Von Braunschweig über Amerika nach Berlin: Die Geschichte des Welfenschatzes ist noch lange nicht zu Ende. Seit zwölf Jahren fordern die Erben jüdischer Kunsthändler die Rückgabe der kostbaren Goldschmiedewerke, doch jetzt hat sich der Supreme Court in Washington als nicht zuständig erklärt
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20.02.2021
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Erschienen in
Weltkunst Nr. 82
Einen Tempel aus Gold ließ der Herzog für einige besonders kostbare Reliquien errichten, die er aus Konstantinopel und dem Heiligen Land mitgebracht hatte. Das Haupt des Kirchenvaters Gregor von Nazianz soll darin gewesen sein, so steht es in einem Schatzverzeichnis von 1482. Es ist ein schimmerndes Gebäude, 50 Zentimeter hoch, wie das Modell einer realen Architektur, die es um 1175/80 im Westen nicht gab, allenfalls im fernen Byzanz mit seinen kreuzförmigen Zentralbauten. So muss das Reliquiar für die damaligen Zeitgenossen exotisch und dadurch noch kostbarer gewirkt haben: mit den antikischen Säulenarkaden, die das Gehäuse umrunden, darüber Giebel wie griechische Tempelfronten, verziert mit goldenem Akanthus. Die Dächer sind von feinen Emailflächen bedeckt, die runde Tambourzone darauf ist ebenfalls von Arkaturen gesäumt und – der Clou des Ganzen – von einer floral emaillierten Kuppel bedeckt, deren Kompartimente sich blähen wie ein Schirm im Wind.
In allen Bogennischen stehen heilige Figuren aus Walrosszahn: unten die Propheten mit einer Kreuzigung in der Mitte, oben Jesus und die zwölf Apostel. Ein „typologisches“ Programm also, in dem das Geschehen des Alten Testaments auf das Neue Testament hinweist: der neue Bund des Christentums festigt den alten. Im Welfenschatz ist das Kuppelreliquiar das berühmteste und wertvollste Stück, wenn hier solch eine marktgängige Hierarchie überhaupt angebracht ist. Das ganze 44-teilige Ensemble ist für Mittelalterliebhaber ein Pilgerziel im Berliner Kunstgewerbemuseum, denn in keiner anderen öffentlichen Galerie haben sich so viele Teile eines Kirchenschatzes erhalten.
Den Welfennamen trägt der Schatz zu Recht, denn er ist unlösbar mit der Geschichte dieser uralten Fürstendynastie verbunden, die von den Anfängen als frankische Adelsfamilie bei Metz über Schwaben, Burgund und schließlich nach Sachsen reicht, das zum Stammland wurde. Von 1714 bis 1837 waren die Welfenherzöge von Hannover sogar in Personalunion englische Könige, danach verlief die Historie weniger glückvoll. Denn 1866 eroberte Preußen das mittlerweile zum Königreich gewordene Hannover und verleibte es sich brutal ein. Die Welfen mussten das Land verlassen, verloren große Teile ihres Vermögens, das in Bismarcks „Reptilienfonds“ landete.
Das alles hat auch mit dem Welfenschatz zu tun, der damals Privateigentum der Könige war und mit ihnen ins Exil gingen. Am Ende diente er dazu, die Finanzengpässe zu lindern, die noch Spätwirkung der preußischen Usurpation war. Die Welfen haben ja die deutschen im 20. Jahrhundert mehrfach damit aufgestört, dass sie legendäre Kunstwerke verkauften und dadurch historisch gewachsene Ensembles auflösten: 1929 der Welfenschatz, 1983 das Evangeliar Heinrichs des Löwen, zuletzt das komplett erhaltene Inventar der Marienburg bei Hannover, das 2005 für 44 Millionen Euro versteigert wurde.
Im Fall des Welfenschatzes hat der Verkauf seit Jahren ein Nachspiel, das seine Präsenz in Berlin radikal in Frage stellt und jetzt sogar bis vor den Supreme Court in Washington ging. Der Staat Preußen habe den Schatz ihren Großvätern unrechtmäßig und sittenwidrig abgepresst, behaupten die Nachfahren von vier jüdischen Kunsthändlern. Schon 2008 reichten sie ihren Rückgabeanspruch bei der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) in Berlin ein. Nicht nur unter Berliner Museumsleuten und Kunstfreunden war damals der Schock groß.
Der Welfenschatz soll NS-Raubgut sein? Könnte er in letzter Konsequenz tatsächlich zurückgegeben werden und im Mittelaltersaal des Kunstgewerbemuseums eine gähnende Leere hinterlassen? Eine spektakuläre Versteigerung bei Sotheby’s oder Christie’s, die unweigerlich die Zerstreuung in alle Welt zur Folge hätte? Niemand kann sich das so recht vorstellen, denn diese Restitution würde die Dimension aller anderen Fälle seit 1998 sprengen, als die längst legendäre Washingtoner Konferenz die verdrängte Geschichte des NS-Kunstraubs neu aufrollte, eine Flut von Rückgabebegehren in aller Welt auslöste und vielen jüdischen Familien endlich zu ihrem Recht verhalf.
In der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Trägerin der Staatlichen Museen in Berlin, war man schon deshalb so entsetzt, da man die Erwerbsgeschichte genau zu kennen glaubte. Bis in Details war der Ankauf von 1935 bekannt und in Publikationen veröffentlicht. Ist damals nicht die enorme Summe von 4,25 Millionen Reichsmark gezahlt worden? In den letzten Jahren änderte sich nicht die Faktenlage nicht wesentlich, aber sehr wohl die Sicht auf die Dinge. Alle Geschäfte, die Juden nach 1933 machten, sind grundsätzlich verdächtig, unter Zwang geschehen zu sein und irgendwie mit der zunehmenden Ausgrenzung und Entrechtung zu tun zu haben, was bald in Beraubung, Vertreibung und Ermordung mündete. Zu Recht, denn „NS-verfolgungsbedingter Entzug“ ist mehr als nur brutale Beraubung durch die Gestapo, da gab es viele andere zynische Methoden und die Fantasie der Machthaber war grenzenlos.
Was ist im „Dritten Reich“ mit dem Welfenschatz geschehen? Es ist eine komplizierte Geschichte, bei der es auf jedes Detail ankommt. Herzog Ernst August von Braunschweig-Lüneburg, der letzte regierende Welfe, der kurz vor dem Ersten Weltkrieg aus dem österreichischen Exil ins Stammland um Hannover zurückgekommen war und 1918 in der Revolution abdanken musste, entschloss sich 1928, die damals noch 82 Reliquiare aus dem Braunschweiger Blasiusstift zu verkaufen. Ein Wiener Kunsthändler sollte ihn für 8 bis 10 Dollar (das waren über 30 Millionen Reichsmark) in den USA anbieten. Das funktionierte nicht, weil in Amerika bereits die Finanzkrise ihre Kreise zog.
In ganz Deutschland, vor allem in Niedersachsen und Berlin, erhoben sich die Stimmen, diesen einmaligen Schatz im Land zu halten. Der Oberbürgermeister von Hannover dachte sich waghalsige Konstruktionen aus, um das Geschäft zu realisieren, doch vom preußischen Ministerpräsident Otto Braun kam schließlich eine brüske Absage: Das gebe die Finanzlage derzeit nicht her. Otto von Falke, Direktor des Berliner Schlossmuseums und Experte für mittelalterliche Goldschmiedekunst, taxierte den Wert der 82 Reliquiare auf 14 bis 16 Reichsmark und hielt einen tatsächlichen Verkaufspreis von 8 Millionen (davon 4 Millionen allein für das Kuppelreliquiar) realistisch. Genau diese Summe bot Anfang Oktober 1929 ein Konsortium aus vier Frankfurter Kunsthändlern, es waren die Firmen Hackenbroch, Rosenbaum & Rosenberg und Goldschmidt.
Wenige Wochen später, am 25. Oktober, löste der „Schwarze Freitag“ an der New Yorker Börse die Weltwirtschaftskrise aus. Die fieberhaften Forschungen zum Welfenschatz seit dem Restitutionsbegehren brachten den Kaufvertrag der Kunsthändler mit dem Welfenhaus an Tageslicht. Statt 8 Millionen flossen tatsächlich 7,5 Millionen Reichsmark an den Herzog. Für das Konsortium erwies sich das Geschäft rasch als es ein hochriskantes Unterfangen, denn der baldige Weiterverkauf, um den es erklärtermaßen ging, wurde durch die ausgebrochene Wirtschaftskrise immer schwieriger. Das Deutsche Reich mauerte nach wie vor, so schickten die Händler den Schatz nach einer vielbeachteten Ausstellung im Frankfurter Städel Ende 1930 auf eine Verkaufstour durch Amerika. 38 Stücke konnten an verschiedene Museen und Privatsammler abgesetzt werden, allein das Museum in Cleveland erwarb neun Reliquiare. Andere gingen nach Philadelphia, Cambridge oder Chicago. Umgerechnet rund 2,5 Millionen Reichsmark erzielten die Händler in den USA.
Doch das Konsortium war nach wie vor unter Druck. Man hatte hohe Kredite für das Geschäft aufgenommen. Erst vor einige Jahre tauchte der Wiesbadener Juwelier und Kunsthändler Hermann Netter in den Akten auf; er hatte 25 Prozent des Kapitals zur Verfügung gestellt. In einer Notiz ist die Rede davon, dass es noch weitere stille Teilhaber gab. Schon vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten waren die Händler wegen des Welfenschatzes unter großem Druck. Doch ab 1933 verschärfte sich für sie die Situation. Rasant schnürte ihnen das Regime die Geschäftsmöglichkeiten ein. Überall in der Kunstwelt wurden Juden durch stramme Nazis ersetzt, das verschlimmerte die Situation noch. Rosenbaum & Rosenberg gingen schon 1934 in Liquidation, die beiden Partner emigrierten. Herbert Bier, der Teilhaber der Kunsthandlung Hackenbroch, wurde 1935 von der Reichskulturkammer zum Aufhören gezwungen. Über die Jahre mussten alle Familien des Konsortiums das Land verlassen.
Markus Stötzel, der deutsche Anwalt der Erben, hat Recht, wenn er diese Umstände nachdrücklich betont. Und trotzdem ist es erstaunlich, wie „normal“ – gab es überhaupt noch Normalität für Juden? – 1935 der Ankauf der verbliebenen 42 Reliquiare durch den Preußischen Staat verlief. Die Dresdner Bank führte die Verhandlungen; in deren Archiv haben sich Akten erhalten, die das Geschäft detailreich beleuchten. So weiß man, dass die Konsorten eine Preisvorstellung von 5 Millionen Reichsmark hatten, während die Käuferseite die Summe auf 3,5 Millionen drücken wollte. Am Ende einigte man sich auf 4,25 Millionen. Zwei weitere kleine Objekte, die danach aus den Auslandsverkäufen zurück kamen, tauschte Saemy Rosenberg 1937 und 1939 gegen Exponate des Schlossmuseums, wo der Welfenschatz nun aufbewahrt wurde.
Wichtig zur Beurteilung, ob sich um einen verfolgungsbedingten Entzug handelt: Die Gelder wurden tatsächlich überwiesen und die vier Händler konnten sie in vollem Umfang nutzen. Um für diejenigen Konsorten, die schon im Ausland lebten, die Devisenbestimmungen zu umgehen, überließ man ihnen zwanzig bedeutende Kunstwerke aus den Berliner Museen zum Weiterverkauf. Dadurch dass der Schatz in Amsterdam lagerte, gab es keine Handhabe, die Herausgabe durch eine perfide Methode (da waren die Nazis erfinderisch) zu erzwingen. Man hat den jüdischen Händlern nichts geschenkt, aber von auch diesen selbst gab es nach dem Krieg keine Aussage, dass ihnen die Reliquiare abgepresst worden seien.
Doch verrennt man sich durch solche Überlegungen nicht schon? Natürlich stand für deutsche Juden seit 1933 jedes Geschäft unter einem bösen Schatten. Selbst wenn es wie im Fall des Welfenschatzes nach heutigen Maßstäben wie ein gängiges Kunstgeschäft aussieht: Angebot und Gegengebot, Tricksen und Bluffen, am Ende eine Einigung, die dem Konsortium mit dem amerikanischen Erlös 90 Prozent der ursprünglichen Kaufsumme einspielte. Zehn Prozent Verlust vor dem Hintergrund der Weltwirtschaftskrise, der hochriskanten Geschäftsidee – geschähe das heute, würde man sagen: Sie sind mit einem blauen Auge davongekommen. Aber ist eine solche Überlegung für Juden im Deutschland des Jahres überhaupt angemessen? Ob der Preis angemessen war, einer der Hauptstreitpunkte in dem Restitutionsfall: Wer will das heute mit gutem Gewissen entscheiden?
Ratlos sucht man Halt in der Geschichte der Objekte. Etwa beim herrlichen Kuppelreliquiar. Zwar gibt es keine Stifterinschrift und auch keine mittelalterliche Quelle dazu, aber wer sonst als Heinrich der Löwe soll den goldgleißenden Miniaturtempel in Auftrag gegeben haben? Mit 500 Panzerreitern hatte sich der Herzog von Sachsen und Bayern 1172 zu einer zwölfmonatigen Pilgerfahrt zu den Geburts- und Passionsstätten Jesu aufgemacht. Das demonstrierte vor aller Öffentlichkeit seine Frömmigkeit, steigerte das Prestige unter den Reichsfürsten und war wohl auch ein persönliches Bedürfnis.
Die Reise ins Heilige Land ging über Konstantinopel, wo der byzantinische Kaiser Manuel I. den Herzog aus dem fernen Norden wie einen König empfing, seine Ritter mit Seidenstoffen beschenkte und Heinrich zahlreiche Körperteile von Märtyrern, aber auch Partikel vom Kreuz Christi überließ. Allein mehrere Armknochen von Aposteln brachte Heinrich mit. Sie alle überließ er nach der Rückkehr in die Heimat dem Kollegiatstift auf der Familienburg Dankwarderode in Braunschweig und gab kostbare Goldgefäße für sie in Auftrag. Nur zwei von ihnen verweisen in einer Inschrift auf den Stifter: „Dux Heinricus“. Noch im Jahr 1173 ließ der Herzog das Gotteshaus, eine Gründung seiner Vorfahrin Gertrud, abreißen und als gewaltige Gewölbebasilika neu errichten. Zum neuen Kirchenpatron erhob Heinrich den armenischen Märtyrer Blasius.
Bis heute verkörpert der strenge romanische Dom – was er eigentlich erst seit der Reformation ist – den Aufstieg und den tiefen Fall eines der faszinierendsten Herrscher des Mittelalters. Schon die Zeitgenossen gaben Heinrich wegen seiner Machtfülle und seiner Durchsetzungskraft den Beinamen des Löwen. Für alle sichtbar, ließ er um 1170 in seiner Braunschweiger Hauptresidenz, auf einem hohen Sockel zwischen Kirche und dem Burgpalas, einen Löwen aus Bronze aufstellen. So demonstrierte man damals weltliche Macht, während Heinrich genau in dieser Zeit, um 1175/80, das berühmte Kuppelreliquiar und andere Preziosen für den Reliquienschatz der emporwachsenden Blasiusstiftskirche in Auftrag gab und damit seine Gottesfürchtigkeit demonstrierte. Eigentlich gehörte der Welfenschatz noch heute hierher, denn schon die Gründerin Gertrud hatte im 11. Jahrhundert zwei erlesene Reliquienkreuze und einen Tragaltar gestiftet (heute alle in Cleveland) und damit den Grundstock für diese außergewöhnliche Sammlung von heiligen Körperteilen und Goldgefäßen gelegt.
Byzantinische Goldblechreliefs, ein maurisches Kästchen, romanisches Goldemail und feinste gotische Gravuren – für die Welfenherrscher des Mittelalters war der Reliquienschatz des Blasiusstifts ein zentraler Familienbesitz zur Ehre Gottes und zum eigenen Heil. Herzog Johann Friedrich erhielt ihn 1651 als Privatbesitz und Kriegshonorar, weil er die aufsässige Stadt Braunschweig zur Raison brachte. Seither lagerte er in der Schlosskirche Hannover, wurde vor Napoleon nach London in Sicherheit gebracht und gelangte ins österreichische Exil, wo er von 1869 bis 1927 im Wiener Museum für Kunst und Industrie (dem heutigen MAK) als Leihgabe ausgestellt war. Dann kam der Verkauf.
Einmal ist der Schatz schon zwischen der alten und der neuen Welt zersplittert worden, und um ein Haar wäre er 1945 im Flakbunker Friedrichshain verbrannt. Er soll endlich zur Ruhe kommen; zum abermaligen Spekulationsobjekt auf dem Kunstmarkt taugt er nicht. Juristisch ist der verzwickte Fall nicht zu lösen. Es geht um Moral und Politik, um eine Geste des Ausgleichs, die beide Seite zufrieden stellt. Darum war der Beschluss der „Limbach-Kommission“, das Schlichtergremium für Streitfälle um NS-Raubkunst, nicht sehr weise, als sie 2014 die Rückgabe ablehnte. Auch hier war das Hauptargument der 1935 gezahlte Preis. Er sei in der damaligen Situation angemessen gewesen, damit sei der Tatbestand der Raubkunst nicht erfüllt.
Die Erben verklagten Deutschland danach vor dem Bundesbezirksgericht in Washington auf Rückgabe der 42 Stücke aus der Transaktion von 1935. Die Bundesrepublik und die SPK forderten Abweisung der Klage, weil ein amerikanisches Gericht aus völkerrechtlichen Gründen nicht über Vorgänge in einem anderen Land verhandeln könne. Der District Court verweigerte sich dem Antrag, sodass die deutsche Seite 2019 schließlich den Obersten Gerichtshof der USA anrief. Nun bestätigte der Supreme Court in detailreicher Bergründung die deutsche Argumentation: Amerikanische Gerichte sind im Streit um den Welfenschatz nicht zuständig.
Wie geht es nun weiter in dem vertrackten, verfahrenen Fall? So wie es aussieht, geben die Erben nicht auf und werden wohl weitere Instanzen anrufen. Doch Schwarz und Weiß gibt es hier nicht. Bei allen Bemühungen um die späten Restitutionen von NS-Raubgut geht es ja nicht nur um Geld, sondern letzlich um die Anerkennung des Unrechts, im besten Fall sogar um Zeichen der Aussöhnung – wie es auch der SPK immer wieder eindrucksvoll gelungen ist. Beim Welfenschatz wird sich die Preußen-Stiftung am Ende womöglich mit ihrer starren juristischen Position durchsetzen. Besser wäre es, sie würde mehr berücksichtigen, dass 1935 das einigermaßen faire Geschäft vor üblem Hintergrund stattfand. Und die Erben und ihre Anwälte sollten die Moralkeule nicht so heftig schwingen und anerkennen, dass in diesem Ausnahmefall vier jüdische Kunsthändler offenbar doch besser behandelt wurden als dies damals die Regel war.
Der Welfenschatz ist so intensiv Teil der deutschen Geschichte, da kann eine vollständige Rückgabe aller Reliquiare und deren Vermarktung auf Sensationsauktionen nicht die Lösung sein. Die Anwaltskosten müssen in den zwölf Jahren auf beiden Seiten längst die Millionengrenze überschritten haben. Ein Geld, dass in einem außergerichtlichen Vergleich mit den Händlererben weitaus sinnvoller angelegt gewesen wäre. Es sollte doch möglich sein, in einvernehmlicher Weise eine Summe auszuhandeln, die wenigstens als Geste die Schicksale der Händlerfamilien anerkennt. Unser reiches Land wird es sich leisten können. Je länger sich aber der Fall des Welfenschatzes ohne einvernehmliche Lösung hinzieht, desto teurer wird die starre Haltung in Berlin. Nicht nur in finanzieller Hinsicht.
Dieser Beitrag ist eine aktualisierte und erweiterte Fassung des Artikels aus der Weltkunst Nr. 82