Chinesische Ru-Keramik gilt als das Schönste, was jemals getöpfert und glasiert wurde. Die raren Stücke erzielen auf dem Markt zweistellige Millionenbeträge, auch deshalb sorgte der Fund in der Dresdner Porzellansammlung kürzlich weltweit für Aufsehen
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26.02.2021
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Erschienen in
Kunst und Auktionen Nr. 3
Die Porzellansammlung in den Dresdner Museen hat einen ziemlich spektakulären Fund sozusagen auf dem eigenen Dachboden gemacht. 93 Jahre fristete ein kleines, flaches Schälchen, das ein Dieb bequem in seine Hosentasche hätte stecken können – falls er daran interessiert gewesen wäre –, sein Aschenputteldasein im Magazin. Jetzt strahlt die Schönheit in bläulichem Grün, und alle verneigen sich vor ihr. Dresden war seit jeher, nein: ist in Wirklichkeit erst seit vorvergangener Woche im Besitz eines Exemplars des seltensten und deswegen auch wertvollsten chinesischen Keramiktypus: Ru.
Ru-Keramik ist seit vielen Jahrhunderten eine Legende in China, die wahrscheinlich schönste Ware, die jemals getöpfert und glasiert wurde. Bis heute wirkt sie auf Sammler wie eine Art Psychodroge, denn nicht einmal 100 Objekte sind weltweit als echt anerkannt. Ru-Ware spricht nicht nur den chinesischen Schönheitssinn in besonderer Weise an, es umflort sie auch der Nimbus imperialer Herkunft, der Mythos verloren gegangener Größe. Jedes neue Exemplar gilt in chinesischen Augen als Zeichen der Wiedergewinnung dieser großen Kultur. Das Dresdner Stück ist das erste und einzige in Deutschland.
Ru-Ware stammt aus den Öfen von Ruzhou in Henan, Nordchina, und wurde am Übergang vom 11. zum 12. Jahrhundert nur in einem Zeitraum von etwa 20 Jahren hergestellt. Damals hatte sich ein Kaiser der Song-Dynastie (960 – 1279) darüber geärgert, dass sein bisheriges Geschirr aus den Ding-Öfen – elfenbeinzart und ebenfalls wunderschön – im Gebrauch anstrengend ausfiel, weil es mit unglasierten Rändern versehen war. Der Auftrag, kaiserliche Gebrauchsware herzustellen, wurde also neu ausgeschrieben, wie man heute sagen würde. Was der Kaiser dann erhielt, bestand aus Schalen, Flaschen, Tabletts oder Pinselwaschgefäßen von nie gesehener Vollkommenheit: schlicht in der Form, perfekt getöpfert, sorgsam glasiert und mit allerhöchster Sorgfalt doppelt gebrannt, farblich von einem opaken Babyblau bis zu einem glasigen, herben Grün reichend.
Das Dresdner Schälchen gehört in die grünliche Variante und war einst ein Pinselwascher. Es ähnelt sehr dem letzten, im Oktober 2017 bei Sotheby’s in Hongkong für umgerechnet 37,7 Millionen Dollar verkauften Exemplar. Auch seine Besonderheit besteht in dem feinen Craquelé, das der Glasur eine erstaunliche Tiefe verleiht und aussieht, als hätten sich klitzekleine Eisschollen übereinander geschoben. Der kaiserliche Haushalt fand Gefallen an diesen absichtlich erzeugten Haarrissen, und als er 1126 vor den eindringenden Dschurdschen nach Süden fliehen musste, mit ihm Künstler und Handwerker, erhielt sich die Mode. Großer Aufwand wurde in der Zeit der „Südlichen Song“ betrieben, ähnliche Glasurmuster aus Rissen und Knacksen zu erfinden.
Vor etwa sechs Jahren besichtigte ein Kurator des Palastmuseums aus Peking die Dresdner Bestände und stolperte über das Stück. Der vormalige Direktor der Porzellansammlungen Ernst Zimmermann hatte es 1927 von dem bekannten Sammler Oscar Rücker-Embden angekauft. Es galt seitdem als Beispiel koreanischer Goryo-Keramik, denn in Korea war man von der Ru-Ware so begeistert gewesen, dass man sie seit dem 13. Jahrhundert wieder und wieder nachahmte.
Rücker-Embden hatte kurz vor dem Ersten Weltkrieg als Versicherungsmediziner in China gearbeitet und dort eine bedeutende Sammlung älterer chinesischer Keramik zusammengetragen. In den Zwanzigern musste Rücker-Embden viele Stücke verkaufen, aber er war daran interessiert, dass der Kern seiner Sammlung in ein deutsches Museum gelangte. Mehr als diesen Ankauf von 1927 kann die Provenienzgeschichte des Objekts allerdings auch nicht erzählen.
So richtig passte der Bestand älterer chinesischer Keramiken nie in das Profil der Dresdner Sammlung. Deren Schwerpunkt liegt in den Erwerbungen August des Starken, also in den Porzellanen des 17. und 18. Jahrhunderts. Folglich ist er auch niemals ausgestellt worden. Anfang 2020 bekam dann Regina Krahl das Stück zu Gesicht. Krahl, die viele Jahre als Beraterin von Sotheby’s arbeitete, gilt als die beste Kennerin song- und yuanzeitlicher Keramik in Europa. Sie bestätigte ein paar Monate später die Echtheit des Stücks, ebenso Experten des Palastmuseums. Nun soll es einen entsprechend prominenten Platz im Neuen Grünen Gewölbe finden. Leider wird es dann nur ein Kunstkammerobjekt sein und nicht im historischen Zusammenhang präsentiert werden.
Weltweit waren bisher 87 Ru-Stücke als authentisch identifiziert – jetzt kommt die Nummer 88 hinzu, nicht gerechnet all jene, die ihrer Entdeckung noch harren. Bis auf drei in privatem Besitz befinden sich derzeit alle Exemplare in Museen, vor allem in Peking und in Taipeh. Liebhaber mussten bisher nach Kopenhagen oder nach Zürich fahren, um ein Stück Ru-Ware zu betrachten. Ganz sicher wird der Fund Debatten über seine Echtheit und Herkunft auslösen. Der sächsische Tourismus kann sich aber in jedem Fall freuen. Dresden liegt ohnehin auf der Pflichtroute chinesischer Reisender. Nun gibt es für sie einen Grund mehr, dorthin zu fahren.