen, auf originale Stücke von Pisanello zu hoffen, aber es ist nicht ehrenrührig, galvanoplastische Nachbildungen berühmter Renaissancemedaillen zu sammeln – auch diese können schon 200 Jahre alt sein und vermitteln einen guten Eindruck von den echten Stücken. Kopien und Fälschungen, wenn nur genug Jahrhunderte ins Land gegangen sind, können ihren eigenen Reiz ausüben, aber natürlich möchte man als Sammler wissen, woran man ist. Im Cinquecento entstanden Fälschungen antik-römischer Münzen (sowohl als Kopien von Sesterzen als auch frei erfunden), die heute als sogenannte „Paduaner“ ein eigenes Sammelgebiet sind. Wenn Sie das Alter der Medaille betreffend Zweifel haben, wenden Sie sich an einen Händler Ihres Vertrauens. Die jahrelange Beschäftigung mit der Materie, die Erfahrung in der Begutachtung der Oberflächen, der Patina, dem Gewicht und der Vergleich mit ähnlichen Stücken lässt sich nicht auf die Schnelle nachholen.
Es ist zwar fast unmöglich, heute noch einen originalen Guss von Pisanello zu erwerben, aber wer seinen Sammlerblick auf einzelne Künstlerpersönlichkeiten richtet, hat – teils für dreistellige Preise – eine riesige Auswahl an erstklassigen Medailleuren. Da wäre zum Beispiel der Dortmunder Bildhauer Benno Elkan (1877–1960), der Deutschland wegen seines jüdischen Glaubens 1933 verlassen musste und sich in London niederließ. Seine Gussmedaille auf Friedrich Ebert ist bedeutend, und er schuf in diesem Medium bezaubernde Kinderbildnisse.
Die im Jahr 1929 in Celle geborene Medailleurin Heide Dobberkau wurde kürzlich in einer Ausstellung des Berliner Münzkabinetts im Bode-Museum einem breiteren Publikum vorgestellt. Ihre konzentrierten Darstellungen von Pferden, Ziegen, Eulen oder Schwalben sind von einer großen Eindringlichkeit und Ästhetik. Ja, sogar eine Medaille mit der Abbildung eines toten Insekts kann bei ihr zur überzeitlichen Meditation über die Flüchtigkeit allen Lebens werden.
Beim Sammeln kann man sich einer Stilrichtung verschreiben, wie der niederländischen Renaissance, der italienischen Barockmedaille oder französischen Prägungen des Art déco. Ausgesprochen beliebt ist das Sammeln nach Motiven. Da besonders oft Mediziner dem Medaillenvirus erliegen, gibt es erstaunlich viele Sammlungen zum Thema „Medicina in Nummis“, etwa mit den Porträts von Ärzten und Apothekern, oder Impfmedaillen. Unter das gefragte Thema Judaika fallen zum Beispiel die Bildnisse bedeutender jüdischer Persönlichkeiten, Stücke auf politische Schritte in Richtung Emanzipation oder die Darstellung von Synagogen auf Medaillen. Als Motive sind auch Musik, Architektur, Eisenbahnen, Astronomie oder Tiere beliebt: Dieter Raab, einst Besitzer der altehrwürdigen Frankfurter Münzhandlung Busso Peus, hat seinen Namen zum Anlass genommen, eine kleine numismatische Sammlung mit der Darstellung von Raben anzulegen.
Beim Kauf ist der tadellose Zustand der Medaille wichtig. Kratzer oder andere Beschädigungen beeinträchtigen den Wert erheblich. Patina reagiert auf die Säure unserer Finger, daher darf man Medaillen und Münzen nur am Rand anfassen. Größte Vorsicht ist beim Reinigen angebracht. Stücke aus Bronze, Kupfer oder Blei kann man mithilfe eines weichen Pinsels in einer warmen Seifenlösung abwaschen. Die manchmal bläuliche oder bräunliche Patina auf Silber sollte man nicht als störend empfinden und nur entfernen, wenn sie mit Schmutz vermischt dick aufliegt – hier kann man der Seifenlauge etwas Salmiakgeist hinzufügen, und dem zurückbleibenden Schwefelsilber mit einem Silbertauchbad zu Leibe rücken. Im Zweifel lieber einen Metallrestaurator hinzuziehen!
Die ersten Medaillen einer Sammlung kann man auf kleinen Ständern präsentieren oder in Vitrinen legen, aber spätestens wenn ihre Zahl zunimmt, ist die Anschaffung eines Münzschranks zu empfehlen. Damit auch Stücke mit höherem Relief und größerem Gewicht darin Platz finden können, dürfen seine Schubladen nicht zu flach sein. Bis ins 19. Jahrhundert gab es spezielle, massiv gebaute Medaillenschränke, die man mit etwas Glück im Antiquitätenhandel finden kann.
Gewissenhafte Sammler dokumentieren ihre Stücke. Die meisten Numismatiker beschriften kleine quadratische Karten – manche sind personalisiert wie Ex Libris –, die sie direkt unter die betreffende Münze oder Medaille legen, mit den Daten zu den Künstlern, dargestellten Persönlichkeiten, der Provenienz des Stücks, Gewicht, Größe und Preis, wobei dieser gern verschlüsselt wird. Vielleicht haben Sie das Glück, mit einer Medaille auch die Aufzeichnungen ihres Vorbesitzers zu erwerben: Gute Provenienzen können den Wert ebenso steigern wie den Kunstgenuss.
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